Geschichten:Sertiser Hühnchenschenkel
Kaiserlich Sertis, Anfang Boron, Pfalz Breitenhain, Küche
»Köstlich, dieser Hühnerschenkel! Wirklich! Ganz delikat«, sagte, vielmehr schmatzte der Pfalzgraf wenig standesgemäß am fleckigen Küchentisch, während sein Adlatus Reo Rondriol vom Wirsel schaudernd daneben stand.
Seitdem es zwischen seinem Herrin Hilbert von Hartsteen und dessen Gemahlin Isa von Mersingen während eines Abendessens vor der versammelten Dienerschaft einen heftigen Streit gegeben hatte, in dessen Verlauf sich der Pfalzgraf in einige sehr unflätige Vergleiche für seine Gattin und ihrer Familie verstiegen (unter anderem war das Wort „Rattenpilze“ dabei gefallen) und der Reichsrichter aus Garetien einen prall gefüllten Weinkelch in Richtung der schweigenden Marbiden hinter seiner Frau geworfen hatte mit den Worten, er könne diesen Gestank des Todes während seines Nachtmahls nicht länger ertragen, wurde der Speisesaal der Pfalz nur noch von des Pfalzgrafen Gattin und ihrer Gefolgschaft genutzt.
»So, Wirselchen, wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, genau, Ihr hattet mir diese köstliche Anekdote über den Versuch von diesem Kehraus berichtet, den Adel davon zu überzeugen, dass er doch tatsächlich das Format habe die Garetier gegen Haffax ins Feld zu führen. Nein, wirklich köstlich. Das Hühnchen.«
»Nun, so abwegig wäre die Personalie Keres gar nicht. Er ist ein erfahrener und tapferer Kämpfer, neutral, loyal und zuverlässig«, versuchte Reo Ronriol vorsichtig für den Kaisermärker Adligen eine Lanze zu brechen, was nur zu einem weiteren Heiterkeitsausbruch Hilberts führte.
»Als ob das die Eigenschaften eines guten Heerführeres wären, Wirselchen. Das sind gute Eigenschaften eines Streitrosses, eines Axtschwingers, meinethalben auch die eines guten Adjutanten im Feld, aber ein Heerführer? Da braucht es doch schon viel mehr. Der Auftritt eines geborenen Anführers lässt den Saal verstummen und niemand wagt es seine Befehle anzuzweifeln. So wie ich damals im Schlund, erinnert Er sich? Als ich auf den Tisch gestiegen bin und die hoffnungsvollen Augen der versammelten Adligen auf mir ruhten.« Hilbert wedelte mit dem fetttriefenden Schenkel herum, ohne darauf zu achten, dass die braune Tunke frei in der Kücher herumflog und auf seinen Wams tropfte.
»Wollt Ihr etwa selber Euren Hut in der Ring werfen?«, fragte der Kastellan mit offener Verwunderung, die ein Menschenkenner leicht für Entsetzen deuten konnte.
»Ich? Ach wo! Obwohl ich es durchaus könnte! Aber ich will durchaus Anderen Vortritt lassen. Ich habe mich durchaus noch nicht entschieden, wem ich meine Stimme geben werde. Sowohl der gute Nimmgalf wie der tapfere Wulf sind sicherlich beides gute Kandidaten. Aber auch jemanden wie den tollkühnen Hadrumir kann ich mir sehr gut vorstellen. Wer, wenn nicht der Schwingenfelser, hat in den letzten Jahren bewiesen, dass er auf dem Feld eine echte Größe darstellt? So sehr ich Nimmgalf schätze, aber dessen letzten Unternehmungen waren doch ziemliche Niederlagen. Leihenbutt war ein Pyrdacorsieg, von der peinlichen Niederlage vor Silberblick ganz zu Schweigen. Nein, bei jemanden wie Hadrumir kann man sich darauf verlassen, dass der unsere Truppen zum Sieg führen würde. Aber auf keinen Fall will ich Ugo, hörst du mich, Wirsel? Dieser giftige und gichtige Menschenschinder kann ja meinethalben die Goldene Lanze anführen, aber alle Garetier? Da wird mir schlecht, bei diesem Gedanken!«
»Und was wäre mit jemanden wie Firunslicht oder dem Hexenhainer? Auch das sind sehr erfahrene Kämpfer, beide jahrelang im Kampf gestählt und bewährte Anführer«, meldete sich Reo Rondriol mit leise Stimme.
»Aber das sind keine Garetier. Bevor ich einem Orken oder einem Trollberger in die Schlacht folge, die ihren Gegnern das schlagende Herz aus der Brust reißen und blutig verspeisen, sollte doch lieber ein zivilisierter Adliger aus altem Haus und nicht so ein Kaisermärker Emporkömmling, der wirklich glaubt die Kaiserin und das Reich schere sich einen Kreuzer um ihn und seine Hexenclique. Diese Stadtadligen aus Gareth sollen mal lieber in ihren Garether Vorortvillen bleiben und die Führung über das Königreich den Leuten überlassen, die wirklich etwas davon erstehen.«
Hilbert hatte sich in Rage geredet und war während dieses Monologes mit geröteten Kopf aufgestanden. Er hielt inne und atmete kurz durch, während er mit seiner Rechten ein feines Taschentuch aus seinem Wams zog und seine Kleidung und seine Hände von den Essensresten reinigte. Dabei bemerkte er den leicht angespannten Blick seines Kastellans.
»Weisst du, Wirselchen, eins muss man der Dicken Jadviga lassen. Sie weiß genau, wie man mit diesen Hühnchen richtig umspringen muss.«