Geschichten:Differenzen
Differenzen
15. Rahja 1046 BF, abends
Ryane von Rosenstein war der Einladung ihres Lehnsherren zum Abendessen auf Burg Rubreth gefolgt. Sie war schon neugierig, was er ihr so Wichtiges zu sagen hatte. Oder ob er sie nur zu ihrem guten Abschneiden beim Turnier beglückwünschen wollte?
Sie folgte dem Truchsess Algon Raultreu von Roßsprunk bis ins Esszimmer, wo sie höflich gebeten wurde, an der reich gedeckten Tafel Platz zu nehmen. Der Herr von Pfortenstein würde jeden Moment hinzukommen. Dann verließ sie der Truchsess wieder. Nur am Eingang zum Saal blieben zwei Hausritter als Wache stehen.
Ryane schaute sich derweil etwas im großen Saal der Burg um. Es war eher zweckmässig als gemütlich eingerichtet, so passte er zum Rest der Burg. Immerhin gab es einen Kamin, der jetzt im Rahja allerdings nicht an war. Das Essen war bereits aufgetragen. Es sah gut aus, und Ryane machte sich schon mal den Teller voll.
"Sieh an, da bist Du ja, Ryane", vernahm sie eine vertraute Stimme.
"Danos?" fragte sie. Tatsächlich war es nicht wie erwartet ihr Lehnsherr Rondradan von Pfortenstein, sondern ihr Gemahl Danos von Pfortenstein, ein entfernter Vetter des Landvogtes. Er setzte sich ihr gegenüber ans andere Ende der Tafel, und begann ebenfalls vom Abendmahl zu speisen.
"So ist es. Ist ja schon eine Weile her, seit wir uns das letzte mal unterhalten konnten. Du bist jetzt anscheinend nach Hirschfurten umgezogen?"
Ryane war nicht gerade begeistert, dass sie jetzt mit ihrem Mann ein klärendes Gespräch führen musste. Aber sie versuchte, das Beste daraus zu machen. Durch die große Distanz zu ihm hatte das Ganze eine recht angespannte Atmosphäre.
"Nun, ich hatte dir vor einigen Wochen eine schriftliche Note geschickt, und dir meine Versetzung zur Kavallerie des Reichsforster Grafenbannes mitgeteilt. Da die Ausbildungsstätte in Hirschfurten ist, bin ich an einem Umzug leider nicht vorbei gekommen."
"Und warum wolltest du unbedingt zur Kavallerie versetzt werden? Du warst doch bei den Schützen in Untergras, was nur wenige Meilen von deinem Lehen entfernt liegt."
Ryane zögerte einen Moment. Dann antwortete sie: "Der Heermeister des Grafenbanns war der Ansicht, dass meine Talente bei der Kavallerie besser zum tragen kämen. Daher hat er die Versetzung in die Wege geleitet."
Danos schien das wenig zu beeindrucken. Er aß eine Weile stumm weiter.
"Und Glückwunsch zu deinem zweiten Platz bei dem Turnier. Schade, dass es am Ende nicht zum Sieg gereicht hat."
"Ich bin sehr zufrieden", entgegnete Ryane selbstsicher. "Immerhin konnte ich mich gegen mehrere namhafte Gegner behaupten um so weit zu kommen. Und einige von ihnen hatten deutlich mehr Erfahrung als ich."
"Nun ja. Das war sicher nicht schlecht. Auch wenn Du meine Anwesenheit unter den Zuschauern nicht einmal wahrgenommen hast."
"Das habe ich durchaus. Allerdings musste ich mich doch sehr auf meine Partie gegen den Pfalzgrafen konzentrieren, da war keine Gelegenheit um einzelne Anwesende im Publikum zu begrüßen."
"Nicht mal deinen eigenen Gemahl?"
Ryane zog schnaubend die Luft ein. "Was hast du erwartet? Dass du mir ein Taschentuch an die Lanze binden darfst? Ich denke, auf so ein jämmerliches Schauspiel können wir beide ganz gut verzichten."
"Immer noch so abweisend. Dabei habe ich etwas für dich."
Er stand auf, und kam zu ihrem Platz. Dann übereichte er ihr ein kleines Kästchen.
Ryane öffnete es. Drinnen lag eine kleine Kette mit einem Rosenquarz. Sie nahm es heraus und schaute es sich näher an. Es war ein hübsches Schmuckstück, was sicherlich einiges gekostet hatte.
"Wofür soll das sein?"
"Darf ein Mann heutzutage seiner Frau nicht mal mehr ein kleines Geschenk machen?"
"Doch, darf er gerne tun. Trotzdem wüsste ich gerne den Grund dafür. Sowohl unser Traviatag als auch mein Tsatag sind noch ein paar Monde entfernt."
"Also gut!" Er setzte sich nun direkt auf den Platz neben ihr. "Ryane, ich möchte, dass Du in dein Lehen zurückkehrst. Lass den Unsin mit der Tjosterei und der Kavallerie, das führt doch zu gar nichts. Du kannst auch zu mir nach Burg Olbershag ziehen, die Zerstörungen aus der Erstürmung während der Fehde sind inzwischen weitgehend beseitigt. Es lässt sich also ganz gut dort wohnen. Und dann könnten wir endlich mal eine Familie gründen. Wenn erstmal Kinder da sind, wirst du ohnehin keine Zeit mehr für Turnierereien haben. Also sei nicht so egoistisch und lass es am besten gleich bleiben."
Das verärgerte Ryane, und wütend entgegnete sie: "Ich soll also alles aufgeben was ich erreicht habe, und wieder zu dir zurückkehren? Ausgerechnet zu dir? Zu einem Versager, der noch gar nichts erreicht hat? Und dann willst du mich nur als deine Zuchtstute für den Nachwuchs haben?" Sie stand aprubt auf und Danos blickte sie überrascht an. "Weißt Du was? Behalte dein Geschenk! Ich verzichte dankend!"
Damit drehte sie sich weg und stapfte strammen Schrittes aus dem Burgsaal. Ihr Essen hatte sie nicht mal zur Hälfte verzehrt.
"Ryane! So warte doch. Überlege es dir bitte noch mal." Danos lief ihr hinterher, doch gelang es ihm nicht mehr, sie zur Umkehr zu bewegen.
Derweil schlich ein junger Hausritter in den Speisesaal und ließ seine Blicke über den Tisch schweifen. Er sah das Kettchen in dem Kästchen und nahm es unbemerkt an sich.
◅ | St. Rakulls Turney - Finale |
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Abends am See | ▻ |