Geschichten:Hochzeit auf Dreihügeln - Ankunft der ersten Gäste

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Dreihügeln, 05. Travia 1036 BF


Teil I

Der erste Most war gekeltert und lagerte im kühlen Keller unter dem Gutshaus. Reisende Händler hatten diesen Sommer ein gutes Geschäft hier im Dorfe machen können, denn allerlei Gewürz und zusätzliche Töpfe und Pfannen wurden ihnen hier schier aus den Händen gerissen. Zwei bunte Planwagen standen etwas abseits des Dorfes nahe der Fallobstwiese, denn die wenigen Fahrenden, die durch diese Gegend reisten, wollten sich die Gelegenheit ebenfalls nicht entgehen lassen. Umsichtig, wie sie war, hatte die Junkerin angeordnet, dass immer zwei Burschen oder Mädel aus dem Dorfe dafür sorgten, dass es den Musikanten und Akrobaten an nichts mangelte, damit sie sich auf die Vorbereitung ihrer Darbietungen konzentrieren konnten. (Zudem konnte man so darauf achten, dass die Fremden nicht von der überreifen und reichlichen Tracht der Obstbäume zu sehr "abgelenkt" würden.) Rege Betriebsamkeit herrschte in dem Örtchen, denn jeder wollte sein Haus in den bestmöglichen Zustand bringen, bevor die ersten auswärtigen Adligen eintrafen. Zudem war ja noch die Ernte einzuholen. Der Baron hatte sich persönlich angemeldet, also wollte man sich in bestem Lichte zeigen. Unerwartet war ein Laienbruder des nahegelegenen Klosters Nardeshain erschienen, der seine Hilfe angeboten hatte und dankbar von den Dörflern aufgenommen worden war.

Trotz der emsigen Vorbereitungen schienen einige Ältere auch die Muße zum Angeln zu finden. Tatsächlich aber hatte Gramhild einen Wachdienst angeordnet, da sie die wertvollen Perlmuschel-Bestände ungetastet wissen wollte. In diesen turbulenten Tagen könnte man sonst leicht den Überblick verlieren.

Auch am Gutshof neben dem Dorfanger werkelten verschiedene Hände, um Dach und Läden auszubessern, die Wand neu zu weißen oder den Kamin zu putzen. Immer wieder kam es zu Zänkereien zwischen den Dörflern, weil etwas in der Eile zu Bruch ging. Doch meist halfen die Bauern sich gegenseitig, wie sie es sonst auch taten. Besonders hier wollte man möglichst bald fertig werden, denn jeden Tag konnten die ersten Gäste eintreffen. Man rechnete hier bereits fest damit, dass die ersten Kressenburger vielleicht schon in den nächsten Tagen eintreffen würden. Und überhaupt waren es ja nur noch 10 Tage bis zum Travia-Bund der Junkerstochter!

Keinen der Dörfler störte es, dass man die junge Dame bisher noch nicht mal kannte. Die Herrin hatte man ja auch nicht gekannt, bis sie vom Baron zur Junkerin ernannt worden war. Und die hatte sich ja in den letzten zwei Jahren als tüchtige Gutsfrau herausgestellt, die sich auch nicht zu schade war, einfach mal mit anzupacken, wenn es nötig war. Außerdem hatte sie ja ihre Hunde mitgebracht, die seitdem die Arbeit mit den Tieren deutlich erleichterten. So hatte man sich an die "Neue" gewöhnt, während sie sich beste Mühe gab, die Sorgen ihrer Leute zu verstehen und sich um sie zu kümmern.

Es gab zwar auch welche, die hinter vorgehaltener Hand munkelten, dass man auf diese Giftspritze von Mutter auf der Feier gern verzichten könnte, doch von der Herrin selbst kam nie auch nur ein böses oder abfälliges Wort über ihre Ziehmutter Yadviga. Die Junkerin konnte ohnehin schwerlich schlecht von ihr sprechen, da sie generell deren Erwähnung vermied.

Am Nachmittag diesen ungewöhnlich warmen TRAviatages nun kamem zwei Burschen von der Baumwache einen der Hügel hinabgerannt und riefen lauthalt: "Sie kommen, sie kommen!" Die Junkerin indes blickte sich nur in die von ihnen gestikulierte Richtung um. "Ja, wer denn überhaupt?"

Langsam näherte sich drei Reiter, von denen einer noch ein Maultier am Führstrick hielt. Hinten am Pferd des vordersten Reiters konnte man ein Schild erkennen, auf dem ein goldenes Mühlrad auf rotem Grund über einer blauen Spitze abgebildet war. Ein wenig runzelte Gramhild die Stirn, bevor sie eine Magd schickte, ein Gästezimmer zu richten. 'Was will denn der Zalgoer hier?' DOch weiter kam sie mit ihrem Gedanken erst einmal nicht, denn ein Reisender, der bereits seit zwei Tagen im Dorf weilte, sprach sie an. "Wohlgeboren, wenn ich kurz stören darf...?" Mit einem Seufzen drehte sich die Junkerin herum. "Was gibt es denn diesmal, Meister Idaijon?"


Teil II

Während Gramhild sich ihrem Gast zuwandte und mit ihm schnell in ein all ihre Aufmerksamkeit beanspruchendes Gespräch vertieft zurück zum Gutshaus ging, zog Baron Tyrian auf der Hügelkuppe die Zügel an und ließ auch die Knappin, die das Packtier führte, Halt machen. Von der Anhöhe ließen sich Land und Weg gut überblicken. Die Vielzahl an Bäumen, Sträuchern, Wiesen, Äckern und Weiden ließ einen vergessen, daß man sich in den Ausläufern der Harschenheide bewegte. Aus Zalgo kommend befanden sich die Reisenden gerade auf den Ausläufern des südlichsten der drei Hügel, die dem Dorf Dreihügeln den Namen gegeben hatten. Gerade voraus lag das Dorf und man konnte auch das Wasser des Nardesbaches glitzern sehen. Tyrian blickte zurück, als er das vertraute Schnaufen vernahm. Sein alter Kammerherr kam näher und führte das Pferd am Zügel. Dem Schnaufen zufolge hätte der alte Odil mit hängendem Kopf und Zunge ankommen müssen. Trotz des dramatischen Lungenpumpens bewahrte Odil dennoch ein gewisses Maß an Würde, welches die lange Familientradition und das stolze Wissen darum geboten, und welches sein hohes Alter noch zuließ. Der oberste Kammerdiener bekam inzwischen vom Reiten schnell einen wunden Hintern und steife Knochen. Deshalb zog er es vor, dann und wann abzusteigen und sich zu bewegen. Der Baron von Zalgo seufzte. Das war ein notwendiges Übel, welches das Fortkommen bremste. Dann fiel sein Blick auf seine Knappin. Erst seit Kurzem in der Knappschaft war sie noch kein vollwertiger Ersatz für den armen Gerrick. Momentan saß sie im Sattel und blickte offenbar träumend zu den fernen Heidehügeln, die sich im Süden abzeichneten.

"Sianka, gib acht! Die Teppiche sind nicht mehr recht gezurrt!" Erschrocken blickte sich die Knappin um. Sie rutschte geschwind aus dem Sattel und eilte zum Packtier, um die Gurte nachzuziehen. Während das hagere Mädchen sich an den Gurten abmühte, beobachteten der Baron und sein würdevoll gebeugter Kammerdiener die Knappin.

Der alte Odil spie zu Boden und sagte dann: "Warum, Herr? Warum Teppiche?"

"Nicht das ich mich rechtfertigen müßte, Odil, aber die Sache ist denkbar einfach: Niemand sonst wird Teppiche bringen. Und die gute Gramhild wird viele Gäste haben. Sie weiß es noch nicht, aber meine Gewährsleute in Greifenfurt sagen, daß Prinz Edelbrecht kommen wird."

"Oh...", meinte Odil nur.

"Du wirst schweigen", sagte der Baron streng. "Und du auch, Sianka!", fuhr Tyrian die lauschende Knappin an. "Und vergiß nicht, daß das Packtier auf der anderen Seite auch Gurte hat." Beflissen huschte die Knappin ums Packtier.

Halb zu sich selbst sagte der Baron: "Und auch wenn der Prinz bislang noch nicht solche Pläne haben sollte: Sobald er die Gerüchte hört, wird er kommen wollen."

"Und dann, Odil", setze der Baron mit einem vielsagendem Blick seine Erläuterung fort, "werden die Brautmutter und die jungen Brautleute reichlich Mühe haben, die vielen hohen Gäste angemessen unterzubringen. Nur zu gern werden sie die neuen Teppich direkt als Raumschmuck auslegen. Und man wird wissen, wer sie ihnen zum Geschenk gemacht hat."

"Ach, Ihr und Eure merkwürdigen Pläne!", schnaufte Odil. "Eure Teppiche sind schön und gut. Aber warum müßt Ihr dicken Stoff aus dem fernen Punin herschaffen. So ein Ding kann auch eine hiesige tüchtige Weberfamilie machen. Viel billiger noch dazu!"

"Diese Teppiche sind geknüpft", entgegnete der Baron ruhig, während seine Geduld in Odils Wortschwall allmählich erodierte.

"Von mir aus verknüpft. Die drei kleineren sehen ja noch brauchbar aus, auch wenn ordentliche Jagdszenen schöner gewesen wären. Aber dieses große Ding. Große Stiere mit langen Schwänzen und dicken Klötzen! Was würde nur Euer Vater sagen?"

"Er schweigt aber jetzt und Boron wird seine Ruhe hüten. Und diese Stierdarstellungen sind in Almada jetzt Mode."

"Hä...? Wie...? Moder?" Odils ohnehin faltige Stirn furchte sich noch mehr.

"Nein, Mode. Also modern. Äh...", Tyrian suchte nun seinerseits nach Worten und Hesinde belohnte ihn nach einigen anstrengenden Sekunden. "Du kannst auch zeitgemäß sagen".

Odil würdigte die Geistesleistung seines Herrn nicht einen Augenblick und sprach gerade heraus, was ihn den ganzen Weg schon beschäftigt hatte: "Herr, es wäre an der Zeit gewesen, eine neue Kuh zu kaufen. Die schönen Silbertaler... " Der Baron hob kurz an, schwieg aber und ließ den Alten lieber in den Glauben, daß er die Teppiche nur in Silber bezahlt hatte.

Odil zeterte weiter: "Eine ordentliche Kuh, das wäre es gewesen. Statt dessen laßt Ihr Euer Geld mit Füßen treten. Jeder anständige Greifenfurter Baron wird Euch für ein Rindvieh halten." Die Knappin hinter dem Packtier schien sich an irgend etwas verschluckt zu haben.

"Nun, Odil", sagte Baron Tyrian mit grimmiger Stimme, "es darf sich ruhig herumsprechen, daß wir in Zalgo auf eine neue Kuh verzichten können. Vor allem dieser Beldenhager Halunke darf das hören."

Tyrians Miene verfinsterte sich weiter. "Mir ist bis heute ein Rätsel, wie dieser Kerl an das Lehen kommen konnte. Nun, den Stand mochte er sich kaufen können. Leider hat er sich den Anstand nicht mehr leisten können."

"Er mag ein Halunke sein", ereiferte sich der Alte, daß der Speichel spritze, "aber er kauft Kühe, wenn er kann!"

Tyrian bemerkte zu seinem Mißfallen, daß die Knappin inzwischen am Packtier vorbei das Gespräch zwischen dem alten Kammerdiener und seinem Herren beobachtete. Ihr offener Mund machte all ihre Bemühungen um Heimlichkeit deutlich zunichte. Tyrian entschied, daß es hohe Zeit für Strenge war.

"Nun Odil, Anstand wird nicht an der Zahl der Kühe gemessen, sondern vor allem daran, wie man mit der Familie und seinen Vasallen umzugehen pflegt. Die Familie hochhalten bedeutet auch, einige alte Rindviecher durchzufüttern, die manchmal vergessen, wann sie besser schweigen sollten. Der Beldenhager würde vorlauten Hornochsen die Zeit bis zum Verhungern durch Peitschenhiebe versüßen."

"Ha!" Trotzig schob Odil sein kantiges Kinn vor, so daß der letzte Schneidzahn einsam vorstand. "Ihr tut manchmal einen Menge, damit man euch nicht vom Beldenhager unterscheiden kann." "Mag sein, aber ich vergessen nie, wem ich mit Anstand und Treue zu dienen habe." Dies sagte der Baron mit Nachdruck und hing dann einen Augenblick seinen Gedanken nach, während sein Blick die Weite der Heidehügel suchten. "Na", grummelte Odil, "den Anstand solltet ihr auch besitzen, schließlich habt ihr ihn von eurer edlen Mutter mit der Muttermilch zu genüge aufsaugen können. Ein Jammer, daß euer Vater so wenig Zeit hatte, um euch Führung zu lehren. Zum Glück hatte er meine Frau, Boron laß sie ruhn, und mich gehabt. Was wäre wohl sonst aus euch geworden?"

"Baron, nehme ich an", meinte Tyrian lakonisch, blickte dann zum alten Knecht und meinte weiter: "Wollen wir hoffen, daß den Kindern, die aus dieser edlen Dreihügler Verbindung bald entstehen mögen, solch harte Kinderstube erspart bleibt." Dann wandte er grimmig sein Pferd und rief: "Genug der Worte und aufgesessen! Sianka, wenn die Teppiche fallen, werde ich sie mit dir bürsten lassen." Dann trieb er sein Pferd an und sorgte so dafür, daß Odil bis nach Dreihügeln keinen Atem mehr zum Sprechen hatte. Sianka zerrte sich ein wenig den rechten Arm, weil sie krampfhaft jede Bewegung der Teppichladung zu verhindern trachtete.

Teil III

Einen Tag zuvor hatte sich eine weitere Reisegesellschaft getroffen:

Am Grenzstein nahe der Ruine der Mühlenburg, gerade noch auf hexenhainer Grund warteten Urion, Renzi und Rondrian sowie deren Neffe Praiolin und zwei beritte Waffenknechte nun schon seit einigen Stunden.

Urion und Renzi standen etwas abseits. Während Urion ein jungen Rappen aus der Reiffenberger Zucht zum wiederholten Male begutachtete, sprach seine Frau auf ihn ein, ohne dass die anderen es hören konnten

„Und du bist sicher, dass nichts passiert ist, Urion“, fragte Renzi ihren Gatten mit besorgtem Unterton in ihrer Stimme, „er ist nicht mehr der Jüngste!“

„ Und doch war er seit Jahren nicht mehr so umtriebig. Nein Liebste, sorge dich nicht. Wahrscheinlich hat er sich in Hügelhofen vom zwergischen Bier aufhalten lassen, oder verpasst Odilon eine Sonderlektion in Wildniskunde und Fährtenlesen. Den Pfad durch die Wildnis kennen ja die wenigsten, und in den letzten Götterläufen ist hier vieles wieder zugewachsen“, beruhigte der Angesprochene seine Frau.

Rondrian, der etwas abseits stand und sich leise mit seinem Neffen unterhielt, hob plötzlich das Haupt und wies in westliche Richtung, dem Mühlenbach entgegen. Aus dem Dickicht, welches an dem sanft ansteigenden Ufer wuchs, schälten sich vier in dunkelgrüne Bauschumhänge gekleidete Reiter.

Auf dem Schild, welches der erste Reiter führte, war das steigende weiße Ross auf blutrotem Grund deutlich zu erkennen.

Der zweite Reiter war deutlich kleiner und führte ein Tragtier an Zügel hinter sich her. Das Tier trug schwer an einem großen mit einer Zeltplane eingeschlagenen Paket und einer Truhe, welche mit zusätzlichen Lederschnüren gesichert war.

Die beiden hinteren trugen ebenfalls Schilde, waren aber mit kurzen Reiterlanzen bewaffnet, die am oberen Ende einen blau-grünen Wimpel zeigten. Unter Ihren Umhängen erkannten die Wartenden das Wappen der Baronie Hexenhain.

„Praios mit Euch, meine Lieben“, begrüßte sie Baron Gerbald, „ich hoffe ihr musstet nicht all zulange meiner harren.“

Ohne erkennbare Schwierigkeiten stieg der Sechzigjährige aus dem Sattel und ging auf die wartenden zu. Gerüstet war er mit einem langen Kettenhemd, dass sein Knappe wohl in den letzten Tagen zu Hochglanz poliert haben mochte.

Nachdem er seine Schwiegertochter mit einem Handkuss begrüßt hatte, hieb er seinen Söhnen freundschaftlich auf die Schulter. Sein Gesicht verwandelte sich in ein einziges Strahlen als er hinter Rondrian seinen zweitältesten Enkelsohn erkannte. Er schloss ihn in die Arme und hob ihn mühelos hoch. „Praiolin, welch eine Freude für mein altes Herz dich zu sehen.“

Der Junge ließ sich nicht ansehen, dass er sich in der Umarmung seines Großvaters nicht wohl fühlte, empfand er sich doch schon für dem Knabenalter entwachsen. Dennoch hatte er den alten Baron herzlich gern.

„Vater, wir haben uns bereits gesorgt, da du schon am späten Vormittag hier sein wolltest.“

„Ja, ja“, grummelte der Hexenhainer, „Ich wurde in Hügelhofen unverhofft aufgehalten. Stell dir vor, Urion, der Svelter schickt seine Fuhrleute jetzt schon bis in die kleinsten Weiler der Mark. Die Leute vor Ort wissen meist nicht, dass sie beim Preis hinters Licht geführt werden. Aber bei Forbosch Quarzbart beißt sich auch der Svelter die Zähne aus. Das Kleine Volk weiß um die Wertigkeit seiner Arbeit. Und dann hat Forbosch noch darauf bestanden, dass ich mir die neue Sandgrube anschaue. Natürlich mit einem anständigen Dunklen. Und zuletzt habe ich meinem Odilon noch gezeigt, wie man seine Fährte durch einen Ritt durch ein Gewässer am besten verschwinden lässt.“

Urion und Renzi hatten bei der Erwähnung des Greifenfurter Kaufherren aufgehorcht. Auch in Ährenfeld und auf Rosskuppe waren vor einigen Wochen Fuhrleute durchgezogen und hatten Teile der neuen Getreideernte aufgekauft. Zwar war die Ernte in diesem Jahr sehr gut verlaufen, aber das Ressentiment der Reiffenberger gegen den Svelter war in den letzten Jahren gewachsen, zumal man den Kaufherren in Verdacht hatte, den Hochverräter Tilldan unterstützt zu haben. Man munkelte sogar, Svelter habe dem Verrat doppelten Profit gezogen, weil er der Greifin auch das Geld für die neu aufzustellenden märkischen Truppen geliehen habe.

„Dieser phex-verfluchte Lump“, wetterte Gerbald und schlug seiner gepanzerte Faust in die andere.

„Vater; bitte!“ ermahnte ihn sein geweihter Sohn mit strengem Blick. „So verständlich dein Zorn ist, beweisen kannst du es nicht. Und selbst dann ist es schwer vorstellbar, dass die Greifin etwas gegen ihren größten Gläubiger unternimmt.“

„Dann müssen wir uns halt etwas anderes überlegen. Ich werde mich wohl auf der Hochzeit mit einigen Baronen unterhalten müssen.“

Auf einen Wink des Alten saßen sie auf und wandten Ihre Tiere nach Süden. Tags darauf, kurz nach der Ankunft des Zalgoer Barons, erreichten sie das kleine Dorf und Gut Dreihügeln, welches am südlichen Ende des Breitenauer Rübenwegs lag.

Teil IV

Noch während am Abend die ersten Zelte errichtet wurden, näherten sich schon die nächsten Reiter dem Dorf:

Bernhelm von Dunkelsfarn war am Rande seiner Kräfte. Das lag mitnichten daran, dass ihn der Ritt angestrengt hätte. Auch die Reiseverpflegung ließ nichts zu wünschen übrig und die Packpferde, die er und sein Knappe an der Handleine führten, waren willig und genügsam. Sie hatten sich Zeit gelassen, waren abends in Gasthöfen eingekehrt und morgens in Ruhe aufgestanden, immerhin war die Wegstrecke überschaubar und die Möglichkeit, dem heimischen Hof entkommen zu können, mehr als günstig. Was Bernhelm schier umkommen ließ, war… „Herr, habt Ihr da hinten das kleine Gehöft gesehen? Das, das da direkt an dem kleinen Weiher steht und so unglaublich hübsch aussieht? Das mit den kleinen Blumen am Eingang und dem riesigen Eichenbaum hinterm Dach? Steineiche würde ich tippen. Könnte aber auch Hainbuche sein, die kriege ich nicht so recht auseinandergehalten…“ und alles in melodischstem, breitesten Greifenfurtisch, wobei man das Vergnügen, das der Sprecher an dem Ritt hatte, förmlich hören konnte. Dazu brauchte man keinesfalls in das strahlende Gesicht, in die leuchtenden blauen Augen oder in Richtung des nach allen Seiten gesträubten rotblonden Haarschopfes blicken. Wo in der Götter Namen sollte man, neben diesem Jungen reitend, die Kraft hernehmen, mit sich und der Welt in Fehde zu leben? Wie sollte man sich seinen Groll auch nur über eine Landmeile bewahren, wenn neben einem ein Sonnenschein von einem Kerlchen ritt, den selbst ein Büschel Schafgarbe in Verzückungsrufe ausbrechen ließ? Warum sollte man weiterhin zürnen, wenn der Knabe zudem seinem Knappenherrn nachgerade hündisch ergeben war und sich alle Nase lang leidlich bemühte, dessen verhagelte Stimmung zu teilen, nur um keine zwei Schritte wieder in lauten Jubel an Dere allgemein und der Reise im Speziellen auszubrechen. Es war zum Auswachsen.

Eigentlich hatte sich Bernhelm fest vorgenommen, missmutig zu sein. Nicht nur, dass er von seinem Großvater ob dessen Gebrechlichkeit dazu abkommandiert worden war, die Familie und das Lehen bei dieser Hochzeit zu vertreten. Gut, er war Baron, aber zählte es dann nicht auch zu seinen Aufgaben, die Ernte zu beaufsichtigen und tiefer in die Kunst der Lehensverwaltung einzudringen? Er machte sich nichts vor. So wie es um den Gesundheitszustand seines Großvaters stand, musste schon ein Wunder passieren, dass er den kommenden Winter überstehen würde. Und Fredo Adersin selbst war sich dessen ebenfalls bewusst. Nicht umsonst hatte er erst vor ein paar Monden die Baronie offiziell in seine Hände gelegt. Also wäre es nur nachvollziehbar und sinnvoll gewesen, Hochzeit Hochzeit sein zu lassen und stattdessen mit dem alten Herrn die Bücher durchzugehen und sich aufzuschreiben, was es in den kommenden Monden zu bedenken geben würde.

Aber nein, stur wie eine Gebirgsziege, der Mann. ‚Entweder du reitest da hin, oder ich mache es selbst. Und du wirst dir dort ein hübsches Mädel von Stand anlachen, sonst werde ich jemanden beauftragen müssen, für dich eine angemessene Partie auszuloben.‘ Und da sollte man nicht schwermütig werden…

„Ich glaube, da vorne ist es, Herr Bernhelm. Schaut nur, wie viele Fahnen da wehen und da hat man sogar schon Zelte draußen aufgebaut. Ob wir nun, da wir ankommen, auch im Zelt schlafen dürfen? Ich freu mich ja so!“ Bernhelm sog den Atem tief ein. Wenn er richtig gehört hatte, dann hatte sich die Stimme seines Knappen gerade vor Aufregung überschlagen. Entnervt verdrehte der junge Herr von Dunkelsfarn die Augen.

Teil V

Travia, welch eine goldene Zeit. Freilich nicht so golden, wie es für den Götterfürsten würdig gewesen wäre, denn schließlich hatte er dafür seine eigene Zeit. Aber es war der Travia gefällig golden. Goldene Zeiten für die Landbevölkerung, welche die Ernte einfuhr und goldene Zeiten für den Adel, denn manch Münze floss derzeit in dessen Beutel.

Nicht anders war es dem Säckel bestimmt, der den Reisenden gehörte, die gerade das Stadttor von Hexenhain passierten. Vier der Herrschaften waren hoch zu Ross unterwegs. In der Mitte von jeweils zwei Reitern befand sich eine Kutsche, die von zwei Pferden gezogen wurde. Die Plane war weit zurückgezogen, sodass die drei Kinder weit sehen konnten. Von den Wachen war die Reisegruppe, die von einem herrschaftlichen Paar angeführt und einem Hundsgraber Kundschafter sowie einem jungen Mann abgeschlossen wurde zügig in die Stadt gelassen.

„So groß, wie Du es immer beschrieben hast, ist die Hexenhain gar nicht“, stellte Rahvena verschmitzt lächelnd an Brin gewandt fest. Etwas schmollend raunte dieser zurück, „Größer als Pechackern auf jeden Fall.“

„Schön ist es hier in jedem Fall“, stellte Lisande fest. „Schaut einmal wie schön die Häuser geschmückt sind. Den Leuten scheint es ganz gut zu ergehen.“

Weiter vorne blickte der Mann zu seiner Gattin. „Es wird Zeit, dass wir bei Gerbald ankommen, Khorena. Das Jungvolk wird schon ganz unruhig. Nicht mehr lange und auch unsere Kinder werden an ihrer Stelle sitzen und die Welt bestaunen.“

„Sie sind dreieinhalb“, stellte Khorena trocken fest und blickte Anselm ernst an, was ihr sein Schmunzeln einbrachte.

Die Reisegruppe steuerte auf direktem Weg den Sitz des Barons an. Die hohen Zinnen verhießen einen grandiosen Blick über die weite, fruchtbare Landschaft. Während des Anritts zu der Burg herauf winkte Anselm den jungen Mann, der hinter dem Wagen ritt, heran und gebot ihm, die Meldung an der Wache zu erledigen, was dieser, Raslan von Boronshof, auch mit fester Stimme tat. ‚Er ist wahrlich bald soweit’, dachte Anselm als er die Worte des 18jährigen vernahm, in denen er deutlich und formvollendet den Baron von Hundsgrab, nebst Pagen Rahvena, Lisande und Brin sowie dem bediensteten Kundschafter Viburn Fuxfjell und ihm selbst, Knappe seiner Hochgeboren ankündigte.

Selbstverständlich wurde der Familie umgehend Einlass gewährt und eine Unterkunft angeboten. Leider hatten sie den Baron verpasst, der bereits am Morgen losgeritten war, um sich auf den Weg gen Dreihügeln zu begeben. So machte sich die Hundsgraber Gesellschaft am darauf folgenden Morgen wieder auf den Weg und nur zwei Tage vergingen, bis die Reisenden bei bestem Wetter den nördlichen der Hügel überquerten, welche dem Junkertum seinen Namen gegeben hatten. Anselm Hilberan von Hundsgrab-Bugenbühl und seine Gattin Khorena von Hundsgrab-Bugenbühl hatten das Gut Dreihügeln erreicht. Sie waren sicherlich nicht die ersten Gäste aber auch nicht die letzten.

Die Gesandtschaft aus Hundsgrab umfasste sieben Personen, welche dem Paar seine besten Wünsche und das Geschenk überreichen wollten. Letzteres befand sich in dem Wagen und war in einem Tonkrug abgefüllt. Dabei handelte es sich um ein Maß bestem ätherischem Öl, hergestellt aus dem mittlerem Harz der Hundsgraber Föhre und einem Anteil der Atan-Kiefer, die an verborgenen Stellen in Hundsgrab kultiviert wurde. Das Öl möge dem Brautpaar Gesundheit gewähren und sollte im besten Falle mittels einer Inhalation verwendet werden.

Da die Hundsgraber Gesellschaft am 06. TRAvia noch vor den Brautleuten eingetroffen war, wurde der Tonkrug von der Brautmutter mit herzlichem Dank entgegengenommen und in der Zehntscheuer verstaut, wo bereits eine Kiste aus Hexenhain und einige weitere Habseligkeiten untergebracht waren, die als Geschenke gedacht waren.