Geschichten:Das Schweigen im Walde I: Feuersbrunst - Teil 9
Erinnerungen VII – Ein Reich in Schutt und Asche
29. Peraine 1027 BF, am Abend
Die Schlacht war geschlagen, das Reich war siegreich gewesen und hatte doch verloren. Nach und nach erreichten die Nachrichten über alles, was sich in der Stadt zugetragen hatte, auch die garetische Staatskanzlei, in welcher sich der garetische Adel einfand, so man nicht ebenso wie Wulf überstürzt zum Reichscongreß nach Elenvina aufgebrochen war. Der Baron von Uslenried hatte sich lediglich noch einen Überblick verschafft und dann die Verantwortung für Kanzlei und Truppen in die Hände der ersten gegeben, denen er vertraute: Seiner Schwester Rondrina, den Hauptleuten Cern von Aschenfeld und Torias von Treuenbrück sowie Gerion Sturmfels, dem garetischen Wächter der Zornesritter. Bis sich die Lage beruhigt und die Obrigkeit die Ordnung halbwegs wieder hergestellt hatte - wobei man nötigenfalls nach Kräften helfen sollte, wenn es nötig war - sollten die Kämpen in der Stadt ausharren und sodann heimkehren*. Danach hatte er sich selbst umgehend auf den Weg nach Elenvina gemacht, wo in wenigen Tagen der Reichscongreß beginnen sollte; nur der Magus und Jessa al Tern begleiteten ihn.
Eine gute halbe Stunde war es her, dass der Baron von Uslenried aufgebrochen war, um zu Elenvina höchstselbst die versammelten Adligen des Reiches von den Vorfällen in der Kaiserstadt zu unterrichten, als Gerion an der der Seite Rondrina wieder in das Kanzleigebäude eintrat. Sie hatten die toten Streiter vor der Staatskanzlei aufbahren lassen, auf daß die Überlebenden ihre Gefährten erkennen und eine göttergefällige Bestattung veranlassen konnten; die Schwerverletzten hingegen in die Eingangshalle des Gebäudes geschafft. Es wurde ihm schwer ums Herz, das altehrwürdige Gebäude in diesem Zustand zu sehen, doch harte Zeiten erforderten harte Maßnahmen. Und wenn er an das Chaos im Kabinettssaale dachte, in welchem er ohne Verstärkung wohl ebenfalls den Tod gefunden hätte, war es nur recht, die Eingangshalle vorübergehend als Lazarett für die Verletzten zu nutzen. Auf einer Bahre trugen zwei Schreiber, die sich in einer der Kanzleistuben verbarrikadiert und so den Angriff überlebt hatten, den Leichnam Arnwulf von Rabenmunds herunter. »Bringt den Ärmsten zum heimatlichen Anwesen in die Gerbaldsmark«, gab Torias von Treuenbrück, der bereits in der Halle weilte, den beiden auf, »und wenn ihr zurück seid tut ihr selbiges mit dem Leib des Burggrafen Eran!«
Die beiden Angesprochenen stutzten. Cern von Aschenfeld, der hinter ihnen ging fragte nur: »Ihr wißt es noch nicht?« »Was weiß ich nicht?« entgegnete Treuenbrück verwundert.
»Er lebt noch«, entgegnete der Cern. »Zwar geht es ihm schlecht, und sein Herz schlägt nur schwach, aber er ist bei Bewußtsein. Ein Medicus aus dem Gefolge des Bärenauers ist bei ihm und kümmert sich um seine Wunden.«
Torias atmete auf. »Den Zwölfen sei Dank. Ich werde mich selbst darum kümmern, das seine Hochedelgeboren unbeschadet zu den Seinen verbracht wird.« Der Hauptmann eilte die Treppen hinauf. Cern hingegen, der mittlerweile am Fuß der Treppe angekommen war, schüttelte amüsiert den Kopf. »Typisch Treuenbrück, möchte man meinen«, meine er und grinste seine Schwester und den Ordenswächter verschwörerisch an.
»Laß gut sein, Cern, so sind sie nun mal«, entgegnete Rondrina, derweil die beiden Kanzleidiener mit dem toten Rabenmunder auf der Bahre hinaus auf die Straße traten. Gerion, Cern und Rondrina wandten sich den Verletzen zu und halfen mit anderen, wo es eben ging.
Wenig später schließlich machte sich Hauptmann Torias von Treuenbrück, begleitet von einigen garetischen Soldaten auf den Weg, auch den Burggrafen Eran von Gareth aus der Kanzlei zu schaffen und in heimische Sicherheit zu bringen. Dessen Wunden waren bestmöglich verbunden worden, und es blieb zu hoffen, daß er sich alsbald erholen mochte**. Da sie einen anderen Weg einschlugen als zuvor die Kanzleidiener mit dem Leichnam des Rabenmunders, sollte es ihnen besser ergehen und ihre Mission nicht in einem Fiasko enden. Die unglücklichen Kanzleidiener fand man wenig Tage später mit durchschnittener Kehle in einer Seitenstraße, derweil man den geplünderten Leib Arnwulfs von Rabenmund erst nach Tagen in einer dunklen Gasse der Kaiserstadt entdeckte.
Wulf von Streitzig j.H., Baron von Uslenried, bekam von den Ereignissen selbstredend nichts mehr mit. Im Eiltempo war man über die Reichsstraße in Richtung der Nordmarken geprescht, und als die drei Reiter schließlich in die Grafschaft Reichsforst einritten, schickte der Baron seine Leibwächterin mit neuen Befehlen in heimatliche Gefilde. In Zeiten wie diesen wollte er seine Lande nicht ohne ausreichende militärische Kenntnisse lassen, und da die übrigen uslenriedschen Kämpen noch in Puleth und der Kaiserstadt weilten blieb ihm keine andere Wahl, als Jessa zu entsenden, die er lieber weiter an seiner Seite gewußt hätte. In Begleitung des Magus und fernab der Kaiserstadt, in der nun wohl marodierende Banden ihr Glück suchen mochten, fühlte er sich dennoch leidlich sicher.
Als sie schließlich in Ferdok am Großen Fluss anlangten gab es erstmals die Gelegenheit, etwas Ruhe zu finden und sich von den Strapazen der letzten Tage zu erholen; unter Aufbietung einer gewissen Summe hatte Wulf einen Schiffer überzeugen können, schnellstmöglich mit seinem Flußsegler nach Elenvina zu fahren und sie als Passagiere mitzunehmen. Als schließlich etliche Meilen vor Elenvina die Nacht hereinbrach und der Schiffer notgedrungen anlanden ließ, setzen die beiden Boten schlechter Nachrichten ihre Reise auf dem Pferderücken fort in der Hoffnung, doch noch vor dem nächsten Tage in der alten Herzogenstadt anzukommen.
Erst weit nach Mitternacht erreichten sie Elenvina. Es war aussichtslos, zu dieser späten Stunde noch jemanden aus der Reichsverwaltung zu finden; die Schlachten waren ohnehin verloren, und vor dem nächsten Morgen vermochte niemand wirklich etwas auszurichten. Mit Müh und Not fanden Sie ein Quartier für die Nacht.
Am nächsten Morgen, es war der Eröffnungstag des Reichscongresses, fand sich Wulf gerade noch rechtzeitig in der Versammlungshalle ein. Reichlich übermüdet nahm er den ihm gebührenden Platz ein, als auch schon die Fanfaren erschollen und die Hohen des Reiches eintraten.
Herzog Jast Gorsam sprach als Herr des Hauses kurze Worte der Begrüßung, anschließend überließ er seinem Sohn das Wort. Reichserzkanzler Hartuwal vom Großen Fluss wirkte trotz des Aufenthalts in den väterlichen Hallen unruhig und aufgebracht; so hatte Wulf ihn noch nie erlebt. Und so stellte er nach kurzer Zeit – aufgrund der Abwesenheit der Reichsregentin vertrat er die Interessen des Reiches – die entscheidende Frage: „Was ist mit Gareth? Hat jemand Kunde aus der Kaiserstadt?“
Niemand rührte sich. Schließlich erhob sich Wulf, trat vor und berichtete, was man aus Wehrheim vernommen hatte – das Reichsheer geschlagen, die Stadt in Trümmern. Ungläubiges Erstaunen machte sich im Saale breit, schließlich hatte der Baron diese Kunde auch nur zu hören bekommen. Dann aber berichtete er von der Schlacht zu Puleth, wie die fliegende Feste das Land überflog und das feindliche Heer ohne den Kampf zu suchen durch sie hindurchmarschiert war, geradewegs auf Gareth zu.
Zwischenrufe wurden laut. Wulf berichtete von den Kämpfen in Gareth, vom Sturm auf die garetische Staatskanzlei, vom Tod der Burggrafen und schloß mit seiner Entscheidung, den Versammelten die Kunde zu überbringen und wie er darob überstürzt aufgebrochen war. Doch sein Bericht sollte nur der Anfang der schlechten Nachrichten sein.
* Dies geschah schon wenig später, nachdem die Kunde vom Zusammenschluss des Rates der Helden bis zur Kanzlei gelangt war
* was jedoch nicht geschah; tatsächlich verstarb Burggraf Eran von Gareth im Jahre 1028 in Folge der erlittenen Verletzungen, die er mangels Auszehrung und fehlender magischer Hilfe wohl nicht hatte auskurieren können.
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