Geschichten:Elmenbarths Lehre - Der Schwur von St. Ancilla

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Hesinde-Kloster St. Ancilla, Erleuchtungsfest, 30. Hesinde 1037 BF:

Es war früh am morgen, die erste Hesindestunde stand kurz bevor. Das Kloster war durch unzählige Öllampen, Kerzen und Fackeln hell erleuchtet. Schon seit einigen Stunden hörte man das dumpfe Hallen von Schritten durch die Gänge und heiligen Hallen. Der höchste Feiertag der Hesinde-Kirche stand unmittelbar bevor. Der letzte Tag des Hesindemondes bildete nicht nur den Abschluss des Hesindejahres. Das sogenannte Erleuchtungsfest sollte auch der Höhepunkt und krönender Abschluss des Konvents von St. Ancilla werden.

Fast den ganzen Hesindemond debattierten die Geweihten, Magier und Gelehrten über das Mysterium von Korgond. Vieles konnte zusammengetragen, so manches Rätsel gelöst werden. Doch jede beantwortete Frage warf mindestens zwei neue auf. Daher hatten die gelehrten Köpfe wahrlich nicht alle Geheimnis um Korgond lösen können. Es blieb also noch viel zu tun.

Eilig liefen die gelehrten Damen und Herren den Säulengang von der Eingangshalle zum Hesinde-Tempel des Klosters. Durch eine mit Schlangenornamenten verzierte Tür gelangten die Herrschaften in das sogenannte Cavaedium des Heiligtums. An der gegenüberliegenden Wand dieses Vorraums des Tempels prangerte das steinerne Abbild des hohen Drachen Naclador, dem Alveranier der Wahrheit und Wachsamkeit gegen unhesindianisches Tun. Über dem mannsgroßen Abbild prangerte in großen Lettern der Schriftzug `Vor der Wahrheit kann keiner bestehen´ - eine Warnung an alle Irregeleiteten. Rechter Hand führte eine doppelflügelige Tür nach draußen vor die Klostermauern. Zu früheren Zeiten stand das Tor von der ersten Hesindestunde am Morgen bis zur zweiten Hesindestunde am Abend offen, so dass den Gläubigen den Tage über Zutritt zum Tempel gewährt wurde. Seit den Ereignissen um das Konkordat von St. Ancilla vor einem Götterlauf bewachte die Schlangengarde das Tor um Adligen den Zutritt zu verwehren. Dieser Tage, da die Kleriker, Magier und Gelehrten hier tagten, blieb das Tor gar ganz verschlossen. Linker Hand führte ein weiteren doppelflügeliges Portal in den Tempel der Allwissenden. Oberhalb des Portals war eine brennende Lotusblüte in den Stein gehauen – das Zeichen der Heiligen Ancilla.

Der Tempel wies eine für die Hesinde-Kirche typische hexagonale Form auf. Die lang gezogenen Fenster und hohen Spitzbogen gaben dem Gebäude einerseits eine Leichtigkeit, andererseits auch etwas monumentales. Im Zentrum des Tempels war der ebenfalls hexagonale Altarbereich, gekrönt durch eine Spitzkuppel. Hier stand die vergoldete, überlebensgroße Statue der Allwissenden. Die Göttin wurde als weise Lehrmeisterin mit erhobener Hand dargestellt. In der anderen hielt sie ein Buch. Zu Füßen der Statue befand sich die Schlangengrube und wiederum davor der Hochaltar, worauf eine reich verzierte Ausgabe des Buches der Wahrheit lag. Vor dem Hochaltar war ein Schlangenmosaik in den Boden gearbeitet. Die Wand hinter der Göttinnenstatue zierte das bekannte Motiv der brennenden Lotusblüte. Die Fresken links und rechts davon zeigten Szenen aus den Annalen des Götteralters. Die beiden Säulen, die den Abschluss des Halbrundes bildeten, zeigten die Heiligen Ancilla und Canyzeth, die vorderen beiden freistehenden Säulen Argelion und Cereborn. Rechts neben dem Altar stand ein goldener Buchständer. Zwei goldene Schlangen wanden sich aus seinem Stiel und bildeten ein Halbrund. Für Eingeweihte war dieser Buchständer durchaus ein Politikum, war er doch das Zeichen des Weissenborner Kreises. Eben jener politischen Richtung innerhalb der Hesinde-Kirche, die zur Zeit im Kloster bestimmend war.

Die Säulen und Spitzbögen an der Außenwand waren alle reich verziert. Erstere waren in Schlangenform ausgeformt und vereinigten sich zu einem Kreutzgratgewölbe. Die Wände schmückten Malereien mit Szenen aus dem Leben der Heiligen und immer wieder begegnete einem das Motiv der Lotusblüte. Ging man nun links einmal um die kreisförmige Mitte des Tempels herum, so gelangte der Wissenssuchende in drei hohe Hallen. Hier waren die Altäre von Mada, Rohal und Nandus zu finden. Gerade Rohal genoss als Gründer des Klosters hier sehr großes Ansehen und so manch ein Geweihter wünschte sich wohl zurück in die gute alte Rohalszeit, in der Bildung und die Künste erblüht hatten wie zu keiner anderen Epoche. Eine der bedeutendsten Reliquien des Klosters ist die Gründungsurkunde, persönlich unterzeichnet und gesiegelt von Rohal dem Weisen. Von der Halle Rohals führte eine Tür nach draußen in den Schlangengarten. Von der Haupthalle zweigten zwei Verbindungsgänge ab. Einer führte zum Geweihten-, der andere zum Novizenhaus.

Die Geweihten, Magier und Gelehrten versammelten sich nun allmählich im Tempel. Bei einigen der Anwesenden gruben sich die Augenringe tief in ihr Gesicht. Ob dies der intensiven Arbeit der letzten Tage und Wochen geschuldet war, oder aber der frühen Stunde, blieb deren Geheimnis. Das Stimmengewirr erstarb als Prior Raulbrin von Hartwalden-Hartsteen vor den Altar der Allwissenden trat. Die anderen Geweihten taten es gleich. So begann der Zwölfgötterdienst und ein jeder erteilte den Segen seines Gottes.

Anschließend versammelten sich die Kleriker nun wieder unterhalb des Altares, wo auch die Magier und Gelehrten standen, während der Abt des Klosters Adran von Feenwasser oben stehen blieb. Unterdessen ging die Novizin Sarella mit einem goldenen Pokal und einem Schlangendolch durch die Reihen und ein jeder der Anwesenden gab ein Tropfen Blut. Der Abt erhob das Wort.

„Wir, die von den Göttern Erwählten, von Mada Gesegneten und von Hesinde Erleuchteten, sind in diesen heiligen Hallen zusammengekommen, um das Rätsel der Steine von Korgond zu ergründen. Wir wandelten dabei auf den dunklen Pfaden der Geschichte, die uns zum heiligen Ursprung der Herrschaft über das Land führten. Denn, ein Volk, dass seine Vergangenheit vergisst, wird untergehen. Nur wer seine Vergangenheit kennt, wird die Gegenwart verstehen und einer Zukunft entgegen sehen. Mannigfaltig waren die Versuche der Irregeleiteten um unser hehres Vorhaben zum Scheitern zu bringen. Auch unsere Reihen waren nicht gefeit vor Irrglauben und Verblendung. Doch die Dunkelheit hatte keinen Erfolg, denn vor der Wahrheit kann sie nicht bestehen.

Die Ereignisse, die zu diesem Treffen der gelehrten Geister führten, wie auch dessen Verlauf, hat unser ehrenwerter Chronist Jendar Hesidor Sengerling in der Chronica Conventus Primum Sancta Ancillae zusammengefasst. Die vorläufigen Ergebnisse unserer Zusammenkunft – ja, denn noch sind nicht alle Schleier der Unwissenheit gelüftet – haben wir in der Chronica Mysteria Corgondia festgehalten. Beide Chroniken werden hier im Kloster aufbewahrt werden, nichts darf davon die Klostermauern verlassen bis die Zeit dafür reif ist. Das darin gesammelte Wissen kann gefährlich für Leib und Leben sein. Doch ein jedem der hier Anwesenden steht es frei an jeden Tag und Jahr Einsicht zu erhalten auf das er Erkenntnis gewinne. Doch eins seid gewiss, wir haben alle möglichen karmalen und astralen Sicherungsmaßnahmen getroffen, um das Wissen über Korgond vor den Irrgläubigen zu schützen.“

Die Novizin übergab dem Abt nun den mit Blut gefüllten Kelch und er hob diesen in die Lüfte.

Heilige Herrin Hesinde und Heiliger Herr Praios und ihre göttlichen Geschwister. Segnet diesen Schwur. Die Worte, die nun gesprochen werden, sollen heilig sein, wie auch ihr Sinn und ihre Bedeutung. Ein jeder hier schwört den Eid aus freien Stücken, ohne Dunkelsinn und Tücke im Geist. Denn, wer den heiligen Eid bricht, der sei Eurer Strafe anempfohlen.“

Ein jeder Schwörende erhob Zeige- und Mittelfinger und sprach den Eid.

„Wir schwören Stillschweigen zu bewahren über die erlangten Erkenntnisse des Mysterium Korgond, über die Identität der hier versammelten Erkenntnissuchenden, sowie über die Erkenntnisquellen. Mögen Hesinde und Boron mit uns sein. Jetzt und immerdar!“

Nun erhob der Abt wieder seine Stimme.

„Ein Wort zu unserer heiligen Aufgabe in dieser stürmischen Zeit. Wie auch die Kirche der Allweisen immer wieder im Laufe ihrer Existenz zu Wandel fähig war – dank der Heiligen Ancilla, der Namenspatronin dieses heiligen Hauses – so müssen auch wir, die von Hesinde und ihren göttlichen Geschwistern Erleuchteten, unser Tun und Handeln immer wieder prüfen. Welchen Platz haben wir in der göttlichen Ordnung? Uns obliegt das Seelenheil, das Wohl aller Menschen unabhängig von ihrem Stand. Das wohl! Sei es mit göttlicher Hilfe, dem Segen Madas, oder aber einem hesindegefälligen Geist, ist es an uns Gutes zu bewirken und der Schöpfung zu dienen. Sind wir dadurch die besseren Herrscher? Nein! Unsere Aufgabe ist es, mit Hilfe unserer jeweiligen Gaben, die Herrschenden auf den Weg der Erleuchtung zu begleiten, auf das ihnen unsere Weisheit zuteil werden kann. Nur die Herrschaft der Wissenden und mit dem Land Verbundenen kann uns in eine neue goldene Ära führen, so wie sie vor Anbeginn der Zeiten Bestand hatte. Es ist unsere Aufgabe als die von den Göttern Erwählten, von Mada Gesegneten und von Hesinde Erleuchteten, die Herrschenden auf diesen Weg zu begleiten. Daher sei von nun an, wieder ein jeder Wissenssuchender in den Hallen der Heiligen Ancilla willkommen, ungeachtet seines Standes!“

Leises Getuschel setzte ein, denn die Worte des Abtes hatten es in sich. Es war eine klare Abgrenzung zu den progressiven Kräften, wie etwa die Nandus-Kirche. Aber es war auch ein Appell an die weniger politischen Kräfte, den vom Abt vorgezeichneten Weg zu folgen.

Auch das der Abt die Klostertore nun wieder für den Adel geöffnet hatte sorgte für Rumoren. Nach dem Verbot der Nandus-Kirche auf dem Konkordat in diesen Mauern vor knapp einen Götterlauf hatten die Kirchen von Hesinde und Phex ihre Tempel für den Adel bis auf weitere geschlossen. Der Abt kehrte nun von diesem Beschluss ab.

Der Abt erhob nun wieder seine Stimme.

„Wir, die unser Wissen und unsere Weisheit mit unseresgleichen zu teilen bereit sind um dem Land zu dienen, brauchen einen Ort der Begegnung, auf das die Erkenntnis des Einzelnen zur Erleuchtung eines jeden von uns führen möge. Daher rufe ich alle geweihten, magiekundigen und gelehrten Geister auf, sich alle der Allwissenden wohlgefälligen sechs Götterläufe, im Hesindemond, hier im Kloster der Heiligen Ancilla zum hesindegefälligen Austausch einzufinden, um ein Konvent der Wissenden abzuhalten. Auf das unsere Weisheit uns weiter auf den Weg der Erleuchtung führe.“

Zustimmung verheißendes Händeklatschen und Pochen der Magierstäbe erfüllte nun den Tempel.

„Wir, die von den Göttern Erwählten, von Mada Gesegneten und von Hesinde Erleuchteten, sehen einer neuen Zeit entgegen. Es ist unsere heilige Aufgabe die alten Altäre der Herrschaft ausfindig zu machen und sie aus dem Schoß des Vergessens zu entreißen. Also sage ich, schwärmt aus, sucht nach Erkenntnis, sucht nach den Altären, tragt Wissen zusammen! Mögen die Götter und das Land mit euch sein!“

Mit diesen Worten endete der erste Konvent der Wissenden in den heiligen Hallen von St. Ancilla. Eine nie dagewesene Aufbruchstimmung machte sich unter den Anwesenden breit und nicht wenige fassten den Beschluss gleich am nächsten Tage aufzubrechen.



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Texte der Hauptreihe:
P10. Briefe
K83. Zweifel
30. Hes 1037 BF zur morgendlichen Firunstunde
Der Schwur von St. Ancilla
Draußen im Rauschen


Kapitel 79

Der schwarze Kor
Autor: Bega