Geschichten:Altes Blut - Was auch immer nötig ist

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5. Boron 1037 – Burg Rotkrähenborn

Es hatte nicht lange gedauert bis Haldan von Rallersgrund sich auf Burg Rotkrähenborn eingerichtet hatte. Seine Gemächer waren großzügig, der Kamin beheizte sie mehr als zufriedenstellend und es mangelte auch sonst an nichts. Dennoch fiel Haldan noch immer auf, dass die Burg für eine deutlich größere Anzahl an Bewohnern ausgelegt war. Immer wieder irrte er durch die Räumlichkeiten der Burg auf der Suche nach einzelnen Personen und so verging Tag für Tag auf Burg Rotkrähenborn. Er war stolz darauf, dass er mittlerweile zumindest das Personal beim Namen kannte, doch die Familie Raulbrins bekam er selten zu Gesicht. Gelegentlich hatte er den Eindruck, sie würden sich mit Absicht von ihm fernhalten und er konnte nicht sagen, ob er das gut oder schlecht finden sollte.

Es würde sich noch einiges tun müssen auf der Burg, das war ihm bewusst. Er und Raulbrin würden schnell einen neuen Vogt finden müssen, der genügend Energie mit sich brachte, um die Mängel schleunigst zu beheben, die sich nur schwer verbergen ließen. Die gesamte Region würde bald auf Rotkrähenborn schauen, wenn erst einmal alle Ämter ausgefüllt waren und die Burg sollte in gutem Lichte stehen.

Der Tag war regnerisch und die Sichtung von Mängeln an der Burg war eine deprimierende Aufgabe und so hatte er sich bereits früh morgens daran gemacht, sämtliche Haushaltsbücher der letzten zehn Jahre zu nehmen und zu sichten. Seine Gemächer waren groß genug, um sie bei ihm unterzubringen. Einige Knechte würden bis zum Mittag damit beschäftigt sein die Umlagerung aller relevanten Unterlagen vorzunehmen.

Haldan hatte mit seinem Vater beschlossen, dass es das beste sei, wenn das Handelshaus wieder finanziell durchatmen könnte und so hatten sich Raulbrin und er einigen können, dass ein Plan für Goldinger ausgearbeitet werden sollte, der die Rückzahlung der Schulden für ihn gut nachvollziehbar aufzeigen würde und ihn hoffentlich dazu ermunterte, weitere Darlehen zu geben. Raulbrin wusste natürlich nicht, dass erst durch das Eingreifen des Handelshauses Rallersgrunder die Zahlung dieser Darlehen überhaupt eingestellt wurde.

Lustlos blätterte er einige Listen durch, die Ungolf mit zittriger Schrift verfasst hatte. Es würde ihn noch einige Wochen kosten, bis er auf dem neuesten Stand war.

Vor einer halben Woche war Haldan von seinem Besuch bei Baron Debrek von Zweiflingen zurückgekehrt. Auf dem Weg dahin, hatte er Dorian von Zerbelhufen aufgesucht, um mit ihm erste Verhandlungen einzuleiten. Seit Tagen schon erwartete er einen Brief, der ihn über seine Entscheidung in Kenntnis setzen würde.

Bevor er die nächste Liste nehmen konnte, klopfte es hektisch an der Tür. Er wartete einen Augenblick, bevor er die Person ein bat. Es war Fiana von Zweifelfels.

„Verzeiht die Störung, Euer Wohlgeboren.“ Offensichtlich war das Mädchen die Stufen des Nordturms hochgerannt, denn sie schnaufte schwer und Schweißperlen standen ihr auf der Stirn.

Haldan lächelte. „Was ist denn los?“

„Der Baron möchte Euch sprechen.“

„Weißt du, um was es geht?“, fragte er sie ruhig, während er sich erhob und zur Tür ging.

„Nein, aber er hat einen Brief erhalten.“

„Vielen Dank.“ Er öffnete die Tür, Fiana ging hinaus und er folgte ihr. „Ich finde den Weg alleine. Geh ruhig wieder deinen Pflichten nach.“ Sie nickte.

Haldan hatte zwar erwartet, dass Zerbelhufen an ihn persönlich schreiben würde, aber wenn er darüber nachdachte, machte es keinen Unterschied. Vielleicht war es sogar gut gewesen. Fiana war gerannt gekommen, was darauf schließen ließ, dass Raulbrin es eilig hatte, dass er darüber reden konnte. Entweder war er also verärgert über das Schreiben oder verunsichert. Beides würde Haldan helfen. Hoffentlich war Argande ebenfalls vor Ort.

Die Ritterin enttäuschte ihn, wie erwartet, nicht. In voller Montur und mit misstrauischem Blick erwartete sie ihn vor der Tür. Von jeweils zwei Grenzwächtern flankiert folgte sie ihm in die Halle, wo Raulbrin mit einem Brief in der Hand auf und ab ging. Seine Frau war ebenfalls da.

„Aah, sehr gut! Rallersgrunder.“, grüßte Raulbrin Haldan und kam auf ihn zu. Mittlerweile hatte sich Haldan an seinen Rufnamen gewöhnt, erinnerte er ihn doch stets daran, wo er herkam. „Seht Euch an, was Dorian von mir verlangt.“

„Seid gegrüßt, Euer Hochgeboren.“ Neugierig blickte er auf das Schreiben. Es war, wie erwartet das Ultimatum mit dem Vorschlag einer unabhängigen Untersuchung.

„Was sagt Ihr dazu?“, fragte Raulbrin und erwartete Aufregung.

„Eine gute Idee.“, antwortete Haldan nüchtern. Raulbrin riss die Augen auf und auch seine Frau lachte empört.

„Wie meint Ihr das, Rallersgrunder?“

„So wie ich es sage. Es ist eine gute Idee und es ist meine Idee.“ Niemand sagte ein Wort. Lediglich eine der Wachen wechselte das Standbein und ihr Kettenhemd rasselte.

„Ihr wollt damit sagen, dass der Vorschlag einer unabhängigen Untersuchung von Euch kommt?“, fragte schließlich Hesindiane.

„Ja.“

„Was erlaubt Ihr Euch eigentlich? Habt Ihr Verhandlungen mit ihm aufgenommen?“

„Ja habe ich.“

„Niemand hat Euch damit beauftragt!“, fauchte sie. Raulbrin legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter.

Haldan wandte sich an Raulbrin. „Euer Hochgeboren hat mich damit beauftragt in Verhandlung mit der Familie Zweifelfels zu treten und diese zu einem erfolgreichen Ergebnis zu bringen. Jeder weiß von den Beziehungen zwischen der Familie Zweifelfels und Zerbelhufen. Ich hielt es für das Beste, vorbereitet zu sein. Früher oder später werden sie ohnehin darum bitten, den Zwist beizulegen.“

„Wir sind nicht abhängig von Debrek oder seiner Familie.“, erwiderte Hesindiane etwas ruhiger.

Nun wandte sich Raulbrin an seine Frau. „Natürlich nicht, Hesindiane, aber wir sollten etwas Dankbarkeit zeigen, für das, was er für uns getan hat. Haldan hat recht damit, dass die beiden Familien vor diesem Streit eine gute Beziehung gepflegt haben und sich Debrek nun für uns entschieden hat.“

„Ich schlug Dorian dieses Abkommen vor, als Ausweg aus seiner doch misslichen Lage. Er ist ein Mann, den die Baronie braucht. Ich habe mich die letzten Wochen immer weder umgehört und viele Menschen sind dieser Meinung. Er genießt ein hohes Ansehen, sowohl im Adel, als auch beim einfachen Volk, was beides nicht zu unterschätzen ist. Seine Zwangslage ist nun offensichtlich: Er war schon vor dem tragischen Unfall seines Sohnes mit Eurer Regierung unzufrieden und galt inoffiziell als der Kopf des Widerstandes. Nun ist sein Sohn, wie einige in seinem Umfeld behaupten, durch Eure Hand gestorben, was für ihn das Ende der Verhandlungen bedeuten sollte, dennoch zeigte er sich zum Gespräch bereit. Ich weiß, dass Ihr unschuldig seid und ich fürchte, dass er sich ebenfalls nicht sicher ist und bloß von den Leuten in seinem Rücken getrieben wird. Geben wir ihm einen Ausweg durch eine von unserer Seite aus initiierte Untersuchung, wird er sich dankend darauf einlassen und wir bekommen tieferen Einblick in die Hintergründe dieses unseligen Widerstandes. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er einen Krieg riskieren würde im eigenen Land.“

Haldan blickte jedem Einzelnen in der Runde tief in die Augen und rührte sich sonst nicht. Er ließ seine Worte wirken.

„Wir alle hier im Raum wissen, dass ich unschuldig bin an dieser Entführung und erst recht an dem schrecklichen Unfall.“, begann Raulbrin. Haldan nickte verständnisvoll. „Mir liegt nichts an einer Auseinandersetzung innerhalb meiner Baronie. Ich möchte, dass wie zu Zeiten meines Vaters Frieden herrscht. Die Menschen erleiden ohnehin schon zu viel Leid und ein Feldzug wird ohnehin noch ausgefochten werden müssen gegen einen Feind, dessen Stärke wir nur zu gut kennen. Umso erschreckender finde ich die Vermutung, dass es Personen in dieser Baronie gibt, die einen offenen Konflikt nicht scheuen.“ Raulbrin blickte betreten zu Boden. Haldan merkte, dass ihn die Politik ermüdete. Während Debrek lediglich kein Interesse zeigte, schien Raulbrin nicht die Kraft für lange Verhandlungen zu besitzen. Die Zeit war reif, um ein weiteres wichtiges Thema anzusprechen.

„Euer Hochgeboren, es gibt noch eine weitere Sache, die ich leider ansprechen muss.“

„Was ist es?“

„Es gibt keine Zweifel daran, dass Euch das Wohl der Baronie am Herzen liegt. Dorian ließ sich bereits darauf ein, mit mir zu verhandeln und ich bin der Meinung, dass die Friedenssicherung, vor allem über den Winter, das wichtigste Thema sein sollte.“

„Natürlich. Da habt Ihr vollkommen recht.“

„Es geht mir um eine Angelegenheit, die, zur unermesslichen Trauer Hesindes, als einer der Auslöser gelten muss.“

„Die Schule?“, fragte Raulbrin und kannte bereits die Antwort.

„Ja genau.“

„Dieses Projekt wird wohl warten müssen.“

„Wie bitte?“, Hesindiane schien ihren Ohren nicht zu trauen. „Mein Vater war seit Jahren dran und all die Jahre hast du ihn bloß vertröstet. Kaum, dass er sich nicht wehren kann, willst du alles zerstören, wofür er gearbeitet hat?“

„Euer Hochgeboren..“, beruhigte Haldan, doch wurde er unterbrochen von Raulbrin.

„Hesindiane, ich weiß, dass dein Vater ein wahrer Mann Hesindes war und viel für seine Idee gegeben hat. Doch die Lage hat sich verändert und es ist nun wichtig an die zu denken, die von einem möglichen Konflikt betroffen wären. Der Frieden ist zurzeit wichtiger als die Bildung.“

„Ihr müsst sehen, dass das Anliegen Eures Vaters ein ehrenhaftes war, doch es scheint, dass einige Personen nicht über das Maß an Weitsicht verfügen, welches Euren Vater auszeichnet. Euer Vater war ein wahrer Visionär mit großen Ambitionen, doch die Menschen hier in Rallerspfort sind noch nicht so weit.“

„Diese Einstellung ist enttäuschend.“

„Ja das ist sie.“, gab Haldan zu und nickte betroffen.

„Nicht die von Böckelburg und all den anderen! Die Eure!“ Haldan hob den Kopf, wusste nicht was er sagen sollte. Auch Raulbrin schien irritiert über den plötzlichen Ausbruch. „Ohne zu zögern habt Ihr Euch gegen den Willen meines Mannes, Eures Barons, für Verhandlungen entschieden. Den Mut habt Ihr aufgebracht, doch wenn es darum geht einem im Sterben liegenden Mann den nötigen Respekt zu erweisen, dann knickt Ihr ein.“ Haldan tat einen Schritt auf sie zu und wollte sich erklären, doch sie fuhr fort. „Raulbrin, siehst du denn nicht, was hier geschieht?“ Sie trat auch von ihm einen Schritt weg blickte ihn erzürnt an. „Dein Seneschall hat mehr Respekt vor deinen Vasallen als vor dir.“

„Er ist doch nur am Frieden interessiert.“

„Er macht, was er will!“

Die kurz eintretende Stille nutzte Haldan. „Ich werde mich besser zurückziehen.“

„Ihr bleibt, Rallersgrunder.“ Raulbrins Stimme schallte in der Halle nach.

„Er bleibt? Dann werde ich gehen. Ich war stets deine größte Unterstützerin, Raulbrin, doch ich sehe mir nicht an, wie du deinen ganzen Rückhalt aufgibst für jemanden wie ihn. Er nutzt deine Nachgiebigkeit aus und das erkennen bald schon Dorian und die anderen.“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und verließ die Halle. Raulbrin machte keinerlei Anstalten ihr zu folgen.

„Es tut mir Leid, Euer Hochgeboren.“, unterbrach Haldan die unangenehme Stille. „Es lag nicht in meiner Absicht sie zu erzürnen.“

„Sie ist es, die um Entschuldigung bitten sollte. Sie prangert die Engstirnigkeit an, doch ist sie selber stur, wie ein kleines Kind. Der Zustand ihres Vaters schlägt ihr aufs Gemüt. Ich bin sicher, dass sie sich beruhigen wird.“

„Wenn ich euch helfen kann, werde ich tun, was in meiner Macht liegt.“

„Ihr habt bereits viel getan. Ich lasse mich auf die Untersuchung ein. Sie wird meine Unschuld beweisen und hoffentlich Frieden bringen.“

„Das ist gewiss. Ich werde Dorian informieren.“

„Ich kümmere mich hier um die Besetzung der Ämter. Die Liste mit Namen habt Ihr mir vorgelegt?“

„Ja, Euer Hochgeboren. Hervorgehoben diejenigen, welche ich den Zweifelfelsern versprochen habe und einige eigenen Vorschläge.“

„Vielen Dank. Ich werde Euch informieren, wenn ich mich entschieden habe. Ich verlasse mich auf Euch, Rallersgrunder. Tut, was getan werden muss. Führt für mich die Verhandlungen und findet heraus, wer hinter all dem Ärger steht.“

„Ich werde tun, was immer Ihr verlangt und was nötig sein wird.“ Haldan legte Raulbrin die Hand auf die Schulter. Es fühlte sich eigenartig an, war er doch der jüngere. Dennoch schien er dem Baron Kraft zu geben. Der Weg war frei, der Feldzug der Kaiserin nicht mehr fern und es gab noch viel zu tun bis dahin.