Geschichten:Tauben und Wölfe - Reisende Helden
In der Baronie Osenbrück, am Nachmittag des 30. Peraine 1032 BF
Über die Nacht hatte es sich ausgeregnet, und so kamen Wulf mit seinen Mannen ausreichend schnell vorwärts. Es war ein wirklicher Vorteil, daß man zumindest in den Sommermonaten einigermaßen passable Wege zum Reisen hatte, und so folgten sie dem Grafenstieg, jenem Weg, der von Usla aus in die Silzer Lande und dorten weiter nach Norden bis hin nach Osenbrück führte. Von dort würde man schon einen geeigneten Pfad bis hin zur Burg finden. Im Winter hingegen waren einige Wegstellen zumeist unpassierbar, und gelegentlich begab es sich solches auch im Sommer, wenn der Wald mit seiner ungestümen Natur begann, die huckelige Straße zu überwuchern. Vor einiger Stunden hatten sie schon die Abzweigung zum Klosten Gansbach passiert und vor kurzer Zeit wohl auch die Grenze nach Osenbrück überschritten.
Yalinda hatte, gleichsam über den Zustand der Wege nachdenkend, bereits die Frage geäußert, wie lange wohl die Söldner aus Sertis bis Osenbrück brauchen würden, die zwar kaum mehr Wegstrecke zu bewältigen hatten, dafür aber kaum auf ausgebauten Wegen marschieren konnten. Eigentlich wußten sie noch nicht einmal genau, was sie nun wirklich in Osenbrück erwartete, und in erster Linie war ihr Marsch ein Freundschaftsdienst an den Hartsteener Pfalzgrafen, der in den letzten Monaten irgendwie ein wenig über sich hinausgewachsen war; andere hätten es vielleicht auch größenwahnsinnig genannt. Erst die Entführung des geismartreuen Barons von Hutt, dann der offensichtliche Racheakt seiner Gegner mit der Ermordung seiner Familie und nun ein Duell auf’s Dritte Blut mit einem seiner Erzfeinden vom Ritterbund der Pulethaner – wußten die Zwölfe, was da los war. Yalinda hingegen hatte nicht vor, sich selbst oder die Söldner auf irgendeine Art und Weise in eine Fehde zwischen Pfortenrittern und Pulethaner mit hineinzuziehen, falls Hilberts Bestrebungen darauf hinauslaufen sollten, und darob mit ihrem Bruder am Abend noch ein Gespräch unter vier Augen geführt. Wulf war im großen und ganzen ihrer Meinung gewesen; allerdings war er auch der Meinung, daß die Pulethaner in Waldstein nichts verloren hatte. Kein Waldsteiner gehörte den Pulethanern an, und das war seiner Ansicht nach auch gut so.
Über die Zeit des Marschierens war der Tag schon wieder weit fortgeschritten, doch bis zur Burg war es, wie einige ob der größen Söldlingshorde eingeschüchtert wirkende Bauersleut versicherten, kaum mehr den eine Stunde Wegstrecke, wenn man zu Fuß unterwegs war. So ließ Wulf die Wölfe an der nöchsten geeigneten Stelle am Wegesrand lagern, zunächst unter dem Vorwand einer Pause.
Nachdem er selbst einige Schlucke Wasser aus der Feldflasche getrunken hatte winkte er Yalinda, Jessa und Alcara herbei, um das weitere Vorgehen mit ihnen abzustimmen.
»Bis Osenbrück ist es nicht mehr weit, oder?« fragte seine Leibwächterin, und Wulf nickte.
»Ja, wir sind fast da. Aufgrund der unklaren Lage halte ich es für das beste, wenn wir hier zunächst ein Lager aufschlagen. Das Wetter sieht mittlerweile ja einigermaßen trocken aus, so daß wir auch im Freien nächtigen können.
Alcara Riena schaute ihn verwirrt an, die Augenbrauen hochgezogen. »Wir sollen hier draußen schlafen? Ohne ein Dach über dem Kopf?« Wulf lächelte amüsiert. »Ja, natürlich. Aber nicht alle. Ich werde vorangehen nach Osenbrück und schauen, was sich dort so tut. Vielleicht habe ich ja die Gelegenheit, vor der schicksalhaften Begegnung mit dem Höllenwaller noch ein paar Worte mit Hilbert zu wechseln.«
»Immerhin könnten es die letzten sein«, witzelte Yalinda.
»Nun, das mögen die Zwölfe morgen entscheiden. Aber ganz gleich wie es ausgeht, ich wäre gerne dabei. Und da ich nicht weiß, wie es auf der Burg zugeht, werdet ihr mich begleiten.« Er blickte in die Runde über Jessa, Gerban und Alcara, die sogleich beruhigter wirkte, konnte sie nun doch annehmen, nun doch unter einem festen Dach nächtigen zu können. Dann wandte er sich seiner Schwester zu. »Du wirst mit den Söldnern hier bleiben. Morgen früh marschiert ihr weiter, gerade so weit, daß man Euch von der Burg aus nicht entdecken kann. Meinetwegen könnt ihr bis auf eine Meile herankommen.«
Yalinda nickte. »In Ordnung. Und weiter?«
»Wenn wir euch brauchen, schicken wir Gerban oder Bertrand«, erwiderte Wulf und gab Jessa damit zu verstehen, daß auch ihr Novize sie begleiten sollte, was die Korgeweihte zum Anlaß nahm, diesen herbeizuwinken. Gerban von Hallerstein, der Knappe des Barons, stand ohnehin wie üblich in zweiter Reihe parat und bekam die Informationen auf diese Weise mit.
»Damit wären wir zu fünft als bunt gemischte Gruppe unterwegs und dürften wohl kaum auffallen; reisende Glücksritter gibt es dieser Tage ja wahrlich genug.«
Anders als von Wulf insgeheim befürchtet gab es am Tor der Burg Osenbrück keine Probleme, obwohl die Ordensritter ihn wie auch alle anderen Beteiligten des Massakers von Mühlingen immer noch mit einer gewissen Abneigung betrachteten. Andererseits gab er sich, wenn man ihn danach fragte, als Wulfhardt aus Rallerquell, und da er nur wenige Ritter des Schwerterordens jemals getroffen hatte war die Wahrscheinlichkeit recht gering, daß man ihn zufällig erkannte.
Sie bekamen ein Schlafstatt unter dem Dach der Vorburg zugewiesen und zogen sich auch alsbald dahin zurück, nachdem sich abzeichnete, daß Wulf am Abend keine Gelegenheit mehr bekommen würde, mit Hilbert zu sprechen. Und wollte er noch nicht riskieren, einem der übrigen Adligen des Reiches über den Weg zu laufen; es mußte noch niemand wissen, daß er hier weilte. Gerban und Bertrand hingegen hatten schon herausbekommen, daß das Duell im frühen Morgengrauen stattfinden sollte, und so legten sie sich alsbald zur Ruhe. Der kommende Tag versprach spannend zu werden, und mit Ausnahme von Alcara Riena wollte keiner von ihnen den Kampf verpassen.