Geschichten:Das Reichsgericht - Artikel im Aventurischen Boten 131
Das Reichsgericht
Dieser Tage tritt das Reichsgericht wieder einmal zusammen – in den neuen Räumlichkeiten in Elenvina. Zeit, diese Institution des Mittelreiches einmal in Augenschein zu nehmen: Schon in den ältesten Ausgaben des Codex Raulis finden sich Paragraphen, die das Reichsgericht betreffen, doch hat es in der Geschichte des Reiches stets unterschiedliche Rollen gespielt und sich auch unterschiedlich zusammen gesetzt. Es scheint, dass vor allem in Zeiten einer schwachen Krone und einer starken Aristokratie das Reichsgericht an Bedeutung gewonnen hat. Das Reichsgericht, wie wir es heute kennen, wurde unter Reichsbehüter Brin von Gareth durch Beschluss des Großen Hoftages von 1014 BF und nach Vorlage der Reichskanzlei in seine heutige Gestalt gefügt:
In zwei Kammern sitzen je acht Reichsrichter. In der zweiten Kammer, die sich aus Vertretern des Niederadels zusammensetzt, werden Rechtsstreitigkeiten verhandelt, die Grafschafts- oder Provinzgrenzen überschreiten und deren Beteiligte keine Hochadligen sind. Gerade in jüngster Zeit mehren sich die Klagen wohlhabender Städte gegen verarmte Ritter, die das Fehderecht missbrauchen, und einer Stadt unter fadenscheinigen Gründen die Fehde erklären und sich durch Überfälle auf deren Bürger zu bereichern. Die rechtmäßige Fehde erlaubt es, sich an der Habe des Befehdeten gütlich zu halten. Befindet das Gericht den Fehdegrund als vorgeschoben, gilt der Ritter indes als gemeiner Raubritter, der für seine Taten gerichtlich zur Verantwortung gezogen werden kann. Diese Kammer soll auch dafür sorgen, dass ›kleine‹ Rechtssachen erledigt werden können, ohne die Krone zu belästigen. Meist liegt bereits ein Urteilsspruch eines Grafen oder Provinzherren vor, weshalb das Reichsgericht als Berufungsinstanz angerufen wird. In der ersten Kammer des Gerichtes sitzen die »Höchlich Adligen Reichsrichter«, also Hochadlige, deren ranghöchster Graf Growin von Ferdok ist. Diese Kammer verhandelt ausschließlich Fälle, die Provinzgrenzen überschreiten und deren Klagebeteiligte Barone oder gar noch höheren Ranges sind. Berufen werden die Reichsrichter durch die Krone, und zwar auf Lebenszeit, wobei mitunter der Provinzproporz wichtiger erscheint als juristische Befähigung.
Die Kompetenzen des Reichsgerichtes sind weit reichend. So kann das Reichsgericht – wie die Kaiserin – Reichsacht und Aberacht über Hochadlige aussprechen. Gegen Urteile, die bei Prozessierenden nicht auf Zustimmung stoßen, kann Protest bei der Krone eingelegt und eine Aufhebung des Urteils angestrebt werden. Im Falle höchster Strafurteile allerdings – wenn nämlich beide Kammern hinzugezogen werden – haben Reichsgericht und Kaiserin gleichen Rang, so dass die Krone ein solches Urteil nicht aufheben kann. Zudem kann das Reichsgericht auch über Provinzherren urteilen; dieses Privileg steht außerhalb des gerichtlichen Verfahrens sonst nur der Kaiserin zu, die hierfür allerdings die formelle – und traditionell gewährte – Zustimmung des Gerichts benötigt. Weil aber das Reichsgericht selten zusammentritt und zudem langsam arbeitet, auch weil die adligen Reichsrichter ungern ihresgleichen aburteilen, stauen sich die Fälle jahrelang auf. Bisweilen wurde der Vorwurf der Prozessverschleppung laut, und angeblich ist noch immer ein Rechtsstreit zwischen dem Grafen von Reichsforst und der Gräfin von Ferdok anhängig, der auf das Jahr 872 BF datiert ist, den zu lösen aber niemand mehr ein großes Interesse aufbringt. Heutzutage wählen viele Adlige lieber den Weg der Fehde, um Streitigkeiten auszutragen, statt däumchendrehend auf eine Entscheidung des Gerichtes zu warten.
Zwei wichtige Ämter nun sind mit dem Reichsgericht verknüpft: Zum einen besitzt das Reich mit dem Reichscronanwalt einen beiden Kammern als Präses zugeordneten höchsten Reichsrichter, der die Stimmen auf eine ungerade Zahl bringt und mit seinem zuerst abgegeben Votum eine Präjudiz festlegt. Dieser Posten, der wie die Reichserzämter dieser Tage vom Hoftag besetzt wird, ist seit dem Tode der Gräfin Efferdane von Ehrenstein zu Eslamsgrund im Jahr des Feuers vakant. Eine wichtige Rolle für die Legitimation der höchsten Urteile des Reichsgerichtes spielt außerdem der Reichsseneschall, der nämlich durch seine Zustimmung den Urteilen Rechtskraft verleiht. Er ist im Verhinderungsfall der Krone auch die Appellationsstelle für Berufungsabsichten der Prozessbeteiligten. Dieses Amt wird seit alters her von den Herzögen der Nordmarken gehalten. In dessen Händen befindet bekanntlich derzeit auch das Große Reichssiegel, mit dem alle Urteile des Gerichtes abschließend gesiegelt werden müssen.
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