Geschichten:Besuch der Alten Dame – Bei der Schlange vom Darpat
Schloss Perringrund, Reichsstadt Perricum, Peraine 1040 BF:
Der Herold wirkte unruhig als er vor dem mit vergoldeten Schnitzereien reich verzierten Schreibtisch stand. Diese Stille war im unangenehm, doch er wagte nicht zu sprechen.
„Ich habe wohl bemerkt, dass Ihr da seid, denn ich kann euch denken hören.“ Der Seneschall blickte bei seinen Worten nicht auf. „Seht dies als Kompliment, nicht viele unseres Standes sind zu denken imstande.“
„Hochgeboren, verzeiht die Störung.“ Edelbrecht druckste ein wenig herum, wusste er doch, dass sein Herr nicht gestört werden wollte. „Eine Dame aus Gareth wünscht Euch zu sprechen.“
„Eine Dame aus Gareth? Ich habe keine Zeit!“
Der Herold räusperte sich. „Es ist Rymiona von Aimar-Gor.“
Der Seneschall blickte von seinen Pergamenten hinauf. „Aimar-Gor? Führt sie herein!“
„Sehr wohl.“ Edelbrecht verbeugte sich und trat ab.
Wenig später nahmen Rymiona von Aimar-Gor und Zordan von Rabicum auf zwei ausladenden Sesseln platz. Diener reichten Gebäck und Perricumer Roten. Der Blick der Edeldame fiel auf das große, aus Stahlstreben gefertigte Wappen der Familie Rabicum. Es zeigte eine große weiße Schlange auf blauen Grund und darunter den Wahlspruch der Familie. Bildnisse der 12-Götter gruppierten sich um das Wappen.
„'Der Darpat ist ewig', wie originell!“ Die alte Edeldame wirkte nahezu belustigt. „Natürlich ist der Darpat ewig, wo soll er denn auch hin? Dann doch lieber 'Hart und Fest' wie die Dornenstrauch-bewehrten Waltern, oder 'Blut regiert' wie die Säbel-starrenden Alxertis. Aber macht Euch nichts draus, immerhin macht Euer Wappentier was her. Eine große weiße Schlange hat schon was furchteinflößend. Wer bitte soll Furcht vor einem Hummer haben?“
„Wie ich sehe, seid Ihr mit den heraldischen Charakteristka des perricumer Adels gut vertraut. Allerdings muss ich Euch widersprechen, denn ich habe das Wappentier Eures edlen Hauses eher als aranischen Malmer gesehen. Und wie Ihr wisst, wurde der Malmer von Llanka sehr wohl gefürchtet.“
„Ich muss gestehen, ich empfinde Gefallen an Eurer Sichtweise. Meine alte Heimat wurde für ihren Reichsverrat zu genüge gestraft – und das auch zurecht – aber das ist Geschichte. Ich pflege nach vorne zu blicken. Ich weiß, durchaus ein Wagnis in meinem Alter.“
„Wir Alten sind es, die den Weg bereiten – wie in Eurem Fall für Eure Nichte.“
„Es ist erfrischend, einen Mann zu sehen, der seine Absprachen einhält. Die Erhebung meiner Nichte zur Landjunkerin von Reichsgard erweist meinem Haus einen großen Dienst.“
„Eure Nichte hasst mich sicherlich dafür.“ Der Anflug eines Schmunzelns huschte über das Gesicht des Seneschalls, ein seltener Anblick.
„Verehrter Zordan, ganz Perricum hasst Euch“, die ehemalige Landvögtin von Palmyramis lächelte vergnügt, „aber ich denke das werdet Ihr verschmerzen können.“
„Kommen wir zu unserem Geschäft.“
„Gewiss, der aranische Malmer hat das perricumer Festland erreicht und die Schlange vom Darpat fordert eine Gegenleistung für seine Duldung. Die soll sie bekommen.“ Rymiona machte eine kurze Pause und schaute ihrem Gegenüber genau an. „Ich sage nur ein Wort: Korgond!“
„Korgond? Das Wiedererscheinen Korgonds habe ich wohl vernommen, ebenso die Einladung der reichsforster Gräfin und des kleinen Füchsleins.“
„Ja, Korgond, der Anfang, der Gründungsmythos der großgaretischen Lande. Ein Ort der Macht und ein Ort des Bundes mit dem Land selbst. Die Urkraft Großgaretiens.“ Die Augen der Edeldame begannen zu funkeln. „Das Land befindet sich in Ungleichgewicht, auch hier in Perricum, oder wie erklärt Ihr die Vorkommnisse an diesen Felsen am Darpat?
„Nicht nur an den Rothandfelsen, überall in Perricum häufen sich wundersame Erscheinungen. Die sechs Elemente haben Korgond offenbart und offenkundig uralte Mächte geweckt, die wir nicht zu verstehen im Stande sind.“
„Studiert die alten Schriften, mein lieber Zordan. Die Legende von Cashgar und Caralus aus Euren Landen, oder die Rohal Apokryphen zur Zahlenmystik. Es geht um die Identität des Landes, dessen Macht weit älter zu sein scheint als selbst die Götter. Niemand wird sich dem entziehen können. Ich rate Euch, ab und an einen Hesinde-Tempel zu besuchen, ein Quell der Weisheit sage ich Euch. Ich treffe mich regelmäßig mit dem Abt des Hesinde-Klosters St. Ancilla vor den Toren Gareths. Die Ancillaner sind federführend bei der Entschlüsselung der Geheimnisse um den Tempel von Korgond. “
„Was Ihr nicht sagt.“ Zordan führte seinen Becher Wein an seine Lippen, stellte ihn dann aber wieder ungenutzt auf einen kleinen, mit vergoldeten Ornamenten verzierten Beistelltisch.
„Wie der gelehrte Geist weiß, war der `gute Kaiser Menzel´gar nicht so gut wie uns der Volksmund glauben lassen möchte, sondern von eher zweifelhafter Natur. Dennoch hinterließ er den garetischen Königen eine wichtige Insigne ihrer Königswürde… .“
„Das Menzelsband!“
„Ein Band, geschmiedet als Symbol für die untrennbare Einheit von Herrscher und Land. Aber warum? Wozu brauchte es dieses neue Kleinod? Ich sage es Euch. Weil Menzel das Relief von Korgond zerstört und so den alten Pakt mit dem Land aufgekündigt hat. Aber schaut Euch um, das Land begehrt auf, die Einheit von Herrschaft und Land scheint nicht mehr im Gleichgewicht, das zeigt uns das Land deutlich. Wir müssen zu den Idealen der gerechten Herrschaft zurückkehren, wie sie vor der Menzelzeit waren.“
„Wie sollen wir das Eurer Meinung nach anstellen?“
„Der Adel muss das Menzelsband zerstören!“
„DAS ist eine sehr gewagte Aussage.“ Der Seneschall verschärfte den Ton.
„Daran führt nach Ansicht der Gelehrten kein Weg dran vorbei! Das Menzelsband muss zerstört und das Relief wieder neu zusammengesetzt werden. Der alte Bund mit dem Land muss erneuert werden.“
„Man könnte meinen mit Eurer Zunge spricht dieser Nanduriat.“ Zordan blinzelte sein Gegenüber aus schmalen Augenschlitzen an.
„Eine gewisse Nähe zur Kirche der allwissenden Schlange mag man mir unterstellen, aber sicherlich bin ich keine Anhängerin des Einhorns, denn die interpretieren Korgond noch sehr viel radikaler.“ Rymiona nahm einen Schluck aus ihrem Becher Wein. „Ich bin keine Närrin und würde die Privilegien meines Standes niemals untergraben.“
„Mich interessiert hierbei vor allem die politische Komponente des Ganzen. Ich frage mich, was das alles mit dem kleinen Füchslein zu tun hat?“ Lauernd sah der Seneschall Rymiona an.
„Nun“, die Edeldame lächelte vielsagend, „ich hatte kürzlich ein sehr erbauliches Gespräch mit seiner Mutter, Prinzessin Lorindya. Der Spross aus zwiefach kaiserlichen Blute könnte der neue Heilsbringer sein, der die Herrschenden zu den alten ritterlichen Tugenden der gerechten Herrschaft zurückführt.“
„Er ist noch ein Kind! Damit hatten wir hier in letzter Zeit äußerst schlechte Erfahrung.“ Der Seneschall blickte Rymiona ungläubig an.
„Er ist aber nicht irgendein Kind. Er kann dem Land als Symbol der Einheit dienen. Unsere Kaiserin ist zu sehr mit Reichsangelegenheiten beschäftigt. Großgaretien brauchen einen Repräsentanten des Hauses Gareth und zwar hier auf unserer Scholle. Das Blut des Hauses Gareth ist mit dem Land eng verbunden. WIR brauchen diese Verbindung.“
„Ich kann Euch soweit folgen und verstehe worauf Ihr hinaus wollt.“ Der Seneschall lächelte tiefgründig. „Meine Unterstützung soll das Füchslein haben, schließlich sind wir doch alle ergebene Diener des Hauses Gareth. Sei es in Garetien oder hier in Perricum.“
„Sehr wohl, es gibt keine Alternative zum Königshaus, alles andere würde uns ins Chaos stürzen. Und Chaos kann man schlecht unter Kontrolle halten.“
Dem Rabicumer gefiel die Denkweise der Aimar-Gor, sie war ihm sehr ähnlich, was sie gleichzeitig zu einer Verbündeten und einer Gefahr machte. Er straffte sich noch einmal. „Sagt, Verehrteste, was hat der aranische Malmer als nächstes vor? Wird er gar Jagd auf die Ochsen, Löwen und edlen Rösser der Ebene machen?“
„Das jagen der Ochsen überlässt er lieber der großen Schlange vom Darpat. Nein, der aranische Malmer wird zum Rossschlachter werden, denn nur reinblütige Rösser haben ihren Wert!“
„Ihr macht dem Wahlspruch Eures Hauses alle Ehre, denn 'Unvergessen' werdet Ihr allemal.“
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