Geschichten:Schimpf und Schande - Teil 4
4. Befehl und Ungehorsam
Burg Greifenklaue zu Uslenried, zweite Firunwoche 1033 BF
Das Feuer prasselte leise im Kaminzimmer der Burg Greifenklaue. In der kalten Jahreszeit ließ es sich hier einigermaßen aushalten, derweil man sich in der Hohen Halle den Allerwertesten abgefroren hätte. Die Stimmung hingegen trotz der angenehmen Wärme vor wenigen Augenblicken umgeschlagen und ebenso frostig wie die Laune und Miene des Barons von Uslenried.
»Und Du bist Dir ganz sicher?« fragte Wulf von Streitzig j.H. zur Greifenklaue noch einmal, denn er wollte noch immer nicht recht glauben, was er gerade erfahren hatte. In der garetischen Staatscantzeley hatte man entschieden, Nimmgalf von Hirschfurten zu entlehnen; Leihenbutt sollte ihm genommen werden. Sicher, die Machenschaften seiner früheren Gattin Simiona waren ein bekannter Fleck auf seiner Weste, doch die Gefahr war vorüber, das Unheil gebannt.
»Du musst natürlich zugeben, dass Nimmgalf wirklich nicht allzu oft in Leihenbutt weilt«, nahm Cern von Aschenfeld den Faden auf. Der Hauptmann der Uslenrieder Truppen und Freund aus Knappentagen war deutlich um Vermittlung bemüht.
»Da hast Du wohl recht. Andernfalls hätte der Staatsrat wohl kaum so entschieden.« Kira, ein entfernte Base des Barons, war es, die nun sprach; sie war gegen Mittag auf der Burg angekommen und hatte die Kunde aus Gareth mitgebracht und soeben verbreitet.
»Schroeckh ist zu so einer Überlegung doch gar nicht imstande«, grummelte Wulf. »Von selber wäre der niemals auf den Gedanken gekommen, dafür ist er viel zu feige. Da muß etwas anderes hinterstecken.«
»Nun, es geht das Gerücht, dass die Gräfin selbst in die Angelegenheit involviert ist. Das habe ich natürlich auch nur vom hörensagen, aber an den meisten Gerüchten ist ja ein Körnchen Wahrheit dran.« Kira knetete ihre Finger, als wären sie noch immer steif von der Kälte des Winters, die draußen herrschte.
»Die Gräfin, dass ich nicht lache. Die Elfe ist doch noch weniger in Silz oder Hirschfurt als Nimmgalf in Leihenbutt!« Wütend war Wulf aufgesprungen und wollte gerade mit der Hand auf die Sessellehne schlage, als sich seine Miene aufhellte. »Natürlich, dass ist es! Dieser Schweinehund!«
Verwirrt sahen sich die übrigen versammelten an. Sinya hatte noch kein Wort dazu gesprochen, und Yalinda zuckte nur mit den Schultern, als die ihre Schwägerin sie fragend ansah.
»Coswin«, fauchte Wulf indessen. »Gleich morgen reise ich nach Hirschfurt und nehme mir den Verräter vor. So haben wir nicht gewettet!« Der Baron eilte zur Tür hinaus; seine Anverwandten hörten ihn noch nach seinem Knappen rufen.
»Coswin?« fragte Kira. Sie reiste viel umher und war weit mehr anderswo anzutreffen als in ihrer Waldsteiner Heimat. Das sie just dieser Tage hierher kam und die Nachricht mitbrachte, war reiner Zufall gewesen; auf der Reise hatte sie die Gerüchte in Gareth aufgeschnappt und ein wenig nachgeforscht, aber nicht mehr als das Berichtete in Erfahrung bringen können.
»Coswin ist ein entfernter Vetter«, beantwortete Yalinda die Frage ihrer Cousine. »Vor gut eineinhalb Jahren hat Wulf ihm auf den Posten des Grafschaftsrates verholfen, um den Einfluß der Familie zu mehren. Scheint, dass es nicht die beste Idee war…«