Geschichten:Zwei Häuser, eine Familie - Tischgespräche

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Tischgespräche

Auf der Kressenburg

Interessiert blickten sich die beiden Eslamsrodener um, wobei sich eine Spur des Widerwillens in Ifirnias Gesicht zeigte, während sie den Stammbaum betrachtete. Die Aufforderung zum Essen ließen sich die Geschwister nicht zweimal geben, hatten sie doch einen langen Tag hinter sich.

Nachdem er seinen drängensten Hunger mit einigen Bissen befriedigt hatte, wandte Greifwin sich an Ardo: „Wie ich sehe, hast Du dich rasch eingelebt.“ Er deutete in Richtung des Stammbaums. „Das ältere Haus, wenn ich mich nicht irre, oder? Was mich zu einem... wunden Punkt zwischen unseren Familien bringt.“ Greifwins Blick wanderte zu seiner Schwester, die diesen mit versteinerter Miene erwiderte. „Da er inzwischen Teil Deiner Familie ist, was hälst Du von Herdan Lucius? Bei uns ist er ungefähr so beliebt wie der Ork, aber ich hätte gerne Deine Meinung gehört...“

Der Kressenburger wollte gleich etwas zu dem angesprochenen Stammbaum sagen, doch bevor er dazu kam, hatte Greifwin bereits das nächste Thema angeschnitten. Trotzdem wollte Ardo das Missverständnis schnell ausräumen. „Leider irrst du doch was den Stammbaum dort angeht, Greifwin. Dieser und das Wappen dort gehören der Familie von Kressenburg. Bei weitem nicht so alt wie unsere Familie und es lebt nur noch eine einzige letzte Vertreterin, meine Vorgängerin, Faralda von Hasenfeld-Kressenburg. Sie ist erst Anfang der dreißig, hat sich aber schon vor Jahren auf ihr Wittibengut zurückgezogen und die Belange der Baronie ihrem Vogt, dem guten Phexian hier, überlassen. Die Baronswürde indess blieb wegen der Krankheit der Greifin vakant, bis der Meister der Mark nun endlich stellvertretend darüber entschieden hat. Natürlich soll dort später einmal der Stammbaum der Familie Keilholtz hängen und nicht nur der des älteren Hauses. Der wäre zwar recht breit aber wenig zurückreichend, ist die Fehde doch immerhin erst fünf Generationen alt, während man unsere Familie bis fast zur Reichsgründung zurückverfolgen kann. Mein Großvater hat einige Abschriften aus den Familienarchiven von Burg Keilholtz und Reste aus den Aufzeichnungen der markgräflichen Kanzlei retten können. Auch aus der Reichskanzlei hat er noch vor der Zerstörung Gareths einige Abschriften zu garethischen Zweigen unserer Familie bekommen. Er arbeitet nun schon seit Jahrzehnten daran. Irgendwann wird sein Werk hier den Saal verzieren.“

„Und Herdan Lucius? Puh, ich bin ehrlicherweise froh, wenn ich von dem nichts höre. Beliebt wie ein Ork trifft es ziemlich gut. Du weißt schon, keine Nachrichten sind gute Nachrichten. Allerdings hat er das Ohr unseres Patriarchen und seit Bogumil ihn adoptiert hat, ist der Ton von Burg Keilholtz gegen uns und die anderen unabhängigen Zweige wieder rauher geworden. Die Waldenklammer, also die Weidener, sind für den senilen Alten sowieso nicht existent. Die Hundsgrab-Keilholtz hat er aus der Familie verstoßen und uns hier in Kressenburg hätte wohl bald das selbe geblüht, wenn ich jetzt nicht so unverhofft zu der Baronie gekommen wäre. Was man auf Burg Keilholtz vom jüngeren Haus hält muss ich euch wohl nicht sagen.“ Sein Lächeln fiel arg gezwungen aus, war ihm die derbe Wortwahl die der Patriarch und der Baron von Finsterkamm zu benutzen pflegten doch nur zu geläufig. „Ich kann mich allerdings des Eindrucks nicht erwehren, dass Herdan Lucius einen großen Teil zur aktuellen Hetze im älteren Haus beiträgt. Es hat den Anschein, dass er die Zurücksetzung in Schroffenstein einfach nicht verwinden kann. Solcherart nachtragender Hass ist nicht gut für die Mark und steht keinem Greifenfurter gut zu Gesicht.“

Während Ardos Ausführungen veränderten sich die Mienen seiner Gäste merklich. Zeigte das Gesicht Ifirnias bei den Erläuterungen zum Stammbaum noch immer die gleiche, stille Verachtung und Greifwins das offener Neugier, so wandelte sich dies bei den Worten zu Lucius Herdan deutlich. Mit beinahe höhnischem Grinsen blickte Ifirnia nun in Richtung Greifwins. Nach einem Schluck aus seinem Krug hob dieser an: „Ich danke dir für deine Offenheit, Ardo“, er warf einen Blick zu seiner Schwester. „Wie man an der Reaktion meiner... verehrten Schwester erkennen mag, hielt ich die Einschätzungen von Lucius bisher für das Resultat der in unserem Teil der Familie weitverbreiteten Verachtung für alles, was mit dem älteren Haus zu tun hat. Bedauerlich. Aber ich“, wiederum blickte er zu seiner Schwester, „bin wohl in der Lage, wenn notwendig einen Fehler zuzugeben. Mit drei Baronen, die untereinander einig sind, hätten wir eine exzellente Position gehabt. Seis drum. Aber,“ er deutete zum Stammbaum, „ich würde das Werk gerne sehen, wenn es soweit ist. Wobei ich offen zugeben muss, dass mich derartige Werke seit den Umwälzungen in meiner Familie immer etwas nervös machen.“ Er nahm einen weiteren schnellen Bissen.

„Ihr müsst wissen“, warf seine Schwester ein, „dass mein Bruder sich seit Jahren erfolgreich seinen dynastischen Pflichten entzieht.“ Trotzig blickte sie zu Greifwin.

Dieser rollte leicht mit den Augen. „Ja, durchaus richtig. Ein weiterer Beweis der, verzeih Schwester, sehr seltsamen Traditionen in unserem Haus. Ihr Frauen dürft selbst wählen, wovor auch du dich, nebenbei gesagt bislang gedrückt hast, während man über den Kopf der Männer hinweg entscheidet. Wenn, dann doch bitte gleiches Recht für alle. Zumal die Ablehnung der Verbindung, die unsere Mutter, möge sie in Frieden ruhen, für mich vorgesehen hat, durchaus wechselseitig ist. Ich bin noch jung und habe derzeit dringendere Probleme. Vielleicht in ein bis zwei Götterläufen...“ Er hielt einen Moment inne.

Ardo hatte mit Freude zur Kenntnis genommen, dass Ifirnia ihn das erste Mal seit ihrer Ankunft direkt angesprochen hatte. Wenn es auch nur gewesen war um ihren Bruder in einem schlechten Licht erscheinen zu lassen, so dass er sich gezwungen sah seinem Freund beizuspringen.

„Es ist durchaus gerechtfertigt, wenn du unter den veränderten Vorzeichen noch etwas warten willst. Immerhin konnte deine Frau Mutter nicht wissen, dass du so jung in den Hochadel aufsteigen würdest. Wer weiß wie ihre Wahl der Braut für dich heute ausgefallen wäre. Immerhin gibt es ja wohl eine Absprache die sich nicht so leicht lösen lässt?“ Die in dem Satz mitschwingende Frage und auch der neugierige Blick des Kressenburgers ließ vermuten, dass er gerne mehr über die Modalitäten erfahren würde.

„Das Problem ist, dass es nichts Schriftliches gibt“, antwortete Greifwin sichtlich unbegeistert. „Praktisch gesehen ist es das Übliche, eine Verlobung von Adelssprösslingen die weit außerhalb der Erbfolge stehen. Damit ist der Vertrag auf Basis der nicht länger gegebenen Grundlagen, soll heißen meiner nicht länger unbedeutenden Position in der Erbfolge eines nicht länger gegebenen Junkertums gemäß einer ganzen Reihe von Präzedenzfällen leicht anfechtbar. Vom Standesunterschied mal abgesehen, als Niederadel könnten mich die Eltern kaum vor Gericht zerren. Natürlich steht dem der erhebliche politische Schaden gegenüber, wenn ich die Abmachung einfach für null und nichtig erkläre. Die Alt-Nardesfelder sind zwar derzeit nicht gerade von Phex verfolgt, aber man sieht ja an uns, wie schnell sich das ändern kann. Und sie haben immer noch weitreichende Beziehungen. Ich werde also das Gespräch und eine gütliche Einigung suchen...“

„...will heißen, Du willst versuchen, dich freizukaufen, nicht wahr?“, warf Ifirnia ein.

„In der Tat. Ein Gut als Abfindung sollte die Sache hoffentlich hinreichend versüßen. Doch genug davon, es sei denn, du willst unbedingt eine Unterweisung in die Feinheiten des Greifenfurtschen Ehe- und Erbrechts. Wie sieht es denn bei dir aus?“, wandte sich Greifwin an Ardo.

„Dahingegen bin ich in der komfortablen Situation mich fast völlig frei entscheiden zu können. Aber ich habe nicht vor lange zu zögern wenn der Werber einer standesgemäßen Braut an meine Tür klopft. Zwar bin auch ich noch jung, ein Götterlauf jünger sogar als du Greifwin, aber die Zeiten sind unsicher. Wer weiß ob es dem Ork nicht morgen schon wieder gefällt über die Pässe zu kommen? Dann werden wir in den Kampf ziehen wo jederzeit der Tod auf uns warten kann. Und selbst wenn der Schwarzpelz Ruhe hält, so ist dieser Tage mit dem fortwärenden Vordringen der Wildermark nicht einmal mehr ein Adliger auf den Straßen der Mark vor Wegelagerern sicher. Ich habe mir aber in den Kopf gesetzt Kressenburg für die Familie zu erhalten. Dafür brauche ich rechtzeitig einen Erben, denn es ist durchaus nicht sicher, dass mein Vater oder meine Schwester das Lehen erben würden. Dynastisch gesehen haben sie kein festes Anrecht darauf und wer weiß schon wie der Nebelsteiner in einem solchen Fall entscheiden würde.“

„Ich habe glücklicherweise genug Familie, so dass mein vorzeitiges Dahinscheiden kein allzu großes Problem darstellen sollte.“ Er lachte trocken. „Und zumindest mit letzterem hat unsere Familie in den letzten Jahren große Erfahrungen gewonnen. Daher habe ich das noch vor allem anderen vertraglich geregelt. Das muss seine Exzellenz natürlich nicht aufhalten, wie man bei Seguld von Breitenquell gesehen hat. Das war und ist, mit Verlaub, eine höchst seltsame Sache. Ich habe mich bis dahin nicht wirklich für die Belange Eslamsrodens und den guten Trär interessiert. Und plötzlich wird sein Sohn entlehnt, ohne das bekannt wäre, warum. Sehr merkwürdig.“

Greifwin trank einen weiteren Schluck Bier. „Und wie der Meister der Mark ausgerechnet auf mich verfallen ist, bleibt mir auch ein Rätsel. ‚Die Mark hat ihre Gründe‘ war alles, was ich bislang aus ihm herausbekommen habe...“

„Die Mark hat ihre Gründe. Nun, ich bin mir sicher, dass es die gibt, auch wenn ich ebenso wie du vor dem Rätsel stehe womit genau ich mich für die Baronswürde in Kressenburg empfohlen habe. Sicherlich habe ich dem Prinzen im Winter tausendeinunddreißig bei der Suche nach seinem Bruder im Kosch geholfen, ich habe im Rondra in Waldstein bei zwei Schlachten gegen Anhänger des Namenlosen gefochten, habe mich beim Uslenrieder Turnier zweimal gegen Nimmgalf von Hirschfurten behauptet und beim Konvent konnte ich Edelbrecht ebenfalls zu Diensten sein. Dennoch hätte es einige Kandidaten gegeben, die für Kressenburg eher in Frage gekommen wären. Bestes Beispiel ist Phexian hier. Seine Familie stellt die Vögte von Kressenburg seit der Zeit der klugen Kaiser, wahrscheinlich seit Raul selbst und hält mit dem Junkertum Kieselbronn das höchstrangige Nachlehen der Baronie. Phexian war nach dem politischen Rückzug der letzten Baronin aus der Familie Kressenburg in den letzten sieben Götterläufen wieder regierender Vogt.“

Der alte Vogt an seiner Seite schüttelte abwehrend die Hände vor sich und schaute unwillig drein. „Lass das mein Junge. Du weißt, dass weder ich noch meine Schwester je nach der Baronswürde geschielt haben. Wir Kieselholms haben eine lange Tradition des Dienens, das ist der Platz den Praios uns zugewiesen hat.“

„Und ich kann den Herrn Praios nur preisen, dass er mir Euch als Vogt und Stellvertreter gegeben hat, Phexian. Trotzdem hättet Ihr es verdient gehabt. Aber lassen wir das. Nach den Kieselholms waren die Praiostanns die zweite Familie der Baronie. Die sind wohlhabend und haben Einfluss. Immerhin stellen sie seit Generationen den Lichthüter des Kressenburger Praios-Tempels. Es wundert mich, dass Prätor Badilak nicht versucht hat für seinen Neffen, den aktuellen Ritter von Praiostann, die Baronie zu bekommen.“

Auf Phexians Gesicht zeichnete sich ein leichtes Lächeln ab, so als würde er darüber mehr wissen. Da Ardo jedoch gerade seine Gäste ansah während er sprach, war es nur Greifwin und Ifirnia möglich diese Regung des Vogtes zu erkennen. Der alte Mann griff schnell zum Bierkrug und als er ihn wieder absetzte, zeigte er die selbe ruhige und aufmerksame Miene wie zuvor.

„Meine Familie“, fuhr Ardo fort, „lebt erst seit meinem Großvater in Kressenburg. Wir hatten immer nur das arme Rittergut ander Grenze zu Waldstein und Großvater Bernhelm ist auch nach fünfundvierzig Götterläufen noch immer der erste und einzige amtierende Ritter zur Neuen Gerbaldslohe aus der Familie Keilholtz. Insofern spricht für uns weder Einfluss noch Reichtum. Von Rechts wegen wären auch mein Vater oder Großvater vor mir an der Reihe gewesen, aber da wurde ja auch bei dir nicht berücksichtigt.“

„Aber zurück zu dir. Hast du denn ein Auge auf jemanden geworfen?“

Ardo lachte kurz auf und schob sich mit der Gabel eine Scheibe des erkaltenden Bratens in den Mund. Mit einem Schmunzeln auf den Lippen kaute er zuende, während seine Zuhörer nach seinem Heiterkeitsausbruch gespannt auf eine Antwort warteten.

„Wenn dem so wäre lieber Greifwin, dann würde ich nicht so theoretisierend daherreden. Sicherlich habe ich auf meinen Reisen die eine oder andere Ritterin und Edeldame kennengelernt welche mir gefallen hat. Aber was blieb mir als einfachem landlosen Ritter mehr als in ritterlicher Minne zu ihren Ehren zu Tjosten? Zu Anfang meiner Armeezeit war da auch noch diese schmucke Offizierin, aber eine Bürgerliche kam für mich damals schon nicht für den Travia-Bund in Frage, noch weniger jetzt wo ich Baron bin.“

Mit einem lauten Räuspern machte sich Phexian kurz bemerkbar und machte gleich darauf wieder den Anschein in aller Stille in seinen Braten vertieft zu sein. Ardo verstand den Wink seines Schwertvaters, der ihn wohl daran hindern wollte sich allzu ausschweifend über verflossene Liebschaften der Vergangenheit auszulassen.

„Wie dem auch sei. Die wenigen Wochen seit der Belehnung hatte ich auch anderes zu tun als mich nach neuen geeigneten Kandidatinnen für den Platz an meiner Seite umzutun. Der Baron von Hundsgrab hat eine jüngere Tochter, die an der Greifenfurter Kriegerakademie gelernt hat und Gerbald von Reiffenberg, der neue Hexenhainer Baron, hat ebenfalls noch eine unvermählte Tochter, die Kammerzofe bei der Markgräfin war. Auch unser Nachbar in Quastenbroich hat noch eine unvermählte Schwester im besten Alter, aber die soll gerüchteweise etwas unleidlich sein. Doch bisher kenne ich weder diese noch die anderen persönlich und wenn ich demnächst auf den Rat der Barone in Weiden oder beim nächstjährigen Reichskonvent in Perricum zu Gast bin, ergibt sich vielleicht eine andere passende Gelegenheit.“

An diesem Punkt mischte sich der Vogt wieder in das Gespräch ein. Offensichtlich war es ihm nicht lieb, wie weit der junge Baron sein Suchgebiet auszudehnen gedachte.

„Eine Edeldame aus der Mark sollte es aber vielleicht schon sein mein Junge. Auch wenn, oder gerade weil, dein Vater und Großvater in Waldstein und Weiden gewildert haben. Die Mark muss angesichts der äußeren Probleme enger zusammenrücken. Auf welche Braut auch immer deine Wahl fällt, bedenke dass es nie schadet sich seine Nachbarn zu Freunden und Verwandten zu machen. Die Mark steht und fällt mit dem Zusammenhalt ihrer edlen Familien.“

Ardo verdrehte zu Greifwin gewandt leicht genervt die Augen, woraus dieser schließen konnte, dass eben dieses Argument nicht zum ersten Mal zur Sprache kam. Trotzdem blieb der Kressenburger seinem Vogt gegenüber höflich und wenn auch unverbindlich.

„Da habt Ihr sicherlich recht, verehrter Schwervater. Aber ich bleibe dabei, dass ich mir meine zukünftige Braut nicht allein nach ihren politischen Vorzügen wählen werde. Sollte jedoch eine junge Dame aus dem Greifenfurter Hochadel mein Interesse wecken, so verspreche ich Euch, werde ich diese Möglichkeit nicht leichtfertig zu verwerfen und in meinen Überlegungen den Vorrang geben.“

Der Kieselholmer nickte nur gnädig, ging aber nicht weiter auf das Thema ein. Er schien genau zu wissen wo und wann bei seinem ehemaligen Knappen der Punkt erreicht war, an dem man eine Sache ruhen lassen musste um sie später wieder aufzugreifen.