Geschichten:Altes Blut - Brief an den Vater I
28. Praios 1037 – Zum Winterkönig, Stadt Rallerspfort (Baronie Rallerspfort)
Wie so oft in letzter Zeit, verbrachte Haldan von Rallersgrund auch diesen Abend bei kühlem Wein und gedämpfter Musik im Gasthaus „Zum Winterkönig“. Er spitzte seinen Federkiel sorgfältig an, tauchte ihn in ein vorbereitetes Tintenfass und begann zu schreiben.
„Sehr geehrter Vater, es war eine ausgezeichnete Entscheidung, mich nach Rallerspfort zu entsenden, entwickelt sich unsere Angelegenheit unter meinem Zutun doch in herausragender Weise. Auch wenn mir das Glück durchweg hold ist, liegt es in nicht geringem Maße an meinem Vorgehen, dass ich zur Jagd geladen wurde, an welcher die hohe Gesellschaft Rallerspforts teilnehmen und, wissend oder unwissend, meine Sache unterstützen wird, da bin ich mir sicher. Wir befinden uns auf dem Pfad des Sieges und ich gedenke nicht, ihn zu verlassen oder mich verleiten zu lassen. Erwähnung finden sollte auch, dass es mir gelang, einen Geweihten für mich zu gewinnen. Nach anfänglicher Skepsis erwies sich diese als haltlos, wird seit zwei Wochen doch, ohne weiteres Zutun meinerseits, bloß noch in unserem Sinne auf den Straßen gepredigt. Mit Parolen, wie ‚Die ungesühnte Sünde des Vaters, ist die Sünde des Sohnes‘ sorgt er für zustimmende Zurufe von den Rechtschaffenden und mit Gleichnissen, wie ‚Die Sünde ist wie eine rottende Leiche im Keller – zu Beginn meinst du sie verdrängen zu können, doch der Geruch wird intensiver und bald schon lässt sie sich nicht mehr verbergen, bis du daran erstickst‘ findet er das Wohlwollen der Massen, während er sie auf unser Kommen vorbereitet. Von Zeit zu Zeit stelle ich mir vor, wie auch Raulbrin von Rallerspfort an seinem Kamin sitzt und die gut gewählten Worte lobt, die seinen Sturz bedeuten. Mit diesen Worten ende ich für heute. Gehabt euch wohl Euer pflichterfüllter Sohn Haldan“
Haldan hielt inne, streute etwas Löschbims auf die Tinte, schüttelte ihn ab und las das Geschriebene. Als er aufblickte, bemerkte er eine Gruppe von Reisenden, die soeben den Gastraum betrat. Es handelte sich um Leute von Adel, wie die Wappen verrieten und auch die Zugehörigkeit war Haldan bekannt. Es waren der Junker von Leuchtenfeld und seine Gefolgsleute. Haldan vermutete, dass auch sie einige Tage in Rallerspfort verbringen wollten, um neue Kleidung, Jagdwaffen und weitere Ausstattung zu kaufen, um in Zerbelhufen protzen zu können. Nun jedoch waren sie an einem vollen Bauch interessiert und wandten sich dem Tresen zu. Haldan blickte sich um. Der Gastraum war gut gefüllt und nur wenige Plätze waren frei. Er wandte sich an seine Tischnachbarn.
„Entschuldigt die Störung, doch sind soeben Freunde von mir eingetroffen. Würde es große Unannehmlichkeiten bereiten, den Tisch zu räumen?“
Fragende Blicke.
„Ich zahle jedem ein Silberstück, der auf der Stelle verschwindet.“ Seine Nachbarn erhoben sich augenblicklich, nahmen das Geld und gingen. Es war viel Geld gewesen, aber Haldan hoffte, dass es das wert gewesen war. Zumindest ging sein Plan auf. Während er sich wieder seinem Brief widmete, bemerkte er, wie die Herrschaften an seinem Tisch Platz nahmen und umgehend in ein Gespräch versanken.
„Der Baron wird nicht erscheinen?“ Erstaunen schwang in der melodischen Stimme der Frau mit, die neben Haldan Platz genommen hatte. Ein kurzes Aufblicken verriet, dass es sich um Celissa von Lichtenhayn handelte, eine junge Ritterin in feinem, grünem Wollkleid, welches mit perainegefälligen Motiven raffiniert, aber nicht zu protzig verziert war. Aber nicht nur sie war überrascht. Für einen Augenblick muss auch Haldan die Überraschung im Gesicht gestanden haben, denn ein grober Ritter von fast fünfzig Götterläufen bemerkte seinen Blick.
„Und wer seid Ihr, dass Ihr Euch so für unser Gespräch interessiert?“ Aromir von Trutzen saß in frisch geöltem Kettenhemd auf der Bank und sein Wappenrock wies einige Stellen auf, die einst genäht werden mussten. Aromir war einer der herausragenden Ritter der Baronie – herausragend, weil nicht schon lange aus dem besten Alter heraus – ein echter Haudegen.
„Mein Name ist Haldan Rallersgrunder und Euer Gespräch weckte meine Aufmerksamkeit, da ich hörte, dass Ihr, so wie ich, ebenfalls an der Jagd zu Zerbelhufen teilnehmen werdet. Dass unser werter Baron nicht teilnimmt, mag ich kaum zu begreifen, hatte ich mich doch auf ein Kennenlernen gefreut.“
Die Brust des Ritters blähte sich auf, als er die Worte Haldans vernahm. Das nicht vorhandene „von“ im Namen störte ihn ganz offensichtlich. „Wie kommt Ihr zu der Ehre geladen zu sein?“, fragte er, wobei die Betonung unüberhörbar auf dem „Ihr“ lag.
„Vielleicht wegen meines großen Geschicks als Jäger.“
Aromir schien etwas belustigt, schaute in die Runde und sagte: „Ihr seht beileibe nicht wie ein Jägersmann aus.“
„Ganz im Gegensatz zu Euch, natürlich. Mit Lanze und Schild stellt Ihr Euch dem wütenden Eber?“
Der breit gebaute Mann schaute ihn durchdringend aus dem einen, ihm noch zur Verfügung stehenden Auge an und verzog das Gesicht zu einem breiten Lachen. Das Eis war gebrochen und der Abend verstrich wie im Flug. Während all dem geselligen Treiben kam Haldan nicht umhin einige Sonderlichkeiten an seinen Tischnachban zu bemerken. Der scheinbar hochrangigste war der Junker Alandro von Leuchtenfels, der mit seinem streng nach hinten gekämmten, silbernen Haar, wie ein junger Bursche den gutaussehenden Damen hinterher sah, dabei aber ein Gesicht zog, als würde ihn alles anekeln und eine unnormale Reinlichkeit an den Tag legte. So ließ er keinen Becher vor dem Einschenken nicht ausgewischt, kein Messer unpoliert und regelmäßig bat er um ein Tuch für seine Hände.
Alandro gegenüber saß eine junge Frau, Aromirs Knappin. Während die übrigen Anwesenden im Gastraum zum Tanz baten, oder sich bitten ließen, blieb sie an ihrem Platz und unterhielt sich bloß mit Alandro, der es ebenfalls vermied zu tanzen.
Haldan wandte sich an seine Tischnachbarin, Celissa von Lichtenhayn. Er erhob sich, öffnete ihr seine Hand und neigte sich zu ihrem Ohr herunter.
„Darf ich so unverschämt sein und Euch um einen zwanglosen Tanz bitten?“
„Zwanglos? Ich denke durchaus nicht, dass es zwanglos ist. Wie stündet Ihr da würde ich nun ablehnen?“
„Wie ein Narr“, gab Haldan geradeheraus zurück.
„Doch noch immer besser als ich, würde man mir doch Grausamkeit unterstellen.“ Sie lächelte, nahm seine Hand und ließ sich von ihm aus der Bank helfen. Bei ihren Worten wurde Haldan für einen Augenblick ganz warm, doch ermahnte er sich selbst zur Vernunft. Er führte sie galant auf die Tanzfläche. Während des Tanzes nutzte er die Gelegenheit, das Gespräch auf die übrige Gesellschaft zu lenken.
„Ich bin ein wahrer Glückspilz.“
„Weshalb?“
„Weil ich den Abend in solch außergewöhnlicher Gesellschaft verbringen darf. Zwei hübsche, junge Damen an meinem Tisch und noch dazu von Adel.“ Celissa lächelte sacht. „Hätte mich Alara nicht das Fürchten gelehrt, würde ich auch sie ganz tollkühn zum Tanz auffordern.“
Celissa musste lachen. „Das Fürchten? Was hat sie getan, dass Euch der Mut versagt?“
„Bisher lehnte sie jede Aufforderung ab, ganz egal von wem sie diese erhielt.“
„Ich will dieses Rätsel für Euch lösen und Euch von der Furcht befreien. Sie ist verlobt.“
Haldan mimte den Erleichterten, zur Freude Celissas. „Vielen Dank, dass Ihr mich aufgeklärt habt. Wer ist der Glückliche?“
„Firnhold von Zweifelfels. Ich kenne ihn, da ich einige Jahre meiner Knappenzeit mit ihm verbrachte. Ein großartiger Mann. Ich kann verstehen, weshalb sie jeden anderen fortschickt.“ Haldan nickte nachdenklich. Zweifelfels. Bislang hatte er sich noch kaum mit den Familien des Umlandes beschäftigen müssen, doch schien kein Weg daran vorbei zu führen.
Als die Musik endete geleitete er Celissa zurück zu ihrem Platz, bevor er sich von den übrigen verabschiedete und sein Zimmer aufsuchte. Er entschied sich die Jagd abzuwarten und dann zu entscheiden, an wen er sich wenden würde außerhalb Rallerspforts. Er stand noch ganz am Anfang und würde Schützenhilfe gut gebrauchen können.