Geschichten:Darpatwellen - Feuernarbe
Gut Brückstetten, Nachmittag des 1. Praios 1040 BF
Widerstand hatte es keinen gegeben und die Patrouille war sicher ans Flussufer gelangt. Der Auftrag war klar: Entlang der Marschroute Vorräte requirieren oder vernichten, damit sie dem Gegner nicht zur Verfügung stünden. Leben aus dem Land. Der Krieg versorgt den Krieg. Sie hatten eine halbe Stunde.
Mit verächtlich hochgezogener Lippe schritt Blodgar in den Innenhof des Gutes, über dessen Tor das Wappenrelief eines Fuchskopfes prangte. Die meisten Bewohner hatten beim Nahen der Archen unter dem Dämonenbanner alles stehen und liegen gelassen und sich überstürzt davon gemacht. Zwei hatten es nicht geschafft und waren von seinen voranstürmenden Leuten erschlagen worden. Ein paar weitere waren in ihren armseligen Verstecken aufgestöbert und in einer Hofecke zusammengetrieben worden, indess das Gros seiner Soldaten bereits das Landungsboot mit allem belud, was ihnen wertvoll genug erschien.
Den Kommandostab in der Rechten musterte der kahe, schiefnasige und mit zahlreichen eisernen Ketten und Siegestrophäen behängte Mann die traurigen Gestalten vor ihm, die zusammengekauert und zitternd ihr Schicksal erwarteten. Schwaches Pack! Blodgar wollte eine entsprechende Bemerkung machen, da bemerkte er, dass die ihn sonst stets wie ein Schatten begleitende Feuernarbe in der Einfahrt zurück geblieben war. Sie war die beste Kämpferin seines Trupps und seine ihm durch und durch ergebene Kreatur. Umso verwunderlicher schien ihm darum diese unübliche Anwandlung.
"Was ist?"
"Nichts, nichts. Nur eine Erinnerung."
"Erinnerung? Nichts hier ist es wert, sich zu erinnern. Es zählt allein das, was wir schaffen werden. Die im ewig gestrigen Gefangenen hier: Vergiss sie.“
"Wie gesagt: Es ist nichts. Nur das Wappen“, setzte sie zu einer Erklärung an, "Ich habe einen von ihnen getötet.“
"War das nicht an der Gaulsfurt, als uns dieser Landvogt angriff, der doch eigentlich für uns…?“, Blodgar winkte ab. "Aber was kümmert es dich? Ein Hieb und sein Arm war entzwei wie der ganze Schild, mit dem er seinen Herrn doch schützen sollte! Dann hast du ihn im Uferschlamm ersäuft wie eine Ratte! Ha! Wer so verweichlicht ist - um den ist es nicht schade, wenn er in der Grube der Vergessenen landet!“
Feuernarbe nickte. Ihr von Verbrennungen vernarbtes Gesicht blieb regungslos wie immer.
"Gut“, Blodgar deutete auf die Gefangenen, "Schauen wir uns diese erbärmlichen Gestalten mal an.“
Zwei blutlüsterne Gleichgültigkeit ausstrahlende Spießgesellen hielten die Gutsbewohner in Schach, als er sich breitbeinig vor den furchtsam vor ihm gesenkten Köpfen aufbaute und höhnte: "Irgendwelche letzten Worte, bevor wir euch zu euren nutzlosen Göttern schicken? Oder will sich etwa einer von euch uns anbiedern, um sein kümmerliches Leben zu retten? Nein?“
Eine Frau in einem besseren Kleid - vielleicht die Verwalterin des Gutes - erhob sich. Bleich, die Hand um einen Gänseanhänger an der Halskette zusammengeballt, sah sie an dem Befehliger vorbei, starrte geradewegs in Feuernarbes halb vom Drachenfeuer zerstörtes Antlitz. Mit schmerzerfüllter, schaudernder Erkenntnis im Blick, rief sie: "Stemma. Kind!"
Wie angewurzelt blieb die Kriegerin stehen. Starrte zurück.
Blodgar horchte ob dieser Worte auf. Aufmerksamkeit und Misstrauen gehörten zu seinen Grundeigenschaften; Ohne die hätte er es nicht in seine Position als Befehliger gebracht: "Feuernarbe, was ist? Kennst du die Frau?“
Langsam wandte die Angesprochene den Kopf: "Ich erinnere mich. Das war...ist... meine Mutter“, kamen die Worte stockend hervor, ohne dass sich ihre Miene veränderte. "Ist ja herzzerreißend", die Worte des Befehligers trieften vor Sarkasmus, "Eine Familienzusammenführung! Nur deswegen sind wir hierher gekommen.“
Er lachte dröhnend, dass die Gefangenen zusammen zuckten, bevor er fortfuhr: "Verdammt, was habe ich dir hundert Mal gesagt? Ohne mich wärest du längst jämmerlich krepiert! Ich habe dich aufgepäppelt, als du unter Qualen aus diesem elenden Sterbehaus davon gekrochen bist. Nichts, was davor war, hat noch irgend eine Bedeutung. Fünf Jahre lang habe ich dich angeleitet, dich zu einer der besten Kämpferinnen in der Fürstkomturei gemacht. Bedenke ferner, wie ICH meine Kraft für dich aufopfere, damit der Schmerz, der dich umfangen hält, dich nicht gänzlich verzehrt. ICH bin deine Mutter und dein Vater! Nichts bindet dich mehr an irgendwelche zufälligen Blutslinien! Die Armee ist deine Familie. Ich habe deiner mickrigen Existenz eine neue Richtung gegeben und einen Sinn verliehen: IHM unter dem roten Banner zu dienen!“
Feuernarbe erwiderte nichts. Schaute ihrer Mutter unverwandt in die Augen.
"Das willst du doch, oder?“, fragte Blodgar lauernd, "Dich dieser Gnade würdig erweisen? Dienen?"
Sie nickte bedächtig.
"Gut. Wir haben viel zu viel Zeit mit diesem Palaver verbracht. Also Schluss damit!“, er deutete mit dem Stab auf die Gefangenen, „Ich befehle dir, töte sie. Töte sie alle!“
Auf den Befehl hin griff Feuernarbe unverzüglich nach dem Schwert an ihrer Seite und zog die geschwärzte Klinge aus der Scheide. Ein verzweifelter Schluchzer entrang sich einer der todesängstlichen Kehlen, als die versehrte Kriegerin näher trat und die letzten gemurmelten Gebete erstarrten in der grausigen Ahnung des Unausweichlichen. Der Stahl zuckte mit lang eingeübter Präzision vor - und bohrte sich in den Hals des einen Wächters.
"Verrat!“, brüllte Blodgar und die Zornesadern traten glühend auf seinem kahlen Schädel hervor, während sich Feuernarbes Schwert bereits in die Schulter des zweiten Spießgesellen fraß, noch bevor der erste röchelnd zu Boden gestürzt war. Der Kahle wedelte wild mit seinem Stab, und die Kriegerin sank mit einem Stöhnen in die Knie. Blut lief Feuernarbe aus Mund und Nase, als sie sich mühsam wieder aufstemmte. Blodgar zückte nun seinerseits sein Schwert und ging auf sie zu: "Ich habe dich geliebt, wie ein Vater sein Kind, Feuernarbe. Und so vergiltst du es?! Kein Mensch wird deine Schmerzen mehr lindern können! Verrecke undankbares Weib!“
◅ | Erster Praios |
|
Verloren und Gefunden | ▻ |