Geschichten:Verschollen im Reichsforst

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Verschollen im Reichsforst


Im Tempel der schweigenden Wacht zu Waldfang, im Ingerimm 32 Hal


Es klopfte leise an der Tür.

»Herein!«, erwiderte Atheran Zobel, ohne von den Dokumenten aufzublicken, die er gerade aufsetzte. Schnell wurde die Tür geöffnet, und Schwester Alara von Streitzig schlüpfte hindurch. Atheran sah dennoch nicht auf. Der Landmeister des Ordens der Golgariten, die hier im neuen Borontempel der Schweigenden Wacht stationiert waren, wußte instinktiv, dass es Alara war, die in seine Stube getreten war. Geduldig wartete sie nun, dass er seinen Brief zuende schrieb; er hatte ohnehin nur noch wenige Zeilen zu schreiben. Schließlich löschte er die feuchte Tinte mit etwas Sand ab, schüttete diesen zurück in eine Schale, faltete den Brief zusammen und legte ihn an die Seite. Danach wandte er sich der Ritterin zu.

»Nun, was gibt es?«fragte er.

»Borwulf, Alrik und Heldan sind nun schon fünf Wochen überfällig. Was mag ihnen nur zugestoßen sein? Wir haben noch immer keine Nachricht oder sonst irgendeine Kunde von ihnen erhalten. Ich mache mir Sorgen.«

»Es ist schon mehr als ungewöhnlich und paßt keineswegs zu Borwulf, da hast Du wohl recht. Ich frage mich auch schon eine geraume Weile, was passiert sein mag, doch will mir weder eine vernünftige Erklärung kommen noch der Herre Boron ein Traumgesicht gewähren.« Atheran schwieg einen Augenblick. »Ich hoffe, nein, ich weiß, dass sie noch leben.«

»Dein Wort in Borons Ohr«, entgegnete Alara, »doch ich denke, es ist an der Zeit, sich Gewißheit zu verschaffen und Nachforschungen anzustellen.«

»Dem stimme ich zu«, pflichtete Atheran ihr bei, »es ist einfach zuviel Zeit vergangenen, als das wir weiter warten könnten. Wir sollten nach ihnen suchen.«

Plötzlich erhellte sich Alaras Miene, und es kam ihr eine Idee. »Weißt Du, was es auch bedeuten könnte? Sie haben etwas gefunden. Borwulf und Alrik sind erfahren genug, um nicht einfach in der Wildnis umzukommen, und auch Heldan hat seine Knappenzeit bald hinter sich gebracht. Da müßte ihnen schon ein sehr großes Unheil widerfahren, das sie zu dritt einfach verschwinden...«

Der Landmeister nickte bedächtig. »Diese Überlegung ist nicht verkehrt. Wir sollten wirklich eine weitere Mission unternehmen. Vielleicht sind wir den verfluchten Rubinbrüdern doch näher auf den Fersen als wir ahnen.«

»Aber wir können schwerlich alle gehen, ansonsten wäre der Tempel schutzlos. Wer weiß, vielleicht warten sie nur darauf, dass wir den Tempel varlassen, um hier neues Unheil zu stiften. Die Namenlosen Tage sind nicht mehr allzu weit, und da haben sie hier schon einmal Götterlästerliches getan.«

»Wir brauchen Unterstützung«, murmelte Atheran mehr zu sich selbst. »Vielleicht sollten wir uns an einige Barone wenden. Hatten nicht irgendwelche Lande kürzlich erst wieder mit Überfällen zu kämpfen, die den roten Schergen zugeschrieben wurden?«

»Ja, es gab Berichte aus Falkenwind und Uslenried; dort wurde sogar der Zug des Barons überfallen, als er auf der Heimreise aus Puleth war, sagt man.«

»Dann wollen wir uns doch zunächst an diese beiden wenden. Baron Uslenried war doch ein Streitzig, richtig?«

Alara nickte. »Er ist das Oberhaupt des jüngere Hauses unserer Familie.«

»Das mag uns nützen, dass ihr zwei weitläufig verwandt seid. Hast Du ihn bereits einmal getroffen?«

»Ein paar Male, als wir noch jung waren; er ist ja nur wenig älter als ich. Damals war er mit seinen Eltern bei Vater zu Besuch, und zuweilen treffen sie sich noch; zuletzt wohl vor einiger Zeit im albernischen Bredenhag...«

»Sehr gut. Ich werde sogleich eine Depesche an den Baron aufsetzen, die Du ihm persönlich überbringen und unser Anliegen noch einmal vortragen wirst. Ich denke, er wird uns helfen. In einer Woche werde ich mit den anderen aufbrechen und Dir folgen. Wir treffen uns dann dort in Uslenried.«

»Und wer bewacht den Tempel?« gab die Ritterin zu bedenken.

»Diese Aufgabe werde ich Marbold übertragen. Sein gebrochener Fuß ist ohnehin noch nicht ganz verheilt, da kann er hier die Stellung halten und sich in der Kunst des Schweigens üben.« Ein Lächeln huschte über die Gesichter der beiden Ordensritter, denn Bruder Marbold war dafür bekannt, für einen Boronsdiener viel zu viel zu reden...

Zwei Stunden später hatte Alara ihre Sachen gepackt und das Pferd gesattelt. »Borons Segen mit Dir« sagte Atheran und überreichte ihr die Schriftrolle, die für den Baron von Uslenried bestimmt war. Alara steckt die Schriftrolle in die Satteltasche, entgegnete den Gruß und führte ihren Rappen vom Tempelgelände. Dann erst saß sie auf und ritt los.

Atheran sah ihr nach, bis sie am Horizont verschwunden war. Dann rief er Jeldan, den Ordensknappen, herbei, überreichte ihm zwei weitere Depeschen und schickte ihn hinüber in den Ort Waldfang zur Botenstation. Schließlich sollten auch Baron Falkenwind und der garetische Ordenskomtur in Kenntnis gesetzt werden...


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Autoren: C. Daether