Geschichten:Rahjas Tränen - Nur das Beste im Sinne
Auf der Reichsstraße war Leodanes Trupp gut vorankommen. Und das Wetter spielte auch einigermaßen mit, sodass man die Pferde in gemächlichem Schritt gehen ließ und das noch frische Perainewetter genoss. In wenigen Wochen schon würden am Rashtulswall entlang warme Winde nach Norden ziehen und die Hitze des Sommers im Gepäck haben - doch noch war das fern. Links und rechts des Weges konnte man hier und da noch Bauern sehen, die die letzten Handgriffe an ihren Feldern taten, die meisten jedoch waren schon bestellt und bereit, die Segnung der Fruchtgöttin auf sich wirken zu lassen. Das milde Klima am Unterlauf des Darpat meinte es gut mit den Bewohnern des Landes, dass er durchfloss. Und auch am Anleger und an den Toren der kleinen Stadt Wasserburg, die nicht weit vor dem kleinen Reitertrupp auf dessen Weg lag, herrschte jetzt am Nachmittag emsiger Betrieb.
Zusätzlich zum Wetter war Leodane auch noch aus anderem Grund guter Laune - ihr Besuch in Garetien war recht erfolgversprechend verlaufen und sie hatte Unterstützung gefunden. Nachdem das soweit in die rechten Bahnen gelenkt war, konnte sie sich wieder anderen Dingen zuwenden. Ihren Falken zum Beispiel. Versonnen ließ sie den Blick über das schimmernde, breite Band des Flusses weiter nach vorne gleiten, bis ihr Blick auf eine Gruppe Leute fiel, die etwas abseits der Stadt scheinbar in einen Kampf verwickelt waren. Doch verriet ihr das ausbleiben der Schmerzensschreie und die überkorrekte Art in der die Kampfreihen aufeinanderprallten, das es sich hier um eine Übung handeln mußte. Dem bunten durcheinander von Rüstungen und Waffen zufolge, konnte es sich nur um eine Landwehreinheit handeln. Schwere Plänkler? Wer würde sich denn so etwas ausdenken. Da fiel ihr nur einer ein. Marnion von Kelsenstein. Vielleicht war das ein Hinweis der Götter, vielleicht ließ sich der urtümliche Junker in ihre Pläne mit einspannen. Kurzentschlossen lenkte sie ihr Reittier von der Strasse auf einen Weg, der zu den Übenden führte.
Während ihr Trupp sich dem doch einigermaßen koordinierten Geplänkel näherte, entdeckte sie die Anführer. Die Offiziere waren in forderster Reihe mit Schilden flankiert. Alte Schule. Damit würden sie in einer Schlacht nicht weit kommen, aber Mut gehörte sicher dazu sich so als Zielscheibe zu präsentieren. Die Plänkler hatten sie bemerkt und ließen ob des hohen Besuchs das Banner im Spalier Aufstellung nehmen. Hier und da war die Reihe noch etwas krumm, aber die Jungs und Mädels von der Landwehr ließen sich nicht lange bitten, als die Befehle gebellt wurden. In die gelblichen Lederwappenröcke der Kelsensteiner gekleidet nahmen im Herzen der Formation die Offiziere ihre Plätze ein. Sie erkannte den hoch gewachsenen Marnion nicht gleich wieder. Er hatte sich verändert, eher im Ausdruck als Äußerlich. Das raubtierhafte war geblieben, aber der wirre Blick war zumindest heute einem offenen Gesichtsausdruck gewichen. Er begrüßte sie freundlich lächelnd.
"Die Götter mit euch. Leodane von Firunslicht mein Name." Sie lehnte sich etwas im Sattel vor. "Ich konnte nicht umhin zu sehen, dass ihr Wasserburgs Aufgebot ausbildet. Ich wollte einmal sehen, ob ich Anreize mitnehmen kann für meine Bemühungen in der Matlakurah." Bewußt wählte sie den tulamidischen Namen und sprach ihn auch flüssig aus.
"Schaut sie Euch an, die Tapfersten die das Land zu bieten hat. Alle sind freiwillig hier. Kommt Steigt doch ab und seht Euch näher um, wenn Ihr Zeit habt." Das ließ sie sich nicht zweimal sagen und Marnion nahm sie vertraulich am Arm. "Im Vertrauen gesagt. Wer seine Zeit ordentlich rum bringt wird danach seine Ausrüstung behalten dürfen, solange sie sich als Reservisten verpflichten. Sicher hat dies dazu beigetragen, das wir so viele Freiwillige bekommen haben, und wir uns die besten für das Banner raus suchen konnten. Waffen und Rüstzeug haben wir genug und diese Menschen werden uns vielleicht nochmals sehr nützlich sein, falls wir Reservisten brauchen." Nun so kannte sie ihn. Er schien Feuer und Flamme für "seine" Plänkler zu sein. Es war ihr nicht entgangen, das die Fahne des Banners nicht etwa das Zeichen der Wasserburger trug sondern dem Wappen der Kel´zen Tell nachempfunden war. Lediglich die Burg war der Wasserburger angeglichen. Sollte ihr recht sein, das offensichtliche Aufrührertums des Bergmannes würde ihr noch sehr nützlich werden. Sie erbat sich das gehörte unter vier Augebn noch zu vertiefen und deutete auf eine Nahe Baumgruppe die Schatten bot. Mit einem Wink schickte der Junker die seinen fort, woraufhin sie die Übungen wieder aufnahmen.
Als sie endlich außer Hörweite waren, kam sie nach nur wenigen Bemerkungen recht zügig zur Sache. Sie schätzte nach allem, was sie wußte Marnion nicht als einen Mann ein, der sich lange mit Belanglosigkeiten aufhalten wollte. "Ihr habt die Landwehr gut im Griff. Offensichtlich war es ein Glücksfall, dass ihr mit dieser Aufgabe betraut wurdet." Bewußt ließ sie dabei die Umstände der Berufung außen vor. "Bedauerlich, dass euer Baron sich nicht schon weit früher durchgerungen hat, euch damit zu beauftragen. Ihr hättet jetzt schon eine wirklich formidable Truppe geformt, da bin ich mir sicher." Sie hielt kurz inne und beobachtete den Krieger unauffällig. "Hat er eure Fortschritte denn schon zu würdigen gewußt?"
Marnions Miene verfinsterte sich bei der bloßen Erwähnung des Barons von Wasserburg. "Das Stinktier bleibt in seiner Höhle und stört uns nicht." Er spuckte aus und machte eine Handbewegung die wohl tiefe Verachtung ausdrücken sollte. Leodane verzog unwillig das Gesicht. "Das ist nicht gerade das Verhalten eines umsichtigen Vasallen des Markgrafen. Aber was soll ich sagen - nach allem, was man hört, ist es wohl auch kein Wunder. Ich vermute mal, dass sein Interesse an anderen Belangen der Verwaltung ebenso wenig ausgeprägt ist..." Marnion war um die Antwort nicht verlegen. "Den Göttern sei Dank läßt der Wasserburger seine Bürger nun in Ruhe, seine Untätigkeit ist mir lieber als seine Untaten." Mißbilligend schüttelte die Edle von Salcaprea den Kopf. "Vielleicht sollte man einmal deutlich dafür sorgen, dass der Markgraf durchgreift. Wenn Ihr einen Anlass schafft, Kelsenstein, der deutlich die Unfähigkeit Zordians offenbart, seine Baronie zu kontrollieren, verspreche ich, meinen Mann dazu zu bewegen, seinen Einfluss geltend zu machen, die Dinge hier in Wasserburg zu verbessern. Unter uns - viel hält er vom jetzigen Baron auch nicht." Die letzten, wenig überraschenden Worte untermalte die Edle dabei gekonnt mit verächtlicher Miene. Ein wölfisches breites Grinsen zeigte, das der Kelsensteiner seine Gefühle heute so wenig wie früher im Griff hatte. "Da will ich Euch gerne weiter helfen. Doch was kann ich tun, ohne selbst meinen Eid gegen den Markgrafen zu brechen?" "Oh, da muss ich ein wenig auf Eure Mithilfe und Ortskenntnis setzen. Gut wäre, wenn sich der Baron als entschlussfreudig beweisen müßte. Die beste Möglichkeit dafür ist sicherlich, wenn kriegerische Ideale gefordert sind. Allein müsstet ihr dann außer Sicht sein, damit Tikaris nicht alles auf euch abwälzen kann - und dabei natürlich vollends eure Pflicht erfüllen. Vielleicht könntet ihr ja euren Schützlingen dort draußen ein paar lehrreiche Wochen in den höheren Lagen des Rashtulswalles angedeihen lassen. Die Herrin vom Sturmfels hält es ebenso und mein Gatte schien ganz angetan von der Idee." Leodane lehnte sich leicht vor. "Ich bin mir sicher, ihr wisst, was hier geschehen müßte, um ein Eingreifen zu verlangen." Der junker verzog abschätzend das Gesicht. ,,Wenn sich die Stämme im Wall erheben würden, dann wäre es schlecht bestellt um den Baron. Aber das würde viele Unschuldige Leben kosten, damit belaste ich nicht meine Seele wegen eines Stinktiers. Zudem liese sich so etwas leicht anzetteln, aber nicht wieder beenden. Wir haben in den Bergen Generationen gebraucht, das uns die Stämme einigermaßen achten. Leodane maß ihr Gegenüber noch einmal mit Blicken, um seine Aufrichtigkeit zu prüfen. Das Verhalten des Bergjunkers schien ihr aber natürlich genug. Nun war es soweit, den letzten Schubs in die rechte Richtung zu platzieren. "Natürlich dürfte keinem Untertan des Markgrafen ein Leid geschehen. Und auch mit dem Rat der Reichsstadt Perricum gab es ja nun gerade erst eine Einigung. Der Markgraf mußte den Pfeffersäcken ehedem markgräfliches Land überantworten, aber es war weit weniger als gefordert und sie fügen sich. Natürlich werden sie nun auch erwarten, dass der Markgraf und seine Gefolgsleute umso enthusiastischer auch die Verteidigung ihrer selbst und ihrer Geschäfte betreibt. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, was für einen Aufschrei das gäbe, wenn zum Beispiel ein Wagenzug überfallen würde und nichts Wirksames geschähe. Seine Erlaucht würde von diesen Erbsenzählern vermutlich direkt dazu getrieben, etwas zu tun. Eine Schande, das wir schon soweit sind."
Endlich schien bei dem Kelsensteiner der Groschen gefallen zu sein. ,, So habt Ihr schon eine Bühne bereitet für ein besonderes Spiel. Ich werde Euch mit meinen Banner nicht im Wege stehen. Sagt mir einfach, wann wir in die Berge aufbrechen sollen. Den Überfall auf den Wagenzug müßt Ihr aber schon selbst besorgen. Manches Mal genügt auch schon eine einfache Lüge, wenn sie nur oft genug wiederholt wird. Einen Wagenzug zusammen zu stellen sollte Euch ja nicht schwer fallen." Er war vorsichtiger als gedacht. Leodane versuchte sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Aber immerhin, seine Idee war nicht schlecht und er würde ihr nicht in die Quere kommen. Damit war er ausreichend mit eingebunden. Alles andere ließe sich schon organisieren... "Einverstanden. Ich lasse euch bald Nachricht zukommen, wann eine besonders günstige Zeit für eure Abwesenheit ist."
Einige Zeit später war Leodanes kleine Reitergruppe schon wieder unterwegs, weiter den Darpat abwärts. Während sie mit dem Anführer ihrer Eskorte über die Anstrengungen des Kelsensteiners bezüglich seiner Landgardeabteilung sprach, waren ihre Gedanken schon woanders. Marnion hatte Recht - wenn ihr Plan wirklich fruchten sollte, mußte sie behutsam vorgehen, um keinen Flächenbrand zu riskieren. Niemandem nutzte ein Haufen Asche mehr. Die Gerüchteküche würde ihre Rezepte beitragen müssen. Und sie durfte keine Spuren hinterlassen. Erst, wenn alles in trockenen Tüchern war, durfte etwas auffallen. Besser, wenn gar nicht.
Und dann war da immer noch die Marschallskür. Es gab genug zu tun.