Heroldartikel:Der Kult der Rahja im Herzen des Reiches
»Dem Mund entfleuchen so viele Unwahrheiten und Missverständnisse. So schliefet ihn und lasst anderes sprechen: Eure Haut flüstert leise Gedichte, wenn eine Hand leicht darüber streicht. Eure Lippen raunen kaum hörbar eine Erinnerung, wenn andere Lippen sich sacht von ihnen lösen. Euer Haar rauscht eine abenteuerliche Geschichte, wenn sich Finger einen Weg hindurch bahnen. Euer ganzer Körper schreibt ein Buch, das Ihr, so es einmal entdeckt und geschrieben ist, immer wieder zu öffnen vermögt.«
—Niederschrift eines namentlich unbekannten Rahja-Geweihten
»Zwei ungleiche Schwestern: Leuin und Stute. Kühnheit, Mut, Willenskraft, Rausch, Hingabe und Liebe trennen sie, doch was sie verbindet ist die Leidenschaft.«
—verbreitete Weisheit der Rahja-Kirche, von der Rondra-Kirche häufig abgelehnt
»... und eine Schlacht wird geschlagen, wie sie lange nicht mehr auf Deres Antlitz stattgefunden hat. Viele werden in Borons Hallen eingehen, doch viel grausamer leiden jene, die zurückkehren. Ihre Seelen zerfressen von dem Erlebten und ihre Herzen vereist, nimmt die schöne Göttin sie in ihren Armen auf, um sie mit neuem Leben zu erfüllen. Ihr Kuss, sanft auf die sorgenzerfurchte Stirn gehaucht, kann in jenen, die glaubten, innerlich tot zu sein, die Liebe und Hingabe wieder erwecken.«
—aus den Prophezeiungen der Rahja-Geweihten Ysandya Merlan zu Alrikshain im Jahre 1017 BF
»Die Verehrung der schönen Göttin ist im Königreich Garetien und der Mark Greifenfurt sowohl beim Adel als auch beim einfachen Volk verbreitet, wenngleich das Selbstverständnis und die Ausübung des Glaubens durchaus verschieden ist. Die meisten garetischen und märkischen Bauern haben noch niemals einen Rahja-Tempel betreten, gleichwohl sich ein Besuch dieser meist licht und luftigen Bauwerke, deren filigrane Verziertheit den Wohlstand der Region widerspiegelt, auch für ihre einfachen Gemüter und Herzen eine wahre Freude wären. Dennoch huldigen sie ausgiebig der Göttin, wie ihre kinderreichen Familien den sichtbaren Beweis dafür liefern. Dies bereitet jedoch besonders in Jahren mit schlechter Ernte den Lehnsherren großes Kopfzerbrechen, denn dann obliegt es ihrer Fürsorge, ihre Bäuerlein nicht über die Gebühr hungern zu lassen.
Besonders zum Fest der Freuden vollzieht die einfache Landbevölkerung auf das Intensivste den Gottesdienst der Rahja. Während dieser Zeit stößt man hinter jedem Busch und jeder Scheune auf ein Pärchen, die eng umschlungen miteinander verschmelzen.
Gegenüber dieser bäuerlichen Freizügigkeit verhält es sich in adeligen Kreisen dem Anschein nach weitaus gezügelter mit der Verehrung der göttlichen Stute. So unterhält zwar fast jeder Adlige einen Praios- und Rondra-Schrein auf seinem Familienbesitz, doch nur selten findet man Altäre der Rahja. So sind auch Rahja-Tempel außerhalb der großen Städte selten. Selbst wer als unverheirateter junger und abenteuerlustiger Mensch des Adels leidenschaftlicher Anhänger der schönen Göttin war und ihre Freuden ungehemmt genoss, zieht sich in der Regel nach dem Schluss des Traviabundes in das eheliche Schlafgemach zurück, um dort unter Verschluss den Akt zwischen zwei Menschen auszuführen und für den Fortbestand der Familie zu sorgen. So frönt der garetische und märkische Adel den Freuden der Rahja eher im ehelichen Schlafgemach als beim Besuch eines Tempels. Dieser Rückzug mag darin begründet sein, dass auch heute noch viele Ehen des mittelreichischen Adels aus Gründen der Politik geschlossen werden und damit weder echte Zuneigung geschweige denn Leidenschaft bergen. Doch nicht nur der diplomatische Zusammenhalt von einzelnen Familien hat seine Manifestationen in der Eheschließung, sondern auch die persönliche Machtgier einzelner Adliger oder ganzer Adelshäuser. So sollte sich zum Beispiel jede junge Baronstochter, so sie denn eine Liebesehe sucht, vor den zahlreichen Söhnen derer von Höllenwall in acht nehmen.
Dennoch gibt es natürlich auch beim Adel Beziehungen, in denen das Feuer der Rahja brennt, und wenn man weiland dem Baron von Gallstein und seiner Gattin begegnete, mag diese Paar jedem Betrachter ein gefälliges Beispiel dafür sein.
In den geweihten Hallen der Rahja findet man in Garetien eher mittelständische Händler und Handwerker. Zwischen dem engen Norm- und Regelkorsett des Adels und der bäuerlichen Freizügigkeit stehend, haben sie sowohl im Herzen als auch im Verstand erkannt, welch befriedigendes und göttergefälliges Erlebnis die Opferung für die göttliche Stute sein kann.«
—Aus dem Herold No. 12 und ein Halb
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