Geschichten:Eine Grafschaft zu ordnen – Schlangenkränzchen

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Baronie Falkenstein, Anfang Rondra 1046 BF

Auf Burg Falkstein empfing man sie formell, aber herzlich. Das Innere der Anlage war erstaunlich hell, modern und schlicht eingerichtet. Schon in der Vorburg begrüßten sie kleine Schmuckbeete, die wie Miniatur-Labyrinthe für Feenwesen erschienen, ein Pavillon und ein paar kunstfertige Statuetten und Säulen, was alles enorm leichtlebiger erscheinen ließ. Und auch der engere Burghof der Hauptburg war ein begrüntes Kleiod, mit Wasserspeiern und weiteren kunstvollen Elementen. Der Bergfried wirkte hier noch mehr wie ein emporsteigendes Horn und den berühmten Falkenturm erkannte man allein am Geräusch, welches die Vögel in seinem Inneren produzierten.

Was aber am meisten auffiel war nichts am Bauwerk selbst, sondern, die große Betriebsamkeit, die nicht nur dem üblichen Treiben einer solchen Feste entsprach, sondern deutlich mehr. Überall tummelten sich Edle und Gesinde, Handwerker, Künstler, gelehrte und geweihte Herrschaften, sogar einfache Bürger und Freie, in Nieschen, in den Fluren, unter den Arkaden. Das Auffällige dabei war aber, dass diese Gruppen nicht getrennt von einander waren, sondern sich zumeist mischten. Das war unüblich, zumindest in dieser Intensität.

Als sie in den Palas eintraten schallte noch Musik zu ihnen rüber und die Fetzen von Unterhaltungen “...die Sicht der Maraskaner auf unsere Welt ist viel mehr eine metaphorisch-philosophische, als der tatsächliche Glaube daran, auf einem Diskus zu leben, auch sonst kann man…” oder “Dieser Baldo Enzian, ist ein wahrer Künstler der Schneiderzunft, seine Farben, seine Muster, seine Schnitte, ein Gemälde für den Leib, ein Segen für die garetische Mode, dass Haduwulf ihn fördert, …”

Dann begrüßte sie auch hier hell getünchtes, schlicht geschmücktes Mauerwerk. Die Behänge darauf - ob Bilder, Teppiche oder Tafeln etc. - waren wenige, aber wohl gesetzt und meist von komplexer Art, beinahe kleinen Bildrätseln gleich. Es wehte ein frischer Wind dort, wenngleich auch nicht alles wie umgekrempelt schien, nur aufgeräumter und durchdachter. Dies erkannte die Hogenthalerin, die schon einmal vor vielen Jahren hier zu Besuch gewesen war. Sie bemerkte auch als einzige die Veränderung des Thron- und Empfangssaals. Dieser war ebenfalls hell und wohlgeordnet, heuer war er ebenerdig und stieg nicht mehr zum Thron hin leicht an, auch stand dieser nicht allein dort, sondern wirkte mehr als einer von vielen, angeordnet wie in einem Diskussionszirkel, wie man ihn aus Hesinde-Tempeln oder Akademien kennt. Natürlich war der Thron durchaus prächtiger als die anderen Sitzgelegenheiten. Auch dieser hatte sich seit dem letzten Besuch der Hogenthalerin verändert. Früher zierten seine Rückenlehne fünf geschnitzte, haubentragende Falken, dem Falkensteiner Wappen entsprechend, heute trugen nur noch die unteren beiden Falken Hauben, die aber von den Falken darüber mit ihren Klauen bald gelüftet werden würden. Die Hauben dieser mittleren Falken waren schon beinahe vollständig gelüftet, so dass eines ihrer Augen schon hervorblickte. Der oberste der Falken hatte ihre Hauben hinaufgezogen, trug selber keine Haube mehr und spreizte die Flügel zum Flug. Eine enorme Arbeit und Junivera konnte sich nicht vorstellen, dass diese Arbeit aus der alten Schnitzerei herausgearbeitet worden sein sollte, auch wenn die Lehne in ihrer schwachen Erinnerung damals höher und die Falken gewaltiger gewesen waren.

Auch hier im Saal herrschte buntes, aber andächtiges Treiben, eine besondere, nicht greifbare Stimmung war hier präsent. Beinahe hätten sie in alldem den Baron übersehen, der saß nicht etwa auf seinem Thron, sondern zwei Sitze daneben, in legerer Haltung und mit freundlich-interessiertem Gesicht einem Hesinde-Geweihten, einer Sängerin und einer hochbetuchten Händlerin zugewandt, während neben ihm eine Ritterin mit dem Wappen der Föhreninger saß und sich angeregt mit einem dunkelgekleideten Akoluthen der Boron-Kirche unterhielt, neben dem etwas verschüchert eine Magd stand, als wäre es ihr unangenehm, dort einfach nur zu stehen. Gerade näherte sich ein jüngerer Ritt-Mann dem Baron, der diesem wie aus dem Gesicht geschnitten war und flüsterte dem älteren etwas ins Ohr. Als sie näher kamen, konnten sie vernehmen, dass die Sängerin ein sanftes Lied trällerte, welches sich um die Sage des Liebchenwassers drehte, wusste der Malagant zu berichten. “Wenn man der Sage glauben kann begegnete damals ein güldenländischer Späher hier am nahen See ‘Liebchenwasser’ einer leibhaftigen Göttin und bewahrte ihre makellose Schönheit vor einem angriffslustigen und neidvollen Fischaar. Zwei Schreine am Nord- und Südufer erinnern heute an diese Geschichte.”

Als die Sängerin glockenhell geendet hatte, applaudierten die Umsitzenden, dann wandte der Baron sich der Gruppe zu und winkte sie zu sich heran, dabei nahm er eine etwas weniger legere Haltung an und seine Mine wurde etwas ernster.

“Ah, die Gesandten des Grafen auf ihrer Hesinde gefälligen Inventur, der Allweisen zum Gruße. Setzt euch doch, wir lauschten gerade dem Lied von Xeledane hier, die uns eine neue Interpretation der Liebchen-Wasser-Sage nahe gebracht hat. Ich danke dir, Xeledane.”

“Und ich danke dir, Haduwulf.” Felian stutzte kurz als die Sängerin den Baron beim Vornamen nannte, dann fuhr der Baron aber auch schon fort: “Als nächstes wollte uns Laienbruder Naelerich von den Fortschritten des Klosters Sankta Noiona & Ingalf zu Haulingen berichten. Eine noch sehr junge Einrichtung, in der das Wesen des göttergegebenen, menschlichen Geistes erforscht wird und zu welchen schöpferischen Errungenschaften dieser fähig ist, wenn er seine Ketten sprengt.” Der angesprochene Laienbruder nickte und ergänzte: "Ganz Recht, Haduwulf - das Kloster ist nicht nur jung, es ist sogar erst zwei Götterläufe alt, durch den guten Baron Haduwulf hier gestiftet, gemeinsam mit der Boron- und Hesinde-Kirche. Das Dorf Haulingen war nach einem schrecklichen Ogerüberfall 1032 BF entvölkert worden. Nur unsere gute Mutter Wina Marbotreu hegte und pflegte dort über Jahre die Gräber der Überfall-Toten und einen Schrein. Unter ihrer dortigen Einsamkeit, nur mit den Geistern der Toten, wurde ihr Geist erweitert und sie wandelte den Ort zu einem kleinen Kloster. Manche attestierten ihr damit eine wahnhafte Spinnerei, doch andere Schwestern und Brüder erkannten die Schöpfungskraft in ihrem vermeintlichen gebrochenen Geist und so kam es letztlich zur Gründung des Klosters. Eben dank Baron Haduwulf und der Zusammenarbeit mit dem Falkensteiner Hesindetempel.” Dabei nickte er dem anwesenden Hesinde-Geweihten zu, der sich zufrieden durch seine langen schwarzen Haare fuhr, zurück nickte und das Wort übernahm: “Ganz recht, werter Bruder Naelerich. Und das faszinierende daran ist, unsere gute Xeledane hier, ist eines der ersten und besten Beweise für die Fortschritte des Klosters, vor nichtmal einem Jahr war ihr Geist zwar erweitert, aber barg noch Chaos in sich, welche sich nun in schöpferischer Sangesbegabung und überbordender Interpretationsfähigkeit ergießt. Wahrlich formidabel und erfrischend. Aber nicht nur dem lebenden Geist dient diese Einrichtung, sondern auch dem des toten Geistes. So wird immernoch versucht den Geistern vor Ort Seelenfrieden zu geben. Nicht selten geraten erweiterter, lebender Geist und Totengeister dabei gar in Zwiegespräch. Was wohl auch die sog. Haulmännchen zurück nach Haulingen lockte, scheue, aber durchaus aktive und bisweilen ruhestöhrende Wesen. Von denen wir noch nicht wissen ob es Geistererscheinungen, Feenwesen oder Überbleibsel der Magierkriege sind. Faszinierend.”

“Faszinierend, jedoch dem Falkenhofer Ritter schmeckt die Einrichtung in seinen Landen dennoch nicht so recht.”, scherzte der Baron und alle stiegen in sein Lachen mit ein, außer der junge Flüsterer, vmtl. sein Sohn, der weiterhin sehr ernst wirkte.

Auch die Gruppe um Felian lachte teils verlegen. Der Landvogt hatte schon von der besonderen Lebensweise des Falkensteiners und seinen “Schlangenkränzchen” gehört, aber dass sie diese Dimension hatten, hatte er nicht erahnt. Außerdem kannte er natürlich den berühmten Falkensteiner Hesinde-Tempel, der sich vor allem dem verborgenen Wissen des nahen Raschtulswalls widmete und von dem es hieß, er wäre einst sogar durch die Sieben Gezeichneten aufgesucht worden. Zuletzt hatte das aufständische Fuchsrudel hier allerdings wohl auch Hinweise auf das Horn Branibeth erhalten, welches der falsche Fuchsfürst Sigman letztlich in der Schlacht im Tal der Kaiser erschallen hatte lassen. Ein durchaus zweischneidiger Ort, der wohl immer noch in einem mehr als guten Kontakt stand mit dem Baron, auch wenn der Großfürst (nach Vorschlag des Grafen) diesem “seine Stadt” genommen hatte.

Was Felian endlich zu ihrem Anliegen hier brachte, er stellte die Gruppe vor und sprach dann weiter: “Euer Hochgeboren, auch wir entrichten Euch hesindegefällige Grüße und sind froh jetzt schon einen so guten Einblick in die Baronie zu bekommen. Des Grafen Anliegen ist es sein Land besser kennenzulernen und einen guten Überblick zu erhalten. So möchten wir von Euch mehr darüber erfahren und dies zu Protokoll geben.”

Statt dem Baron antwortete sein Sohn: “Das ehrt den Grafen und Euch. Doch haben wir noch nicht Bruder Naelerichs und seiner Gnaden Harbans Bericht zu Ende gelauscht. Ebenso waren Ratsmitglied und Bürgermeisterin Ferdana, Ritterin Leudane und Magd Cirane vor euch zu uns gestoßen, auch ihnen gebührt unser Ohr. Wisst ihr während unserer regelmäßigen Kränzchen hier genießen wir alle einen großen Respekt voreinander, so auch Eurem Anliegen gegenüber, doch kommt alles zu seiner Zeit.”

Am Gesicht des Garm konnte Felian ablesen was dieser von so etwas hielt, die Grumharrenerin wiederum schien freudig irritiert, ebenso wie des Garms Knappin. Malagant und Hogenthal beobachteten wie immer die Reaktion des anderen und er selbst war ein wenig vor den Kopf gestoßen, doch akzeptierte er die unüblichen Gepflogenheiten des Baronhofes und seiner “Schlangenkränzchen”, machte sich aber innerlich bereits Notizen. Das schien interessant zu werden.