Geschichten:Unter Geiern – Aus Erlenfall nichts Gutes
Burg Scharfenstein, Tsa 1044 BF
„Und aus Erlenfall?“, wollte Drego von Altjachtern wissen.
Valaria von Wiesenthal schüttelte den Kopf: „Bisher keine Nachricht. Und um ehrlich zu sein, erwarte ich auch keine.“ Einen Augenblick hielt sie inne. „Emmeran von Erlenfall hält sich ohnehin so gut wie nie in seinem Junkertum auf. Aufgrund seines Amtes als Landrichter der Grafschaft Reichsforst ist er zumeist am Grafenhof anzutreffen.“
„Ich weiß. Ich bin ihm dort begegnet“, er holte Atem, „Eine... hm... unangenehme Person.“
Die Hofheroldin seufzte: „Das stimmt bedauerlicherweise. Sein Bruder – Edelbrecht von Erlenfall – ist auch nicht sonderlich angenehmer.“
„Ihr kennt Ihn?“
„Das zu behaupten wäre gewiss maßlos übertrieben“, stellte sie kopfschüttelnd klar, „Ich habe ihn ein paar Mal getroffen als ich meine Schwiegermutter, Kordara von Dachshag, nach Rallingstein begleitet habe.“
Nun nickte die Wiesenthalerin: „Ein durchaus beeindruckendes Bauwerk, mein letzter Besuch dort liegt allerdings schon geraume Zeit zurück. Inzwischen halte ich es durchaus für möglich, dass die Burg nahezu fertig gestellt sein dürfte, wobei...“
Fragend blickte der Baron die Hofheroldin an: „Wobei?“
Sie schluckte und blickte den Altjachterner einen Moment lang intensiv an, ehe sie ihren Blick abwandte: „Ich habe keinerlei Ahnung, was das Junkertum Erlenfall so abwirft, aber Kordara... ja... also Kordara hat immer mal wieder daran gezweifelt, ob das alles mit so ganz rechten Dingen zugeht.“ Sein fragender Blick lastete weiter auf ihr. Sie konnte ihn zwar nicht sehen, aber deutlich genug spüren. „Die Herrschaft Windfels ist wohl recht ertragreich. Es gibt dort ein Gradierwerk. Doch eine Burg – noch dazu innerhalb dieser Zeit – nahezu vollständig und in dieser Größe zu errichten, setzt ein gewisses Maß an finanziellem Spielraum voraus und Kordara hat immer an dessen Umfang gezweifelt. Sie hat es mir auch einst vorgerechnet oder viel mehr im Kopf überschlagen, aber Zahlen sind nicht so meins, Menschen allerdings schon.“
„Deswegen seit Ihr ja auch Heroldin“, meinte der Baron da nur, „Ihr habt also den Verdacht, dass etwas mit den Abgaben nicht stimmen könnte?“
Sie sog scharf die Luft ein und zuckte etwas verlegen mit den Schultern.
„Vielleicht sollte ich die Kämmerin mal besser auf die Bücher ansetzten. Vielleicht gibt es dort ja tatsächlich Unregelmäßigkeiten...“
„Macht euch nicht zu viele Hoffnungen“, wiegelte Valaria da ab, „Falls und ich betone das noch einmal falls wirklich bei Abgaben oder ähnlichem betrogen worden sein sollte, wird das so gehandhabt worden sein, dass es schwer oder vielleicht sogar gar nicht nachzuweisen sein wird.“ Dann wechselte sie eilig das Thema. „Um zum Junker von Erlenfall zurückzukehren. Es ist nicht zu erwarten, dass er kommen wird. Er wird auch keinen Stellvertreter schicken. Bisher gab es keinerlei Nachricht aus Erlenfall. Im Übrigen habe ich dem Junker auch eine Einladung zum Grafenhof geschickt, damit er nicht behaupten kann, er hätte keine erhalten.“ Drego von Altjachtern nickte. „So weit ich von Kordara weiß, hat auch sie noch nichts von ihrem Lehensherrn gehört und unabhängig davon, wird sie so oder so nicht erscheinen. Zum einen, weil sie sich ein Zerwürfnis mit den Erlenfallern nicht leisten kann und zum anderen muss sie immerzu ein Augen auf ihren alten Vater haben. Sein Geist ist sehr gebrechlich geworden. Früher konnte man ihn noch gelegentlich – an guten Tagen – alleine lassen, doch inzwischen ist das kaum noch möglich. Er vergisst die Zeit, fühlt sich in frühere Epochen seines Leben zurückversetzt, weiß nicht mehr, dass Frau und Enkel schon lange tot sind. Während der Fehde ist es schlimmer geworden, doch da war ich noch in Radenstein und konnte ihn beschwichtigen, nun muss Kordara das alleine bewerkstelligen.“
Der Baron nickte verständnisvoll.
„Wisst Ihr was man in Schwarztannen sagt?“, wollte sie da von ihm wissen und ließ ihm keine Zeit für eine Antwort: „Aus Erlenfall kommt nichts Gutes.“