Geschichten:Tsas Tränen - Überfall!
Dorf Steinfelde, Baronie Hutt im Travia 1030 BF
Der alte Peraine-Geweihte wischte sich den Schweiß vom Gesicht. Wie warm war dieser Herbst! Er blickte herum im Kreis der versammelten Bauern, die sich in ihren Festtagskleidern am Peraine-Schrein des kleinen Dorfes versammelt hatten. Aufgeregt huschten Kinder um die Beine ihrer Eltern und die zahlreichen Opfergaben, immer wieder wurden sie zurechtgewiesen und zur Ruhe gemahnt. Die Erntedankzeremonie war für die Landbevölkerung Hartsteens immer eine besondere Angelegenheit, für die meisten Bauern das größte Fest im Götterlauf. Mit einem Räuspern trat der Geweihte in seiner erdfarbenen Kutte nach vorne, hob die Arme und hielt seine jährliche Ansprache:
»Gütige Herrin Peraine! Voller Demut stehen wir heute vor Dir. Durch Deinen Segen und Deine Gnade sprießt das Korn der Felder und wachsen die Früchte der Bäume, dass sie uns nähren und erhalten. Gedankt sei Dir, gütige Mutter!«
Die versammelten Bauern stimmten in den Dankruf mit ein, einige Kinder kicherten und lachten.
»Gütige Herrin Peraine! Auch dieses Jahr hast Du uns in Deiner Gnade reiche Ernte geschenkt und prall gefüllt sind wieder unsere Speicher. Ein weiteres Jahr, um Dir zu dienen und Deinen Kindern das Leben zu ermöglichen.«
Lärm aus der Ferne ließ den Geweihten in seiner Andacht stocken und die Bauern schauten nervös um sich. Die dunklen Erinnerungen vom Überfall vor zwei Jahren waren noch längst nicht der Gnade Borons anheim gefallen. Die wankenden Körper toter Menschen und schwarzgerüsteter Söldner, die alles Lebendige mit höhnischem Lachen erschlugen. Das Knistern der brennenden Dächer. Das grelle Kreischen der Kinder. Die Luft blieb dem Geweihten weg und er starrte, ohne sich rühren zu können, mit aufgerissenen Augen zum Waldrand.
Dunkle Reiter brachen aus dem Dickicht und galoppierten auf die Häuser Steinfeldes zu. Ein Schrei löste sich und die Menge kam in Bewegung. Alles lief durcheinander. Kinder fingen an zu heulen und klammerten sich an die Röcke ihrer Mütter, einige rannten in Panik davon und andere suchten hastig nach irgendetwas, das sich als Waffe verwenden ließ, um ihre Haut so teuer wie möglich zu verkaufen. Das Dröhnen der stampfenden Hufe und das Gebrüll der Angreifer vermischte sich mit dem Wehklagen und dem Angstgeschrei der Überfallenen zu einer Kakophonie des Schreckens.
Da ertönte vom Herrenhaus her ein einzelnes Hornsignal klar über den Lärm. Manch einer hob den Kopf in die Richtung und gewahrte den Herren von Steinfelde samt seinem Waffenvolk aus dem Tor der Umwallung in voller Wappnung hervorpreschen und in gestrecktem Galopp über den Bach setzen, dessen Aue die herrschaftlichen Gutsgebäude vom Rest des Dorfes trennte.
Die ungefähr ein dutzend Angreifer, die gerade noch über die fast wehrlosen Bauern herfallen wollten, wurden nun selbst zu Überfallenen. Wild gestikulierend riss ihr Anführer sein Ross herum, gefolgt von einigen seiner geistesgegenwärtigeren Spießgesellen, um der Gefahr zu begegnen.
Doch zu spät. Mit voller Wucht krachte der schwer gepanzerte Steinfelder dicht gefolgt von seinen Neffen und Waffenknechten in die nicht gedeckte rechte Flanke der Strauchritter. Pferde strauchelten, Reiter stürzten und gerieten unter die Hufe der durchgehenden Tiere oder rissen andere mit sich. Lanzen brachen, Schwerter klirrten, Streitkolben fuhren auf Helme herab, Rüstungen schepperten, Kettenringe flogen durch die Luft, Wunden klafften, Pferde wieherten, Kämpfer schrieen und fluchten.
Zwar waren die Steinfelder in der Unterzahl, aber das Moment war auf ihrer Seite und nachdem die ersten Reiter gestürzt waren, griffen sich auch einige der Dorfbewohner ein Herz und rückten dem abgesessenen Raubvolk mit Knüppeln und Flegeln zu Leibe. Schließlich wandten sich die Angreifer unter Zurücklassung ihrer Kumpane zur Flucht, den Ritter und sein Gefolge noch einige Zeit auf den Versen.
»Die werden so schnell nicht wieder kommen, Oheim«, meldete sich Praioswin, des Ritters Neffe zu Wort, als die Steinfelder die Verfolgung abbrachen.
»Aber sie waren da und das gefällt mir ganz und gar nicht«, brummte der Ritter bärbeißig. »Ich habe keine Lust, mich für nichts und wieder nichts zwischen diesen Banditen und den Leuten des Quintian-Quandt, und insbesondere Schwingenfelserin, aufzureiben. Die rücken uns täglich immer näher auf den Pelz, da muss was geschehen.«
»Was denn zum Beispiel?« Neugierig hatte Praioswald, Praioswins Zwillingsbruder seinen Klepper näher herangeführt, als er die beiden reden hörte.
»Nun, wir haben etwas Zeit gewonnen. Die sollten wir nutzen und sowohl dem Baron, oder vielleicht besser noch Graf Luidor, klar machen, dass Steinfelde das nicht mehr lange aushalten kann.«
»Wen wirst du mitnehmen, wenn du nach Oberhartsteen reitest? Wäre doch nett, unseren kleinen Vetter Helmbrecht mal wieder zu sehen.«
»Ich werde Steinfelde nicht verlassen, nicht wo so viel Gesindel in der Gegend unterwegs ist.« Der Steinfelder zielte mit seinem gepanzerten Handschuh auf seine beiden Neffen. »Ihr werdet reiten und ein hübsches von Heiltrud verfasstes Schreiben abliefern, auf Antwort warten und dann unverzüglich zurückkehren, klar?«
Die beiden Edelknappen nickten, sahen sich gegenseitig an und das Zucken ihrer Mundwinkel verriet ihr innerliches Grinsen.
Die Bewaffneten erreichten schließlich die Einfriedung, welche das gesamte Dorf Steinfelde umzog. Die Dorfälteste kam ihnen, einen Großteil der Einwohner hinter sich, entgegen.
»Hoher Herr Praiodan, wir beglückwünschen Euch zu Eurem Sieg und …« Mit einer barschen Handbewegung unterbrach der Ritter den Redefluss der Frau. »Lasst es gut sein. Was ist mit der Habe der Halunken? Habt ihr die Pferde eingefangen?«
»In der Tat, aber nur zwei von denen werden noch zum Reiten oder Anspannen zu gebrauchen sein, Herr. Die anderen sind verletzt. Drei von den Strauchdieben sind noch am Leben, wir haben sie in Ulfriks Keller eingesperrt.«
Praiodan wandte sich an seine Waffenknechte. »Ihr! Den Leichen flux den Kopf abgeschlagen, auf Pfähle gespießt und am Waldrand aufgestellt. Das sollte eigentlich eindeutige Warnung sein. Und … malt ihnen noch das Praiosmal auf die Stirn.« Die angesprochenen machten sich davon, den blutigen Auftrag zu erfüllen.
Dann drehte er sich wieder zu den Dörflern: »Eine Grube für die Leichen. Und dann soll der Priester seines Amtes walten. Ich bin nicht erpicht darauf, die Halunken noch einmal erschlagen zu müssen.«
»Das geht leider nicht, Herr.«
»Warum nicht?«
»Der Herr Boron hat ihn geholt, Herr.«
»Narr! Was stellt er sich auch in den Weg bei einem Kampf.«
»So war es nicht, Herr. Wir glauben es war der Schreck. Wie es scheint, ist sein Herz einfach stehen geblieben, Herr. Er fiel mitten auf dem Dorfplatz, wo keiner der Angreifer je hin kam.«
»Ist sonst jemand zu Schaden gekommen?«
»Giselher wird eine Weile nicht laufen können und Walbirga ... tja, wir werden sehen.«
»Na gut, also zwei Gruben«, lässig schwang sich der Ritter vom Pferd.
»Und jetzt will ich mal sehen, was uns die Halunken in Ulfriks Keller vorsingen, bevor wir sie baumeln lassen.«