Geschichten:Kumpanenhatz - Dämmerung

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Baronie Tannwirk, 1. Hesinde 1038, früher Abend.

Die bleigrauen Wolken floßen bereits in ein anthrazitfarbendes Himmelsmeer, dem bald die Schärze der Nacht folgen würde. Seit der Baron von Hirschfurten und der Junker von Tannengrund mit ihrem Gefolge den Grodanshof verlassen hatten, war der Regen ihr steter Begleiter gewesen. Mal als Niesel, dann mit schweren, schlagenden Tropfen, dann als Schneeregen. Nun war es der sehr feine Regen, dessen Tröpfchen durch die Luft zu schweben schienen. Und mit der Feuchtigkeit kroch die Kälte bis in die Knochen.

Weit mochte es bis zur Drachenmagd-Schänke nicht mehr sein. Dennoch warf kaum jemand einen erwartungsvollen Blick voraus. Darauf konzentriert, den nächsten Schritt zu tun, blickten die meisten auf den Weg und auch die Reiter saßen eingesunken in ihren Sätteln. Die Eintönigkeit der letzten Meilen und das stete Tropfen von den Bäumen ringsrum war ein verführerischer Gleichklang, der die Sinne einzulullen versuchte ...

"Wir sind bald da", rief Alrik Herdan und deutete zwischen die Bäume. Zwischen zwei alten Bosparanien, deren Zweige schon fast gänzlich kahl waren, konnten die Reiter einen kleinen gemauerten Wegschrein erkennen. Das goldene Licht einer einzelnen Bienenwachskerze erhellte die alten Mauern. Fast meinten die Männer, den leichten, würzigen Duft zu riechen. "Hinter der Biegung dort vorne ist die Schänke!" Ein letztes Mal noch trieben sie ihre Pferde an und tatsächlich: Nach wenigen Minuten kam ein zweistöckiges Haus in Sicht. Lichtschein und Kaminrauch versprachen Gastung und Schutz vor den Unbillen des Wetters.

Marek war voraus geritten und als der Gros der Reiter die Drachenmagd-Schänke erreichte, wartete bereits ein wohl 15-jähriger Stallbursche. Nimmgalf stieg vom Sattel und drückte ihm die Zügel in die Hand: "Wie heißt er, Bursche?" Der Junge schien von dem Gerüsteten zwar beeindruckt, aber nicht verängstigt zu sein: "Tsadan, Herr! Schönes Pferd, dass Ihr da habt. Sicherlich sehr ausdauernd." Der Junge strich dem Pferd beinahe zärtlich über die Flanke, was Finstermähne schnauben ließ.

"Und wertvoller als er sich vorstellen kann! Also gebe er gut acht!", erwiderte Nimmgalf etwas barsch. Dann schnippte er ihm einen Heller zu: "Nun gut, Tsadan. Schön trockenreiben, ja!" Während Tsadan und die Bewaffneten sich um die Tiere kümmerten, betraten Nimmgalf und Alrik Herdan das Gasthaus.

Der Schankraum war nur mäßig gefüllt. Einige Holzfäller, ein reisender Händler, ein alter Kerzenzieher. Eine wunderschöne Dame, offenbar die Wirtin, eilte den Neuankömmlingen entgegen. Ihre rubinroten, leicht schräg gestellten Augen verrieten ihr elfisches Erbe. Mit einer grazilen Verbeugung führte sie die Adligen an einen Tisch nahe des prasselnden Kaminfeuers: "Herzlich willkommen im Gasthaus zum Roten Drachen. Oder der Drachenmagd-Schänke, wie die Leute hier sagen. Ich bin Siyella Drakenblatt. Ich bringe Euch erst einmal etwas Warmes. Wären ein Pilzeintopf mit Speck und etwas heißer Met den hohen Herren genehm?"

"Na dann immer her mit den warmen Speisen, gute Frau!" entgegnete Nimmgalf knapp und blickte sich noch einmal im Schankraum um. Der Junker neben ihm ergänzte noch: "Ja, das wäre recht." Dann wandte auch er den Kopf, als er den kühlen Luftzug von der Tür her spürte. Ein junger Bursche und eine etwa gleichaltrige Frau, der Kleidung nach hiesige Bauersleut, hatten die Schankstube betreten. Die beiden stutzten kurz, gingen dann aber auf die beiden Adligen zu. Beide neigten den Kopf, drückten sich in gebührendem Abstand und mit einem gemurmelten "Praios zum Gruße!" um die beiden Adligen herum, um ihre Umhänge zu greifen und die Krüge an sich zu nehmen und so den langen Tisch ganz für die hohen Herren freizumachen. Währenddessen hatte Nimmgalf die Holzfäller beobachtet, die die Köpfe zusammengesteckt hatten und heimlich und doch unübersehbar über die neuen Gäste berieten.

Als die beiden Männer die klammen Mäntel ablegten und sich an den nun freien Kamintisch setzten, näherte sich von der Küche hörbar eine singende Frau. Der Gesang verstummte, als sich die Magd mit einem dampfenden Krug und zwei Bechern den Männern näherte. Sie grüßte angemessen, stellte Krug und Becher vor die Adligen, knickste noch einmal und ging zurück in die Küche. Als sie außer Sicht war, stimmte sie ihren Gesang wieder an. Nimmgalf ergriff das Wort, während er den Met in die Becher goß: "Wenn ich Euch recht verstanden habe, Prailind, dann erhofft ihr hier Antworten und Hinweise zu diesem Gesindel zu bekommen? Wie ich gestern schon meinte, können sie über alle Berge sein - oder tief im Reichsforst." "Wir werden sehen", sagte der Junker.

Die Wirtin näherte sich dem Tisch und fragte: "Gibt es sonst noch etwas, was ich gerade für Euch tun kann?"

"Ja", sagte Alrik Herdan geradeheraus. "Siyella, ich - ", mit einem Seitenblick auf Nimmgalf korrigierte er sich, "wir möchten von dir wissen, ob in letzter Zeit Fremde hier durchgekommen sind. Besonders interessiert uns, ob Söldlinge hier waren." Die Wirtin legte den Kopf schief und sagte nach einem Augenblick: "Da fallen mir nur die zwei Gelehrten und die Söldlinge ein, die die beiden abholten. "Söldlinge, soso! Ist dir an denen etwas aufgefallen?", hakte Nimmgalf nach. "Nun", sagte Siyella, "zwei Männer und eine Frau, etwa so alt wie die Holzfällerburschen da drüben. Alle drei hatten, soweit ICH sehen konnte, noch alle Körperteile. Sie blieben kurz, bezahlten ihre Biere und begleiteten nachher die Gelehrten hinaus. Das war alles. Ich mußte mich um die Gäste kümmern, die Stube war gut besucht. Aber der Tsadan hat noch mehr gesehen." "Tatsächlich? So lass ihn herbeirufen", sagte Nimmgalf, um sofort einzuschränken, "sobald er mit meinem Roß fertig ist." Alrik Herdan runzelte die Stirn und fragte dann: "Diese Gelehrten, wer war das und was wollten die hier? Waren es Nanduriaten?" Die Wirtin neigte den Kopf auf die andere Seite: "Meister Drego Gemswein und Odil. Nandusjünger vielleicht. Aber, sie schienen keinem Orden anzuhängen. Beide erschienen hier Anfang Boron und blieben hier bis vor etwa einer Woche." "Und was haben sie hier gemacht?" "Wenn ihr mich fragt: Die Zeit totgeschlagen." Siyella zuckte mit den Schultern. "Mir war's recht. Der alte Mann war anständig und hat für Zimmer und den vielen Wein bezahlt. Er hat reichlich erzählt, aber erfreulicherweise mal nicht von Ziegen, Rüber und Holzklafter gesprochen." "Sondern über was?", hakte Nimmgalf nach. "Seine Reisen und ... ", Siyella stockte kurz, "Ex- pitti -tionen und Forschungen, wie er es nannte. Alte Dinge, alte Sagen und alte Bücher. Er kam aus dem Greifenfurtschen. Er erzählte viel über das Kloster Perainefried, wo er zuvor länger war." Nimmgalf und Alrik Herdan blickten sich an. Dann fragte der Baron: "Und dieser Odil?" "Sein Lehrling. War aber weniger an altem Zeug als an jungen Mädchen interessiert. Soweit also ganz gesund für sein Alter."

Etwas später, der Eintopf war schon aufgetragen worden, erschien der Stallbursche Tsadan. Er sah dabei wie ein Stahlbursche aus, der wusste, dass er einen weiteren Heller verdienen konnte. Er erzählte dann auch nur zu eifrig: "Ich war im Stall und hatte das Tier von Meister Gemswein fertiggemacht. Der wollte plötzlich abreisen, obwohl es schon bald dämmerte. Und wie ich dann rausschaue, da sehe ich die anderen warten. Weiter vorne, am großen Baumstumpf. Ich bin dann hin, wollte die Schlachtrösser sehen. Da hab ich sie gesehen, eine hohe Dame!" "Eine hohe Dame?", wiederholte Nimmgalf. "Und hat er bei dieser Gelegenheit vielleicht auch ihr Wappen gesehen oder gar ihren Namen vernommen?" Tsadan schüttelte den Kopf. "Das war nicht möglich, ich war ja heimlich da. Und die Dame war ohne Wappen. Aber die Söldner hatten ein Zeichen." Tsadan sagte es wie jemand, der den Wert seiner Ware kannte. Als er wider erwarten kein neues Gebot von den beiden Adligen hörte, gab er bei und sprach kostenfrei weiter:" In der Schankstube habe ich es gesehen. Eine Narbe, die wie gemalt war. Ein Kreis, der neun Spitzen hatte. Alle hatten es, an der linken Hand." "Auch die Frau?" "Tsadan schüttelte den Kopf. "Wie kommst du darauf, das es eine hohe Dame war?" "Sie saß auf einem edlen Pferd. Nicht sehr stark, aber schnell. Und sie sprach wie eine Herrin. Und sie hatte silbernen Gesichtsschmuck", berichtete der Stallbursche und deckte mit einer Hand das halbe Gesicht ab. "Bist Du sicher?", hörte Nimmgalf Alrik Herdan neben sich fragen und in der Stimme des Junkers schwang ein Ton mit, der Nimgalfs Nackenhaare aufrichtete.

Der weitere Abend sollte sich noch als sehr ergiebig erweisen. Tsadan war um drei weitere Heller reicher und Alrik Herdan und Nimmgalf erfuhren weitere Neuigkeiten. Der Söldnerhaufen war mitsamt der "hohen Dame" und den Gelehrten noch in der Dämmerung weiter südwärts gereist. Tsadan hatte als letzter den Tagelöhner Birkel beim Wasser abschlagen in der Nähe des Söldnerhaufens gesehen. Dieser, das wusste Alrik Herdan, war wenig später etwas weiter tot aufgefunden worden. Das junge Landvolk, welches vorhin erst den Tisch am Kamin für die hohen Herren freigemacht hatte, berichtete von einer ungewöhnlichen Begegnung. Einige Söldlinge, die sich als Männer des Grafen ausgaben, hatten nur wenige Meilen südlich Verpflegung und Werkzeuge erworben. Sie trugen kein Wappen, allerdings hatte man ein merkwürdiges Zeichen an der Hand bemerkt. Obschon es Söldnervolk war, hatte es keine Scherereien gegeben und die Fremden hatten mit gutem Gold bezahlt.

Am späten Abende...

Der Abend war weit vorangeschritten und der Schankraum mittlerweile fast leer. Die beiden Adligen saßen immer noch am Feuer zusammen. Der Becher mit Met vor Alrik Herdan war schon lange unangetastet kalt geworden, der junge Adlige hatte sich stattdessen einen Krug Wasser kommen lassen. Er wirkte abwesend und zog mit seinem Finger die Maserung des dunklen Eichentisches nach. Nimmgalf hatte es sich auf seinem Stuhl bequem gemacht. Der nicht gerade entspannte Ritt, der Met und die Wärme des Feuers ließen die Müdigkeit in seine Glieder kriechen. Doch einige Dinge beschäftige ihn noch: "Dieser Kreis mit den neun Spitzen, dieses Erkennungszeichen, was meint Ihr? Kor?"

"Mh, was? Das Zeichen? Ja, bei Söldnern vermutlich ein Kor-Symbol, die Zahl Neun ist ihm ja heilig. Und mir ist keine mystische Bedeutung eines Nonagramms bekannt, aber darin bin ich auch kein Experte. Sie haben ja angeblich etwas südlich von hier Vorräte und Werkzeuge gekauft, vielleicht hat dort jemand noch einen genaueren Blick erhaschen können. Das müsste in einem kleinen Weiler östlich der Straße gewesen sein. Nicht viel mehr als ein paar Holzfällerkaten und ein etwas größeres Gehöft der Familie Kiefhuser..."

"Mhmpf", grummelte Nimmgalf. "Eine wohl schon kalte Spur, aber besser als nichts. Und wir haben dann immerhin ein gewisses Gebiet in dem sich die Suche lohnen könnte. Was meint Ihr hat es mit diesem Kloster auf sich. Pereinefried oder so? Das hatte doch auch diese Ritterin erwähnt."

"In der Tat. Wenn Gemswein dort Untersuchungen angestellt hat, später die Söldner dort blutig eindrangen und nun die selben Söldner diesen Gemswein... eskortierten... dann steckt da mit Sicherheit mehr dahinter. Wenn das alles vorbei ist und ich etwas Zeit habe, werde ich diesem Kloster mal einen Besuch abstatten. Wenn ich mich recht entsinne ist dort sogar ein Großonkel von mir Mönch..."

"Nun, eines wäre da noch", sagte Nimmgalf. Er richtete sich wieder etwas auf seinem Stuhl auf. Die Frage hatte ihm wohl schon langer auf den Nägeln gebrannt. "Diese 'Edle Dame', die der Stallbursche erwähnt hat. Auf dem Pferd, mit dem silbernen Gesichtsschmuck. Ihr kennst sie, oder?"

Alrik Herdans Gesicht blieb ausdruckslos: "Vielleicht. Ich bin nicht sicher. Es könnte nur ein Zufall sein. Möglicherweise hat der Junge sich auch getäuscht. Wie dem auch sei. Sollte es die Person sein, müssen wir sehr vorsichtig vorgehen. Es könnte sich um Eda ti Plocheda handeln."

"Wer?"

"Die vormalige Ehefrau des letzten Barons von Tannwirk, Sequin von Prailind zu Gesselingen. Eine höchst dubiose Geschichte, vor meiner Zeit. Eine Magierin, die eine Gesichtshälfte hinter einer Silbermaske zu verbergen pflegte. Hat den Baron geheiratet, nicht wenige meinen auch verhext. Sie verschwand wohl irgendwann um 1024. Ob der Baron sie rauswarf, sie geflohen oder freiwillig gegangen ist, kann ich nicht sagen. Mein Verwalter Gerding hatte mich vor ihr gewarnt. Ich habe auch ein wenig die Ohren offen gehalten, aber viel mehr als Gerüchte habe ich nie gehört. Sie sei in die Niederhöllen gerissen worden, sie sei Magistra in Brabak, sie sei Gehilfin von Balphemor, sie sei Konkubine von Haffax... Sollten wir die Söldner und die Frau tatsächlich finden, gilt die allererste Wehrheimer Strategieregel für Überraschungsangriffe: Magier und Paktierer zuerst! Marek hat einige stumpfe Pfeile dabei, damit sollten wir sie ausschalten können. Ich wüsste zu gern was sie wieder in Tannwirk treibt..."

Nimmgalf nickte schmunzelnd: "Dann ist es ja gut, dass Ihr an schwere Eisenketten gedacht hast. Ich hab nämlich keinen Bedarf der Dame mein Kettenhemd überzustreifen. Lasst uns jetzt zu Bett gehen, ich befürchte der morgige Tag wird noch unerquicklicher als dieser hier."

Wie zur Bestätigung seiner Worte heulte der Wind um die Schänke und ließ die Fensterläden klappern.