Geschichten:Wanderungen durch die Mark Perrinmarsch
Im Stadthaus der Fredegard von Hauberach.
„Ah, da bist Du ja, Liebes! Ich hoffe, die Reise war nicht gar zu schwer erträglich. Aber komm´ erst mal rein und setz Dich; ich habe eigens Dein Lieblingsessen gekocht.“
Der Neuankömmling, Fredegards Ziehtochter Janne, schaute ihr Gegenüber verblüfft an: „Du hast gekocht? Für mich?“
„Hm, eigentlich dachte ich, dass ich mich immer noch ganz klar auszudrücken vermag, Janne.“, erwiderte die Adlige schmunzelnd. „Und ja, ich kann tatsächlich kochen und ja, ich denke, das Essen hast Du Dir nachdem, was Du in den letzten Tagen durchmachen musstest, wahrlich verdient. Aber genug geredet für den Moment! Lass´ uns essen und dann erzählst Du mir bei einem guten Roten, wie die Reise an der Seite unseres Kriegshelden war.“
„Gerne. Aber ich hoffe, Du meinst mit ‚gutem Roten‘ zumindest eine ganze Flasche, denn die werde ich wohl brauchen.“
Ein Stundenmaß und ein exzellentes Mahl später.
„Bevor ich nun von meinen Erlebnissen mit diesem Laffen erzähle, solltest Du mich ob meiner Selbstbeherrschung loben, Mutter. Ich widerstand nämlich dem zunehmend stärker werdenden Drang, dem Kerl einfach die Kehle durchzuschneiden, um einfach nur meine Ruhe zu bekommen und Deiner Enkelin dadurch ein glücklicheres Leben zu ermöglichen.
Die Reichsedle konnte sich ob der kecken Worte Jannes ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Na, na, mein Kind, wer wird denn gleich dermaßen die Beherrschung verlieren? Betrachte es einfach als eine Prüfung Deines Glaubens und Deiner Geduld!“
„Hm. Aber gut, ich will Dich nicht länger mit meinen strapazierten Nerven behelligen, sondern komme gleich zur Sache – sobald ich mir noch ein Glas Wein eingeschenkt habe.“
„Bedien´ Dich.“
„Also, letzte Woche brach dieser Pfeifenkopf mit seiner Pagin – Deiner Enkelin – und ein paar Soldaten als Bedeckung auf, um sich dem Adel der Perrinmarsch vorzustellen. Ehrlich gesagt, hatte ich den Moment der Abreise zum Schluss fast schon herbeigesehnt, da der Herr von Brezelbaum-Zwerg-“
„Ts, langsam bekomme ich den Eindruck, Du magst den werten Oberst und Junker wirklich nicht. Aber weiter.“
„-mich und alle übrigen Bediensteten schon Tage vorher mit allen möglichen Aufträgen und Vorbereitungen auf Trab gehalten hat, wobei dem Mann wirklich kein Detail zu banal war.“
„Was grundsätzlich aber nicht falsch ist. Schon viele hochmögende Männer und Frauen sind über vermeintliche Belanglosigkeiten gestürzt. Denk´ bloß an meinen-, an Siegerains Vorgänger! Aber eine andere Sache beschäftigt mich noch: Warum hat er meine Enkelin- und damit auch Dich – überhaupt mitgenommen?
„Einen Grund hat mir seine Wichtigkeit nicht genannt, aber aus seinem Gehabe und Aussagen Dritten gegenüber habe ich geschlossen, dass er dem Adel der Mark zeigen wollte, auf welch´ gutem Fuße er mit seinem Herrchen, Baron Zivko, steht, in dem er allen, die es nicht wissen wollen, auch dessen Enkelin präsentiert, ohne dabei natürlich unerwähnt zu lassen, dass der Heermeister ihm das Mädchen als Pagin anvertraut hat. Und mit Leonore war auch ich dann fast überall als Zaungast mit dabei. Außerdem glaube ich, dass Siechewein den werten Großeltern der Kleinen“, Janne hielt mit einem verschmitzten Lächeln kurz inne, während sie der Reichsedlen in die Augen sah, „keinen Anlass geben wollte, zu glauben, er nähme seine Pflichten nicht ernst. Und bevor Du fragst, Mutter: Er achtet peinlich genau darauf, dass es dem Kind gutgeht, auch wenn er mit dem Vermitteln höfischer und insbesondere ritterlicher Tugenden ziemlich überfordert zu sein scheint.“
„Ich habe nichts anderes erwartet – in beiderlei Hinsicht.“
„Am 9. Praios brachen wir – endlich – auf und ritten zunächst an den Hof der Landvögtin. Eine seltsame Person ist das: Für ihr Alter immer noch recht ansehnlich aber von einer Naivität und Unbedarftheit, dass es fast wehtut. In den Gassen Perricums überlebte sie auf sich allein gestellt jedenfalls keine drei Tage.
Soweit ich es mitbekommen habe, ergingen sich die Beiden in allerlei freundliche Belanglosigkeiten: Die eine, weil sie zu mehr offensichtlich nicht fähig ist, der andere, weil ihm nur daran gelegen war, einen möglichst guten Eindruck zu hinterlassen. Und ich sage es ja nur höchst ungern, aber offenkundig hatte er damit durchaus Erfolg, obwohl ich nicht glaube, dass der werte Herr Oberst viel von der Frau hält.“
„Unterschätze unseren Freund nicht, Janne. Er mag zwar ein charakterloser Ehrgeizling und miserabler Offizier sein, aber er versteht es durchaus, sich im rechten Moment bei den rechten Leuten in Szene zu setzen, was auch ein Talent ist. Aber fahr´ fort.“
„Am folgenden Abend gab die Vögtin dann noch Siegerain zu Ehren einen kleinen Empfang, an dem auch ihr Hofstaat teilnahm. Die Frau schien sich tatsächlich zu freuen, nun einen weiteren Vasallen zu haben, der ihr gewisslich treu dienen werde. Heilige Einfalt ...
Ihre Höflinge sind jedenfalls auch ein Schlag für sich. Fast alle ziemlich vergeistigt und mehr oder weniger stark den ‚schönen Künsten‘ zugetan – oder dem, was sie dafür halten. Diese Maia hat auch einige Ritter in ihrem Gefolge, von denen die meisten das Kunststück fertigbringen, den damit verbundenen Idealen noch weniger zu entsprechen als unser Freund, hübsch anzuschauen sind sie aber alle. Aber gut, was will man von Figuren erwarten, die sich als ‚Lilienritter‘ oder ‚Mohnritter‘ titulieren lassen. Ach ja, einen ‚Mandelblumenritter‘ gibt es übrigens auch. Also, ich war im Gegensatz zu Dir ja nie in Weiden, Mutter, aber ich bin mir dennoch sehr sicher, dass die dortigen Ritter diese Gestalten nicht mal mit der Kneifzange anfassen wollten.“
„Wenn sie sie überhaupt zur Kenntnis nähmen.“, ergänzte Fredegard trocken. „Und Liebes: Etwas weniger Sarkasmus stünde Dir gut zu Gesicht, denn dafür bist Du noch viel zu jung. Aber angesichts Deiner Erlebnisse sehe ich mal großzügig darüber hinweg.“
„Na vielen Dank.“ Erschrocken hielt Janne kurz inne und schlug die Augen nieder. „Verzeih´ bitte. Ich wollte nicht respektlos erscheinen.“
„Schon gut. Aber reiß Dich nun zumindest ein wenig zusammen.“
„Ja, Mutter. Bei der Verabschiedung von unserem Freund und Leonore plauderte die Vögtin noch ein wenig über alles und nichts ohne dabei wirklich etwas zu sagen, ja, ohne wirklich etwas sagen zu können, was von ernsterer oder komplexerer Natur wäre. Deine Enkelin schien die Frau übrigens sehr zu mögen.
Bei der Abreise wenig später hatte ich den Eindruck, dass auch der Oberst recht froh war, endlich der Gegenwart seiner neuen Lehnsherrin entfliehen zu können, denn offensichtlich hielt er von ihr ebenso wenig wie ich, auch wenn er es zugegebenermaßen gut überspielte.
Anschließend ging es weiter nach Rabicum, genauer gesagt zum Schloss Darpatkron, von wo aus Selinde von Gaulsfurt für ihren Gatten Welferich die Geschicke des Junkertums lenkt. Nach allem, was ich gehört habe, soll dieser Mann ein ähnlich angenehmer Zeitgenosse sein, wie unser Freund, aber da er momentan in seiner tobrischen Baronie weilt, blieb uns diese Begegnung erspart; man muss ja auch mal Glück haben.“
„Zumal der äußerst standesbewusste Welferich unseren wackeren Oberst vermutlich schlicht vor der Türe hätte stehen lassen, ohne ihm auch nur einen guten Tag zu wünschen.“, merkte die Reichsedle an. „Aber fahr´ doch bitte fort.“
„Diese Selinde machte jedenfalls bei einem gemeinsamen Imbiss einen ganz patenten Eindruck, was allerdings nach den vorherigen Katastrophen auch nicht allzu schwer war.
Dann ritten wir rasch weiter, um zu nicht allzu später Stunde noch die Residenz des Junkers von Matlakur, Gut Salcrapea – was für ein Name! – zu erreichen. Ich denke, über den Firunslicht muss ich Dir nichts erzählen, den kennst Du sicher weit besser als ich, Mutter.“
„In der Tat, das tue ich.“, antwortete die Angesprochene lächelnd, ohne ihren Kommentar näher auszuführen.
„War auch gut auszuhalten bei dem Mann und seiner Gemahlin. Letztere wirkte recht distanziert und schien sich mehr aufs Beobachten denn aufs Reden verlegt zu haben, wenngleich ich glaube, das dass nur Fassade war. Was meine Nerven doch ein wenig strapazierte, war der Umstand, dass dieser Aldron sich ein wenig zu sehr in alten Kriegsgeschichten und dem Militär erging, was wohl selbst für meinen verehrten Dienstherrn nur schwer auszuhalten war, insbesondere, als der gebrechliche einstige Landvogt anfing, von den Ahnen zu faseln, die wir achten und ehren und von denen wir lernen sollten. Wenn Du mich fragst, Mutter, so sind dem Mann die vielen Jahre in der Einsamkeit der Trollzacken nicht gut bekommen.“
Fredegard hätte sich ob des letzten Satzes ihrer Ziehtochter beinahe an ihrem Wein verschluckt.
„Hm, so etwas solltest Du in den Zackenlanden lieber nicht zu laut sagen; die Leute dort, Adlige wie Gewöhnliche, halten die Einöde nämlich für das schönste Fleckchen Deres. Ab davon ist der Firunslichter ein Mann der ersten Stunde unserer Markgrafschaft. Sein Name galt damals etwas, jedenfalls weitaus mehr als dieser Tage.“, schloss sie mit einem breiten Lächeln.
„Keine Sorge, ich werde mich zu beherrschen wissen. Am nächsten Morgen ging es dann nach einem kurzen Frühstück weiter zu einer Stippvisite gen Quittenstein.“
„Nicht nach Haselpfort?“
„Nein, denn der dortige Edle Astaran hält sich zumeist in der Reichsstadt auf und ist, wie ich gehört habe, ein alter Bekannter und Reisegefährte unseres Freundes. Der Oberst hatte ihm daher schon kurz nach seiner Belehnung seinen ‚Antrittsbesuch‘, wie er es nannte, abgestattet.“
„Soso, die Zwei kennen sich also schon seit einer geraumen Weile. Es könnte sich vermutlich lohnen, später mehr darüber in Erfahrung zu bringen. Aber jetzt erstmal weiter.“
„In Quittenstein machte Siegerain Junkerin Drigelfa seine Aufwartung. In deren Residenz weilte als Gast zudem die Junkerin von Mühlengrund, Samaria, sodass wir uns den Weg zu ihr sparen konnten.
Die beiden Frauen sind wahrlich von einem lieblichen Wesen: Streitsüchtig, cholerisch, meist schlecht gelaunt und aufbrausend, respektive besserwisserisch und dem Markgrafen dermaßen treu ergeben, dass er sogar gegen gar nicht erfolgte Angriffe verteidigt wurde. Die eine mag die Nebachoten nicht und die andere gibt sich beinahe krampfhaft in Allem sehr neutral, ohne es meiner Meinung nach wirklich zu sein. Seltsam auch, dass diese Samaria selbst beim gemeinsamen Gespräch ihre Rüstung nicht ablegte. Ich frage mich, ob sie diese auch auf dem Abort – ich schweife ab.
Unser Oberst war jedenfalls, genau wie ich, sehr froh, der Gesellschaft der beiden Vett-, äh, Adligen rasch entfliehen zu können, was auch daran gelegen haben dürfte, dass die Zwei aus ihrer Geringschätzung ihm gegenüber kaum einen Hehl machten. Dann galt es, die letzte Station unserer Reise anzusteuern: Sein eigenes Lehen Ashabur.
Er hatte eigens einen seiner Soldaten schon Stunden zuvor vorausgeschickt, um sein Kommen anzukündigen und sicherzustellen, dass alles für seine Ankunft vorbereitet und alle wichtigen Leute versammelt wären, ganz so, als wäre er ein König und kein einfacher Junker.
Als wir endlich dort eintrafen erwarten uns der hiesige Edle, Riman von Greifenwacht mit versteinerter Miene und etwa zwei Dutzend weitere Leute, offenbar die Handwerker und Freibauern des Lehens. Oder anders gesagt: Die erste Gesellschaft Ashaburs.“, fügte Janne mit einem leicht gehässigen Unterton hinzu.
„Kurz nach unserer Ankunft hielt unser Freund eine Rede, an die er schon lange vorher gefeilt haben musste: Dass er sich freue, diesen Flecken nun seine Heimat nennen zu dürfen, dass er seinen Untertanen ein guter und gerechter Herr sein werde und dergleichen Phrasen mehr. Immerhin trug er sie recht gut vor, das muss ich ihm zugestehen. Anschließend ließ er von unserem mitgeführten Karren zwei Fässer Wein entladen, lud die Anwesenden zu einem Umtrunk ein und erklärte die nächsten drei Tage für arbeitsfrei – zur Freude der Leute und dem Unglauben des Edlen. Kein Wunder, dass die Menge, abgesehen von einigen Nebachoten, die wohl zum Gefolge Rimans gehörten, ihn gleich hochleben ließ.“
„Gar nicht mal ungeschickt, unser lieber Oberst, so hat er doch gleich den wichtigsten Teil des Pöbels auf seine Seite gezogen. Und was gab es sonst noch?“
„Nicht viel. Den Rest des Tages hat er sich alleine zu Gesprächen mit diesem Riman, der immer sehr sauertöpfisch wirkte, zurückgezogen und am Folgetag haben beide zumindest einen Teil der Höfe in dem Ländchen aufgesucht, wo sich Siegerain vorstellte und erneut die Rolle des fürsorglichen und freundlichen Herrn spielte; offensichtlich ebenfalls nicht ohne Erfolg.“
„Mal schauen, wie lange er dieses Possenspiel aufrechterhalten kann. Denn wenn es dem Mann neben Charakter an einem mangelt, dann ist es Geld, respektive der verantwortungsvolle Umgang damit. Und beim Geld hört nicht nur die Freundschaft sondern auch die Loyalität auf. Zudem wird dieser Riman meiner Einschätzung nach kaum etwas unversucht lassen, um seinem neuen ‚Herrn‘, den man ihm so unversehens vor die Nase gesetzt hat, das Leben so schwer wie möglich zu machen. Das werden bestimmt noch interessante Zeiten für Siegerain und Ashabur. Aber fahr fort, Liebes“
„Oh, der Rest ist schnell erzählt: Einen weiteren Tag später machten wir uns auf den Weg zurück nach Perricum. Unser schneidiger Offizier platzte dabei beinahe vor Stolz, offenbar davon ausgehend, dass er nun zu den Großen der Provinz zähle, da er nun über ein eigenes kleines Reich gebiete. Bescheidenheit und Pragmatismus zählen offenbar nicht zu seinen hervorstechendsten Charaktereigenschaften.“
„Mag sein. Aber vergiss nicht: Der Mann hat es geschafft, einige entscheidende Leute für sich einzunehmen und es vermocht, sich zumindest den Anschein von Kompetenz und Loyalität zu verleihen. Und das ist beinahe ebenso wichtig, wie der tatsächliche Besitz dieser Eigenschaften. Der Kerl ist vielleicht nicht klug, aber schlau. Und auch wenn er für uns keine Gefahr darzustellen vermag, so sollten wir ihn dennoch nicht leichtfertig unterschätzen.
Ach, wann musst Du eigentlich wieder zurück?“
„Erst morgen früh. Seine Wichtigkeit geruhten mir in seiner grenzenlosen Selbstzufriedenheit bis dahin freizugeben.“
„Sehr schön. Dann können wir ja noch ein wenig über Angenehmeres plaudern.“
„Mutter?“
„Ja, mein Töchterchen?“
„Du lässt es mich wissen, wenn ich ihm die Kehle durchschneiden darf, ja?“
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