Geschichten:Gedankengift Teil 21

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Samlor, Baronie Hirschfurten, 22 Travia 35 Hal:

„Herr des Todes, einen Menschen will ich dir anempfehlen, dir, dessen Wirken beendend ist. Lass deine göttliche Gerichtsbarkeit den Urteilsspruch für diesen Derensohn finden. Er schied aus unserer Welt und wir, die wir zurückgeblieben sind, vermögen nicht zu sagen, nach welchem der zwölfgöttlichen Paradiese sein Herz sich sehnt, wo seine Seele Einlass begehrt. Schicke deinen Raben aus, diese rastlose Seele zu finden. Möge Golgari sie führen vor Rethon, die Allwissende. Möge diese Seele nach deinem Urteil finden, was für sie bestimmt ist.“

Die Worte des alten Borongeweihten verklangen ruhig aber dennoch weithin hörbar, was ob der zahlreichen Gäste, die sich zur Beisetzung von Baron Radulf von Hirschfurten eingefunden hatten, recht verwunderlich war. Nachdem er das Zeichen des gebrochene Rades über dem Leichnam geschlagen hatte, wurde dieser von acht Trägern in seinem prunkvollen Sarg in die Familiengruft derer von Hirschfurten gebracht. Nimmgalf, diesmal ganz in schwarz gekleidet, nahm im Stillen Abschied von seinem Onkel, dem er gerade in der letzten schweren Zeit so viel zu verdanken hatte. Mit Tränen in den Augen verfolgte seine Blicke die letzte Reise unter die Erde.

An seiner Seite stand Aidaloê, die ihm Mut zusprach und ihn zu trösten versuchte. Sie trug einige zwölfgöttliche Schutzamulette bei sich. Dies tat sie, weil Nimmgalf ihr eingeschärft hatte, dass es derzeit für sie recht gefährlich war, sich in der Öffentlichkeit in seiner Nähe zu zeigen – schließlich konnte man nie wissen, was für neue Schandtaten Simiona ausgebrütet hatte. So sehr sich Nimmgalf auch um Aidaloês Wohlergehen sorgte, so glücklich war er auch, dass sie ihm in dieser schweren Stunde beistand. Auch andere teilweise sehr namhafte Gäste waren gekommen. Neben seinen Freunden von den Pfortenrittern hatte Nimmgalf bereits den neuen Grafen zu Eslamsgrund, Siegeshart von Ehrenstein, den umstrittenen Grafen von Hartsteen, Luidor von Hartsteen, Vogt Hal von Ehrenstein, Baron Wulf von Streitzig zur Greifenklaue und etliche weitere hochadelige und niederadelige Gäste begrüßt. Auch Ederlinde von Luring war stellvertretend für ihren Vater, den Grafen Danos von Luring gekommen. Bei der Begrüßung war Nimmgalf der abschätzige Blick, mit dem sie Aidaloê bedacht hatte, nicht verborgen geblieben. Nimmgalf ahnte, dass er noch einige Probleme zu lösen hätte, bevor sich die Dinge so entwickelten, wie er sich das vorgestellt hatte.

Auch Aidaloê hatte die Komteß mit einem Blick bedacht, der aber von elfischer Unergründlichkeit geprägt war. In ihr schwammen einige, verschiedenste Gefühle herum – denn sie liebte Nimmgalf, wusste aber, dass sie mit einer Grafentochter standesgemäß nicht konkurrieren konnte. Andererseits wollte sie auch keine bessere Mätresse von Adel sein. Und zum dritten war da die sich anbahnende Ehe mit dem mächtigen Baron von Kaldenberg in den Nordmarken, die Alt-Junkeirn Traviadane von Rothammer-Gorsingen initiiert hatte. Wie sollte Aidaloê, die immer noch frisch und unerfahren im garetischen Adel war, da ihren eigenen Weg finden? Doch halb resignierend und halb mit dem Kampfgeist der Gorsinger unterdrückte sie all diese Gefühle und verblieb trotz Ederlindes abschätzigem Blick wie ein trotziges Kind an Nimmgalfs Seite.

Nachdem die Begräbnisfeierlichkeiten abgeschlossen waren begab man sich in das Gasthaus `am Rakulstein`, welches schnell aus allen Nähten zu platzen drohte. Einige der Gäste wollten die Gelegenheit nutzen, um dem jungen Baron, der nun in Kürze der neue Baron von Hirschfurten sein würde, und seinen Verwandten ihr Beileid auszusprechen, aber auch in eigener Angelegenheit zu sprechen.

Einer von ihnen war Luidor von Hartsteen, der auf der Beerdigung mit einer Eskorte von etwa einem Dutzend ihm treuer Ritter und einer stattlichen Anzahl von Soldaten erschienen war. Er stand in ein Gespräch mit Siegeshelm von Ehrenstein vertieft, als er den Gastgeber direkt in seiner Nähe sah. Sich höflich beim jungen Ehrensteiner entschuldigend, ging er auf Nimmgalf zu: „Die Zwölfe zum Gruße und möge der schweigende Herr sich der Seele eures Onkels gnädig erweisen.“

Nimmgalf dankte höflich und erwiderte den Gruß.

„So bedauerlich der Tod eines jeden trefflichen Mannes, wie es euer Oheim gewesen ist, auch ist, die Gerüchte sind nie verstummt, dass er sich lieber einen Raben, denn einen Fuchs, auf dem Raulschen Throne gewünscht habe. Uns kam zu Ohren, dass sich der längst vor Rethon befindlich Geglaubte von Norden her mit einer großen Streitmacht dem Herzen des Reiches zu bewege. Nun, ich verhehle unsere Sorge diesen Punkte betreffend nicht. Das Reich hat eine starke Führung in seinem Reichsbehüter, aber gegen alte Loyalitäten ist auch der Herzog vom Großen Fluss machtlos. Wem wird sich das Herz des neuen Barons von Hirschfurten zuwenden? Dem Recht oder dem Raben?“

Nimmgalf betrachtete den neuen Grafen von Hartsteen recht skeptisch. Was sollte diese Ausfragerei und dieses blasierte Gehabe? Er beschloss erst einmal vorsichtig zu antworten. Aidaloê betrachtete auch diesen Grafen, nachdem sie seine Worte vernommen hatte. Halb nur noch lauschte sie den Worten der jungen Baronesse Rallerspfort, die mit ihrem blasierten Gehabe versuchte, Eindruck auf die Junkeirn Ferinstein zu schinden. Doch nach einem kurz Blick in die Gedanken der Baronesse wusste Aidaloê, dass sie ebenso hohl war wie eine von einem Thorwaler geleerte Flasche Premer. Daher spitzte sie nun ihre elfischen Ohren – sofern das noch möglich war – und konzentrierte sich auf das politische Geschehen um sie herum. So hörte sie, wie Nimmgalf gerade weitersprach:

„Eure Meinung dazu, Hochwohlgeboren, sei Euch ungenommen, auch wenn ich sie nicht in allen Punkten teile. Ich kann sie zumindest in einem Punkt bestätigen: Answin ist mit einem gewaltigen Heer zurückgekehrt. Doch anders, als viele es wohl befürchtet haben, lenkte er es nicht gen Gareth, sondern gegen die Trollpforte wo der Feind alles Zwölfgöttlichen lauert. Ich selbst war dabei, als Answin den Sieg über die finsteren Schergen Rhazzazors davon trug, die sich in den Trümmern von Wehrheim verschanzt hatten. Nur Answin ist in der Lage, mit seinem Heer dem Reich wieder aus der Asche zu verhelfen. Und unser ach so starker Reichsregent hat bisher noch nichts getan, um unserem Königreich aus der Misere zu helfen. Stattdessen hat er alle seine verfügbaren Kräfte in den Krieg gegen Albernia geworfen, ein Land welches lange Zeit fest in Freundschaft an unserer Seite stand. Dies mag in seinen Augen notwendig gewesen sein, aber so können wir den Sieg über die wahren Feinde des Reiches nicht davontragen. Answin hingegen hat alle Macht, um dieses hehre Ziel zu erreichen. Und wenn Rohaja nach Gareth zurückkehrt, wird er sich ihr sicherlich anschließen und seine Truppen zum Wohle des Reiches einsetzen. Somit dürfte wohl klar sein, wem meine Loyalität gilt: dem Recht und dem Raben.“

„Verzeiht, junger Freund“, antwortete Luidor sanft. Ganz offensichtlich nahm er gewisse Untertöne in Nimmgalfs leidenschaftlicher Rede wahr, die ihn zur Vorsicht mahnten. „So wie Ihr nun sprecht habe ich einst viele tapfere Männer und Frauen sprechen hören. Unter anderem Euren Oheim, dem die Götter seine Fehler verzeihen und seine heldenhaften Taten belohnen mögen. Vertraut nicht auf den Raben. Er habe ein großes Heer, sagt Ihr. Aber wird er dann, wenn das Recht es von ihm fordert, das Schwert in die Hände dessen legen, der die Krone tragen wird? Wird er sie nicht eher für sich einfordern, wenn er tatsächlich mit seinem Heer das Land befreit? Ihr seid jung und voller Glaube an das Gute der Menschen, aber Ihr habt nicht das Gesicht des Raben gesehen, als seine Krähen den aufrechten Garetischen Adligen, die auf der Seite des Hauses Gareth standen, die Köpfe hat abschlagen lassen. Ihr habt nicht erlebt, wie er durch Lüge und Verrat in der Zeit, als der Ork gedroht hat, das Reich geschwächt hat.“

Nimmgalf wollte schon zu einer scharfen Erwiderung ansetzen, aber der Graf fuhr fort: „Er habe sich geändert und kehre reumütig zurück an den heimischen Herd, sagt Ihr. Ich prophezeie Euch, der Rabe wird den Tod mit sich bringen! Denn in seinem Gefieder sammeln sich jene, die gegen das Recht stehen. Aber nun entschuldigt, mich deucht, seine Hochgeboren von Zankenblatt wünschet Euch zu sprechen."

Der Baron zu Syrrenholt gesellte sich mit ruhigen Schritten zu den beiden Adeligen. Nach einem kurzen Gruß hin zum Grafen von Hartsteen und einem freundschaftlichem Nicken zu seiner Junkerin von Ferinstein wandte er sich zugleich seinem Freund und Bundesbruder Nimmgalf zu. Mit festem Griff umschloss der Baron mit beiden Hände die Rechte des Herrn zu Leihenbutt.

Nach diesem knappen aber dennoch innigen Händedruck sprach der Baron zu Syrrenholt mit einem tiefen Blick in die Augen seines Gegenüber: „Es ist ein hartes Los, dass Dir Deinen Oheim und mir einen teuren Nachbarn nahm.“ Dies war alles, was der Baron zu Syrrenholt zu sprechen im Stande war. Nimmgalf erkannte die tiefe Bestürzung in den wenigen Worten seines Freundes. Er ahnte, dass Erlan von Zankenblatt weit mehr über seinen Onkel Radulf wissen musste, als er selber, waren doch die Barone zu Syrrenholt seit je her benachbart zu den Landen Hirschfurten, während er selber in der entfernten Grafschaft Waldstein aufgewachsen war.

Es entstand ein kurzer Moment des stillen Gedenkens an den verstorbenen, ehe Luidor die Stille unterbrach: „Es ist wahrlich sehr verwunderlich“, wandte sich der Hartsteener auch an den hinzugetretenen Baron von Syrrhenholt, „dass mein Neffe, der Reichsvogt zu Sertis nicht erschienen ist. Habt Ihr etwas von ihm vernommen?“

„Verzeiht werter Luidor, Ihr sprachet von Hilbert? Nun, ist er nicht in Eurem Gefolge angereist? Nicht? So hoffe Ich inständig, dass ihm nichts Arges widerfahren sei. Wenn man bedenket, welch grausigen Umstände ihn während der Beisetzung Eures Onkels begleitet haben. Es gilt itzo wohl als gesichert, dass in jenen Tagen jene ruchlose Dame, welche wir alle nur zu gut kennen dürften, übles wider unseren Freund im Schilde führte! Es sollte unser aller Anliegen sein, die Zustände, die in den nördlichen Ländereien herrschen, im Sinne der gerechten und praiosgewollten Ordnung zu richten. Die Zeit ist reif.“

Nimmgalf dachte noch einmal an Simiona, die wie eine Spinne in seiner Burg Leihenbutt hockte und dort ihre Fäden zog. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er ihre Gegenwart erneut zu spüren bekommen würde. Er musste dem zuvorkommen. Die Gründung der Reichsforster Liga war ein erster wichtiger Schritt, doch nun galt es weitere Allianzen und Bündnispartner zu finden. Dabei musste er sorgfältig abwägen, ob die jeweiligen Partner Erfolg versprechend wären oder nicht. Diese Entscheidungen fielen ihm zum Teil sehr schwer, doch er war zuversichtlich, mit seinen Handlungen den richtigen Weg zu gehen. Das Jahr 35 Hal, welches sich als ein wahrhaftiges Jahr des Feuers entwickeln sollte, könnte die Entscheidung bringen.

„Wohl gesprochen, Erlan! Die Zeit ist reif für eine neue Ordnung. Und bei Praios, wir werden sie herbeiführen, koste es was es wolle!“


ENDE