Geschichten:Wünsche und Glückwünsche
Es war fast schon Mittag, als Siegerain von Bregelsaum-Berg stark verkatert in seinem Arbeitszimmer erwachte. Wäre es gestern doch nur bei den ein oder zwei Krügen Wein geblieben...
Trotz der starken Kopfschmerzen raffte sich der Oberst dazu auf, sich aus dem Sessel, in dem er die Nacht zuvor eingeschlafen war, förmlich herauszuschälen - und hätte sich beinahe wieder in diesen hineinfallen lassen, da sich der Raum um ihn seltsamerweise ebenso rasch wie schnell zu drehen begonnen hatte. Was war gestern nur mit ihm los gewesen? Siegerain fand auf diese Frage keine Antwort. Doch immer wieder kehrten seine Gedanken zu Almira und ihrer beider letztem Gespräch zurück. Und gleichfalls immer wieder meldete sich eine leise, doch unüberhörbare Stimme im Kopf des Obersten, die sein Handeln damals als ebenso falsch wie schäbig kritisierte. Selbst die drei Flaschen Wein, die der Offizier nach dem Ende der gestrigen Besprechung geleert hatte, hatten es nicht vermocht, sein Gewissen zum Schweigen zu bringen.
Ächzend und schleppenden Schrittes, so als wäre er ein Greis und kein Mann in den Dreißigern, ging Siegerain zur Wasserschüssel, um sich frischzumachen und zu rasieren. Nachdem er auch seinen Wappenrock gewechselt hatte, sah er zumindest auf den ersten Blick wieder wie er selbst und nicht wie eine der Schnapsleichen unten im Hafen aus.
Nach einem ausgiebigen Katerfrühstück und einem Spaziergang an der frischen Luft kehrten sowohl seine Lebensgeister als auch die Fähigkeit, wieder einigermaßen klar zu denken, zurück.
Zwei Dinge galt es heute schließlich noch zu erledigen: Zunächst, der designierten Heermeisterin am großfürstlichen Hofe die Aufwartung zu machen und danach noch einen Brief an die reizende Edeldame zu schreiben, die Siegerain an Rande des Gerichtsverfahrens kennengelernt und mit der er damals viel Zeit verbracht hatte. Ein Schmunzeln stahl sich auf das Antlitz des Obersten, als er an sie dachte. Er hatte sich ganz offenkundig verliebt und, so schien es ihm zumindest, war dieses Gefühl nicht unerwidert geblieben. Wenn da nur nicht das Problem mit seiner Gattin wäre! Der Offizier konnte ein Seufzen bei dem Gedanken an sie nicht unterdrücken. Seit Monaten schon prüfte die Kirche der Travia seinen Antrag auf Auflösung der Ehe. Es hatte diverse Gespräche und Begutachtungen gegeben, aber noch immer war nicht absehbar, wann mit einer Entscheidung zu rechnen war. Und an die Möglichkeit samt Folgen, wenn man sein Ersuchen abschlägig beschiede, mochte Siegerain gar nicht erst denken. 'Aber genug davon!', schalt er sich selbst, als er seine Schritte in Richtung des Heermeisterlichen Stabes lenkte, um Yonara von Zolipantessa aufzusuchen. Dazu brauchte er einen klaren Kopf ebenso sehr wie ein souveränes Auftreten, auch wenn er sich momentan zu beidem geradezu zwingen musste.
Als sich der Oberst dem Arbeitszimmer Yonaras näherte, musste er unwillkürlich schmunzeln: Heute noch Hauptfrau in Perricum und morgen schon Heermeisterin in Garetien. Was für ein Aufstieg! Und er selbst wäre derzeit schon froh, wenn er irgendwann einmal ein Junkertum erhielte, dass ihm und seinen Kindern als Heimstatt und angemessene Versorgung dienen könnte - und es endlich ermöglichte, mit vielen Adligen auf gleicher Ebene zu verkehren. Siegerain klopfte kurz an und betrat einige Augenblicke später das Zimmer der Hauptfrau, welche gerade damit beschäftigt war, einige Ausrüstungslisten durchzugehen, nun aber verblüfft zu ihm hinüberschaute.
"Oberst Siegerain! Was führt Euch zu mir? Aber setzt Euch doch zunächst. Etwas Wein?"
Äh, nein danke. Heute nicht.", antwortete er entschiedener als beabsichtigt. "Ich fühle mich derzeit ein wenig unwohl."
"Oh, schade. Dabei habe ich hier einen exzellenten Roten, den ich eigens für besondere Anlässe aufhebe."
Ihr Besucher seufzte innerlich. Also doch wieder Alkohol!
"Nun, der Anlass ist in der Tat besonders, daher will ich einen kleinen Schluck Eures guten Tropfens nicht verschmähen.
Nachdem Yonara zwei Becher gefüllt - nach Meinung ihres Gastes zu gut gefüllt - und ihm einen davon überreicht hatte, fragte sie ihn, worauf sie beide denn trinken sollen.
"Nun, das dürfte doch ganz offensichtlich sein, Hauptfrau!", antwortete Siegerain mit einem, soweit gerade möglich, strahlenden Lächeln. "Auf Euch natürlich und Eure Designierung zur großfürstlichen Heermeisterin."
Während diese nun einen tiefen Zug aus ihrem Becher nahm, beließ ihr Besucher es bei einem kleinen Schluck, ehe er fortfuhr.
"Ich bin lediglich gekommen, um Euch zu Eurer neuen Position meine herzlichsten und aufrichtigsten Glückwünsche auszusprechen. Ich bin mir sicher, dass Ihr eine exzellente Heermeisterin sein und diese Stellung hervorragend ausfüllen werdet."
"Vielen Dank. Ich werde jedenfalls alles in meinen Kräften stehende dafür tun." Ein schelmisches Grinsen umspielte nun das Antlitz der Offizierin, als sie hinzufügte: "Wie mir zugetragen wurde, seid Ihr es hauptsächlich, dem ich diese Ernennung zu verdanken habe, nicht wahr?"
"Wenn man das so sagt ...", antwortete Siegerain mit einem breiten Grinsen. "Sagen wir einfach, dass mir sehr gelegen daran war, dass das Kronamt der Heermeisterin mit jemandem besetzt wird, der über die dafür erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt sowie idealerweise aus Perricum stammt. Und offenkundig haben viele der übrigen maßgeblichen Anwesenden dies ebenso gesehen. Zumal, wie ich ergänzen möchte, die beiden anderen Kandidaten meines Erachtens nicht über das nötige Format für diese Stellung verfügen. Sei es wie es sei - Ihr habt Euch diese neue Position redlich verdient und ich hoffe, dass unsere bisher so gute Zusammenarbeit auch auf einer bald deutlich höheren Ebene ebenso reibungslos funktionieren wird, wie bisher."
"An mir soll es nicht scheitern, ganz im Gegenteil. Ein enger Austausch mit der Perricumer Heeresführung ist natürlich auch ganz in meinem Sinne. Und nehmt meinen tiefempfundenen Dank für Euren Einsatz, mir zu diesem hohen Amte zu verhelfen. Ich werde dies nicht vergessen."
Siegerain nickte der Zolipantessa kurz zu, während er sich fragte, ob ihre letzten beiden Sätze ernstgemeint oder nur wohlfeile Floskeln gewesen waren. Und warum hatte man ihn selbst eigentlich nicht für den Posten des Heermeisters auch nur in Betracht gezogen, schoss es ihm durch den Kopf.
"Gut, dann will ich unser beider sicherlich recht knapp bemessene Zeit nicht weiter beanspruchen und mich nun verabschieden. Ich freue mich auf unsere zukünftige Zusammenarbeit und danke für den köstlichen Wein!" 'Auch wenn mir nun wieder reichlich schlecht ist', ergänzte der Oberst im Gedanken. Nachdem er den Becher abgestellt hatte, verabschiedete sich Siegerain per Handschlag von seiner Gastgeberin, welche ihm auf dem Flur noch eine Weile nachdenklich hinterher blickte.
Der Befehliger des Bombardenregiments hingegen hoffte, vorhin sowohl den richtigen Ton als auch die richtigen Worte gefunden zu haben. Über möglichst viele möglichst gute Beziehungen zu möglichst hochgestellten Persönlichkeiten zu verfügen, war schließlich immer angeraten, mal ganz abgesehen davon, dass ihm dieses Weib auch gefälligst dankbar dafür zu sein hatte, dass es demnächst einen enormen Karrieresprung machte.
Jetzt galt es nur noch, den Brief an seine Liebste niederzuschreiben, bevor Siegerain den Tag beschließen und sich - diesmal in seinem Bett - richtig ausschlafen konnte.
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