Geschichten:Vom Regen in die Traufe - Teil 4
Maarblick, Ende Rondra 1029 BF
Sie saßen gemeinsam in dem kleinen Speisesaal des Gorsinger Hauses mitten in Maarblick. Nimmgalf wunderte sich über das Erscheinungsbild des einstmals hübschen Städtchens im Zentrum Garetiens. Die Tore waren verschlossen, stets patrouillierten einige Gardisten auf den Mauern, schwer bewaffnet, die von der Junkerin aus eigener Tasche bezahlt wurden. Die Halbelfe wandte scheinbar nun zur Sicherheit ihrer Pfründe und ihrer Untergebenen viel Geld auf, so schätzte der Gründer der Reichsforster Liga es ein.
Der Baron von Hirschfurten war ein gerngesehener Gast im Gorsinger Haus und wurde dort als Freund willkommen geheißen und bewirtet. Doch die friedliche Idylle Maarblicks, die er gemeinsam mit seiner geliebten Aidaloê genossen hatte – ein traviagefälliger Hort der Einkehr – war von den letzten Ereignissen überschattet worden. Auch hier war der Krieg nicht spurlos vorübergegangen und so war Ferinstein über sich hinaus gewachsen.
Jetzt saß er mit der hübschen Halbelfe am Tisch und trank eine Tasse heißen Tees. Aidaloê sprach kein Wort, sondern sah Nimmgalf mit einem unergründlichen Gesichtsausdruck an. Überhaupt schien es, als habe sie sich über die letzten Monde verändert. Sie war ruhiger geworden, ihr Blick fester, ihre Stimme stärker. Ein leises Klacken riss ihn aus seinen Gedanken. Aidaloê hatte ihre Tasse abgesetzt und sah Nimmgalf nun fest an. „Nimmgalf, viel ist geschehen in den letzten Monden ...“ Es war als habe sie seine Gedanken gelesen. „Ich freue mich wirklich, dass Du hier bist. Ich habe dich vermisst.“ Da war sie, die Zärtlichkeit, die er an ihr so liebte. Sie strich sich mit ihrer typischen Handbewegung durch das goldblonde Haar, welches wie gehabt offen an ihr herunter fiel. Das war es nicht, was sich verändert hatte.
Er dachte an die letzte Nacht zurück. Sie hatten sich geliebt, Rahjas Geist war bei ihnen gewesen und hatte ihnen eine berauschende Nacht geschenkt. Ihm war aufgefallen, dass Aidaloê sehniger geworden war. Sie hatte ihm berichtet, dass sie nun regelmäßig Unterricht in mehreren Waffengattungen bekam und sich umfassend praktisch und theoretisch in der Kriegskunst gebildet hatte. Ja, sie hatte sich verändert...
„Wie ist es dir in den letzten Monden ergangen?“ Wieder war er abgelenkt gewesen, wieder hatten sich seine Gedanken im Kreis gedreht, wieder hatte ihn die melodische Stimme der Junkerin aus diesen Gedanken gerissen zurück in die Wirklichkeit. Doch es war eine schöne Wirklichkeit, denn er war hier, bei ihr. Sie sah ihn aus ihren elfischen Augen heraus an, doch es war, als sei die Naivität darin verschwunden. Doch er las auch Besorgnis, Anteinahme, Mitgefühl ... und Liebe. Doch er wusste, dass ihre Liebe schon bald auf eine harte Bewährungsprobe gestellt werden würde.
Burg Luring, 4. Efferd 1029
Mit dreien seiner getreuesten Ritter, namentlich Adhumar von Rosshagen, Tsaiane von Talbach und Friedward von Plötzingen, die alle drei hohes Ansehen in der Reichsforster Liga genossen, war Nimmgalf nach Luring geritten. Er hatte viele Dinge mit seinem Freund und Bundesbruder Danos zu besprechen, aber auch mit Ederlinde wollte er wichtige Gespräche führen. Nach dem leider recht kurzen Aufenthalt bei Aidaloê in Maarblick war er auf der Reichsstrasse 6 weiter gen Luring gereist.
Nachdem er und sein Gefolge auf der prächtigen Burg Luringen im Norden der gleichnamigen Stadt freundlich in Empfang genommen worden waren und ihre Gemächer bezogen hatten, begaben sich die Herrschaften in den großen Rittersaal, um dort wichtige Dinge mit dem Burgherren zu bereden. Auch Ederlinde, die Nimmgalf einige vielsagende Blicke zuwarf, gesellte sich alsbald zu den Herrschaften hinzu.
Die Reichsforster Liga hatte ihre Feuertaufe auf den Avesfeldern vor Gareth erfolgreich hinter sich gebracht und ihre Schlagkraft eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Die Verluste in der Schlacht hielten sich glücklicherweise in Grenzen – nur zwei Ritter und etwa ein halbes Dutzend bürgerliche Streiter waren nicht mehr vom Schlachtfeld zurückgekehrt. Nimmgalf war es inzwischen gelungen, diese Verluste zu ersetzen und plante bereits seit längerem die Größe der Liga durch Neuanwerbungen zu erweitern, die er den Anwesenden nun präsentierte:
„Ich stelle mir vor, dass wir die Liga binnen drei Monaten wenn die Erntezeit vorbei ist und die Kornspeicher wieder gefüllt sind auf eine Kopfzahl von insgesamt 300 Leuten aufstocken können, die ich in 10 bei Bedarfsfall schnell einzuberufene Scharen, die in etwa der Größe eines Halbbanners von früher entsprechen werden, unterteilen will. Langfristig soll die Liga in etwa Regimentsgröße erreichen mit etwa ein bis zwei Scharen für jede Baronie der Grafschaft inklusive Kaiserlich Randersburg. Es stellt sich nur die dringende Frage der Finanzierung. Mit den zugesagten Mitteln meines Onkels können wir jetzt schon zumindest zwei Drittel der Grundausstattung und des Unterhaltes zweier weiterer Scharen finanzieren, weitere Zuwendungen erwarten wir aus Schwarztannen und Waldfang. Jedoch müsstet Ihr, werter Graf Danos, den Hauptanteil aus den Kassen Reichsforsts aufbringen, da ja schließlich die Grafschaft…“
„Ich bedaure sehr!“ unterbrach ihn Danos für seine Art ungewöhnlich barsch. Nimmgalf und die anderen blickten ihn überrascht an. „Die Art wie Ihr, werter von Hirschfurten, Euch die Dinge vorstellt, scheint mir doch ein wenig blauäugig zu sein.“
Nimmgalf war es gewöhnt, dass sein Freund bei offiziellen Anlässen die vertraute Anrede wegließ, aber dennoch überraschte ihn der unfreundliche und widerwillige Ton in seinen Worten. „Aber, Hochwohlgeboren, warum…“ „Reichsforst hatte große Auslagen gerade in den letzten beiden Jahren, die ja bekanntlich für das ganze Königreich äußerst kräftezehrend waren. Eure Reformen mögen sinnvoll sein und durchaus ihre Berechtigung haben, aber dennoch braucht ihre Umsetzung Zeit. Derartige Summen, wie sie Euch vorschweben, kann Reichsforst derzeit nicht aufbringen. Daher sollten wir an einer angemessenen und planvollen Vorgehensweise arbeiten und keinen blinden Aktionismus walten lassen.“ Danos atmete ein paar mal tief durch, doch da keiner der Anwesenden widersprach fuhr er fort: „Ohnehin liegt es in der Pflicht und Verantwortung eines jeden Ritters, das ihm verliehene Lehen und seine Untertanen zu schützen. Wenn jeder Baron angemessene Mittel aufwendet, um eine schlagkräftige Hausmacht zu unterhalten, werden wir eine Streitmacht wie sie Euch, Nimmgalf, vorschwebt hier in Reichsforst nicht brauchen. Zumal die benötigten Waffendienste auch durch Fronleistungen eingefordert werden können. Es ist praiosgewolltes Recht und auch die Pflicht eines jeden Adeligen, für das Wohl seiner Untertanen mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu sorgen.“
Nimmgalf und Ederlinde blickten einander an und ihre Blicke tauschten mehr Informationen als Worte es vermochten. Die Ritter der Reichsforster Liga wagten es kaum, dem Grafen zu widersprechen. Nachdem die Gespräche noch eine zeitlang fortgeführt worden waren, verabschiedete sich Ederlinde von den Versammelten mit den Worten: „Edle Dame, werte Herrschaften, nun entschuldigt mich bitte, aber die Pflichten rufen mich.“ Sie blickte Nimmgalf an: „Hochgeboren, falls Ihr oder Eure Getreuen noch etwas benötigt, so lasst es mich wissen. Ich werde mich so bald es mir möglich ist darum kümmern.“ „Aber selbstverständlich, teuerste Ederlinde, und vielen Dank für eure Gastfreundlichkeit.“ Mit einem angedeuteten Handkuss verabschiedete Nimmgalf Ederlinde, die daraufhin mit einem höflichen Knicks den Saal verließ. Der Baron blickte ihr etwas gedankenverloren nach.
Er würde sie noch einmal unter vier Augen sprechen müssen, aber das konnte noch warten.