Geschichten:Kopf gewaschen
Baronie Bergthann, Burg Thannfest, Rondra 1046 BF
“Vater, das ist keine Ehre, sie nutzt dich und deinen Ruhm aus, sie nutzt unsere derzeitige Schwäche aus.”, Geldana von Rabicum war nicht wütend, sie argumentierte energisch, aber ruhig. Sie kannte ihren Vater, heutzutage war er nicht selten ein korkener Spielball und ließ sich einspannen von wem auch immer, früher war er ein vom Ego getriebener Draufgänger gewesen, der nichts hatte anbrennen lassen, der sich mit Lanze und Schwert in die Herzen der (turnierbegeisterten) Perricumer gekämpft hatte, vllt wäre er sogar ohne ihren Großvater Erster Ritter am Markgrafenhof geworden, so talentiert war er gewesen. Doch seinem Talent stand auch seine Ambivalenz, seine Ichbezogenheit und seine Impulsivität entgegen. So hatte er z.B. aus einer Laune heraus damals - und ohne die Zustimmung des Oberhaupts - ihre recht unbedeutende Mutter, Leysifa von Greifenwacht, geheiratet, eine Nebachotin, wenn auch eine recht untypische. Dies hatte nicht nur Ärger mit ihrem Großvater bedeutet, sondern hatte auch zu einem noch größeren Bruch mit ihrem Onkel Welferich geführt, der sich seitdem immer wieder Bahn brach und ein Grund dafür war, dass viele der Pläne des Oberhaupts ins wanken gerieten bzw. unmöglich machten. Ein dynastischer Plan, war mit zwei egozentrischen Streithähnen in der Nachfolge kaum zu machen.
Und jetzt standen sie vor dem Scherbenhaufen, ihr Großvater, der große Zordan von Rabicum, war zu früh nicht mehr handlungsfähig und sie selbst, als dessen ersuchte Nachfolgerin, noch nicht etabliert und erfahren genug - es hatte schlicht an Zeit gefehlt, um die Lücke die die schwache zweite Generation gerissen hatte, auszufüllen. Und nun ließ sich ihr Vater auch noch von der Baronin von Haselhain bauchpinseln, mit einer Schirmherrschaft über ein aberwitziges Turnierchen, dabei brauchte sie, Geldana, ihn jetzt an der Seite der Familie. Also wiederholte sie nochmal: “Die Baronin spannt dich nur vor ihren Karren, wie einen kastrierten Ochsen, sie weiß um deinen Ruf, sie weiß um dein theoretisches Pflichtbewusstsein als ihr Vasall, aber am meisten weiß sie um dein Ego.”, Polternd warf sich ihr Vater dazwischen und wollte sie zur Ordnung rufen, ob ihrer Dreistigkeit, baute sich gar groß vor ihr auf, doch sie ließ sich davon nicht beirren, setzte stattdessen nach: “Und Vater, es ist jetzt nicht die Zeit für dieses Ego, für Empörtheit und verletzten Stolz, es ist Zeit an die Familie zu denken. Oder dein Ego deutlicher in den Dienst der Familie zu stellen, du hast Großvater, deinen Vater gesehen, er ist ein Schatten und all das, was er für uns getan hat, ist dabei in sich zusammenzufallen. Die Säbeltänzerinnen und Pfauen lechzen gierig nach Großvaters Pfründen und Verdiensten, auch die Markgrafen-Getreuen wollen uns wieder da sehen, wo wir herkommen und ganz sicher beobachten auch die kaisertreuen und ambitionierten Ochsen ganz genau was nun passiert. Alle bringen sich in Stellung, Vater, da hilft uns dein Ego nur, wenn du es erneut in den Dienst der Familie stellst und ich spreche dabei nicht über Witze und Sprüche über gedungene Häscher, die du unseren Gegnern auf den Hals jagst.” Dabei wusste sie nicht, wieviel Wahrheit hinter solchen und ähnlichen markigen Sprüchen ihres Vaters steckten, auch sie kannte diese (frühere) Seite von ihm nicht, nur die des stolzen Ritters, die er Perricum stets vorführte. “Denke über meine Worte nach, stelle dich in den Dienst der Familie, du hast ihre Dienste immer allzu gern für dich in Anspruch genommen, jetzt ist es an der Zeit ihr davon größere Stücke als sonst zurück zu geben.” Sie sah wie ihr Vater immer mehr in Rage geriet, ob dieser intimen Demütigung, doch sie sah auch wie es in ihm arbeitete und sein Protestieren immer leiser wurde. Daher wollte sie es nicht bei simplen Belehrungen lassen, sondern seine Wut in eine andere andere Richtung lenken - in dem sie ihn bei seinem ritterlichen Stolz packte: “Weise die Haselhainer Baronin in ihre Schranken, hilf mir hier in Bergthann, die aufmüpfig werdenden Vasallen zu beruhigen und dabei, dass wir bei Hofe nicht völlig untergehen. Erinnere die Perricumer nochmal daran warum du ihr erster Ritter bist, aber, Vater, nicht in dem du dich auf diesem Schausteller- und Geschichtenerzähler-Turnier in Haselhain einspannen lässt, das keine Tradition kennt, nur simple Schaulust. Verkünde offiziell, dass du nicht für die Schirmherrschaft eines solchen Turniers bereit stehst.
Es gelang, die Wut ihres Vaters verschob sich auf die Baronin von Haselhain und ihr sog. Turnier, für dass er sich schon einmal unwissentlich hatte einspannen lassen, wenn auch nur als einfacher Teilnehmer, unwürdig war es gewesen. Und für wahr, den Großteil seines Lebens hatte er sich meist nur auf der Sonnenseite seines Lebens ausgeruht, hatte den Ruhm und das Leben genossen, der ihn zum ersten Ritter und zum Junker gemacht hatte. Aber was er teilweise dafür getan hatte, wusste nicht mal seine Tochter, er war kein unbeschriebenes Blatt, sein Vater wusste das und dieser hatte immer alles dafür getan, dass er dennoch eine weiße, ritterliche Weste vorzuweisen hatte, er hatte es ihm nur selten richtig gedankt, im Gegenteil. Und nun konnte er es dem Vater kaum noch richtig vergelten, er konnte dem körperlich gebrochenen, alten Mann ja kaum mehr in die Augen sehen. Aber er konnte seiner Tochter helfen, den Karren zumindest noch aus dem Dreck zu ziehen, bevor der Boden ihn verschluckte. Also würde er diesen Karren retten, anstatt sich vor den Karren einer anderen spannen zu lassen, wer war diese Baronin von Haselhain überhaupt? Jemand Geringeres als er und seine Familie, die im Schatten eines Verrückten & Verbannten groß geworden war. Er würde wieder den Willen und die Bissigkeit von früher an den Tag legen. Er nickte seiner Tochter zu, gab ihr mit einer unbeholfenen, kurzen Umarmung zu verstehen, dass er verstanden hatte und dafür zum Äußersten gehen würde. So gleich ließ er sich von einem Diener Feder und Tinte bringen und setzte ein Schreiben auf in dem er sich öffentlich über die “Dreistigkeit der Baronin von Haselhain” echauffierte, ihn “ohne Konsultierung oder jedwede wahre Kenntnis von Ritterlichkeit als Schirmherr eines Turniers einzusetzen, dass als Rudelturney eines Verräters geboren wurde und ritterlich-ständische Tugenden mit Füßen tritt und zu einer Jahrmarktsveranstaltung verkommen lässt.” Stattdessen würde er, schrieb er ebenfalls nieder, für das wahre ritterliche Perricum auf dem anstehenden Turnier von Auenwacht versuchen einen (letzten) großen Triumph einzufahren, für die hohen Stände und die Ehre des Rittertums von Perricum, um sich danach ganz und gar seinen Pflichten bei Hofe zu widmen. Nach weiteren Zeilen ließ er das Schreiben siegeln, vervielfältigen und in die Welt hinaustragen. Seine stolze Tochter hingegen bereitete alles für seine baldige und hoffentlich triumphale Wiederkunft vor, ihren Vater hatte sie also auf ihrer Seite, sie müsste nun dafür sorgen, dass sein wiedergefundenes Rückgrat und echtes Familiengefühl sein Lehen, ihr Erbe, nicht gefährdete, die Baronin von Haselhain würde sicherlich zum Gegenschlag ausholen. Außerdem hatte sich ihr Onkel Welferich angekündigt...
-Trenner Garetien-
Und wenn die Worte seiner Tochter nicht schon genug in Rukus von Rabicum ausgelöst hatten, so tat dies letztlich der plötzliche Tod seiner Gattin bald darauf. Zu der er zwar stets ein ambivalentes Verhältnis gehabt hatte, die er aber im Grunde seines Herzens sehr geliebt hatte. An diesem Tag war der alte Haudegen und zu allen Schandtaten bereite Ritter Rukus wiedergeboren und er würde in Auenwacht nicht nur für seine Familie antreten, sondern auch für seine innere Wut über die großen Verluste der letzten Jahre - sein Sohn Asulon, seine Frau Leysifa, allsbald ganz sicher sein Vater und die Vormachtstellung seiner Familie. Rukus von Rabicum schaute grimmig, als er sich in seiner Rüstung spiegelte, mit den Seeschlangenköpfen auf den Schulterplatten, an der nun schwarze Bänder der Trauer flatterten.