Geschichten:Graböffnung zu Hartsteen

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Die Gruft der Grafen zu Hartsteen wurde zum Boronsfeste geöffnet und neu geweiht. Seine Gnaden Wilmur von Quandt, Diener des Raben zu Rommilys und eigens zur Zeremonie in die Grafenstadt gereist, vollzog die heiligen Riten der Grablegung, die die Ruhestätte der Toten vor den Unbillen des Jenseitigen und den Gefahren des Diesseitigen bewahren werden.

Die Zeremonie findet jedes Jahr statt, dies ist so Sitte seit alters her. In früheren Tagen, lange Generationen vor der heute lebenden, hatte ein Graf von Hartsteen dies so befohlen, und auch heute noch, da ein anderes Geschlecht über die Grafschaft herrscht, wird dies beibehalten. Die Grablege der Hartsteener Grafen hat man sich als ein niedriges und uraltes Mausoleum vorzustellen, dass in pervalscher Zeit nur ungenügend architektonisch erheitert worden ist. Es wächst aus einem Hügel heraus bis an sein Ende – einem großen Portikus nebst Boronschrein im Säulengang. Man kann auch sagen: Von der mit Uthars Symbolen geschmückten Pforte wächst die Gruft in den Hügel hinein, hinab, dorthin wo die Toten ruhen. Dies kleine, von vorne einem Tempel nicht unähnliche Gebäude, ist umgeben von einer kleinen Parkanlage, in der seit Generationen die wohlhabenden Bürger Hartsteens und die Hartsteener von Stand beerdigt werden.

Der alljährlich gesprochene Grabsegen über die Gruft und den Park – der im Volksmund die »Totenrabatten« heißt – wird auf dem Schrein im Säulengang zelebriert, so dass alle Gräber nebst der Grafengruft teilhaben an Borons Gnade. Dies Jahr desgleichen, doch wurde alsdann unter Anwesenheit aller Honoratioren der Stadt sowie der Familie der Gräfin und der Vogtin auf Feidewald auch die Pforte selbst geöffnet. Begleitet von zwei Boronsdienern betrat Seine Gnaden Wilmur die Gruft, um dort drinnen, auf einem zweiten Schrein, die Zeremonie zu wiederholen.

Als die Pforte sich auftat und die Angeln Laute von sich gaben, als würden vierundzwanzig Raben krächzen, da fuhr es den Anwesenden durch Mark und Bein: Die dunkle Öffnung in das Reich der Toten gemahnte so manchen an das eigene Ende und den Weg, den er dermalseinst selbst schreiten würde, durch eine nämliche Pforte Uthars. Kühle und Stille schien aus der Gruft zu kriechen, erfasste die zaghaften Herzen der Anwesenden. Doch war dies die Aura des Raben, die alle umfasste. Nach dem zweiten Grabsegen wurde die Grafengruft wieder geschlossen und die Menge zerstreute sich.

Einige berichteten, es habe hernach einen für den Ort ungebührlich lauten Streit zwischen der Feidewalder Vogtin Elvena von Hartsteen und dem Sohn der Gräfin, Geismar II. von Quintian-Quandt, gegeben. Anlass zu diesem Streit soll ausgerechnet die zwiefache Segnung gewesen sein! Herr Geismar erklärte nämlich – so lauteten die Gerüchte –, dass der Segen notwendig geworden sei durch den in den Schwarzen Landen zu Tode gekommenen Reichsvogt Odilbert von Hartsteen, dessen erst jüngst in einer mickrigen Seitennische bestatteter Leichnam womöglich daimonischen Hauch aus der verfluchten Erde hinter dem Arvepass verbreiten könnte. Um die hochwohlgeborenen Gebeine vor dieser Gefahr zu bewahren, hätte Odilberts Geist eben »ausgeräuchert« werden müssen (sagen die Gerüchte, soll Herr Geismar gesagt haben). Dass daraufhin die Vogtin ausfallend geworden sei, sei doch nur natürlich gewesen (selbst wenn sie die Hochzeit ihrer Verwandten Lydia Yasmina auf eigenartige Weise mit dem Geschehen verband). Jedenfalls kassierte darob sie die Rüge Seiner Gnaden und nicht der ebenso laute Junker Geismar.

Nachzutragen ist, dass die Gruft den Grafen von Hartsteen gehört und ihre Grablege ist. In alter Zeit war das gleichbedeutend mit der Familiengruft der Familie Hartsteen. Doch seit jene nicht mehr Grafen von Hartsteen sind, können sie nur durch die Gnade der neuen Grafen hoffen, am Ende ihres Daseins zwischen den Vorfahren bestattet werden zu dürfen. Eben jene Gnade wurde Odilbert von Hartsteen zuteil.

Jagodar von Galothini