Geschichten:Fest zur Genesung der Perricumer Lande – Wo Ochsen grasen

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Burg Beschelshall, Baronie Herdentor, Phex 1040 BF:

Mit erhabenen Blick ließ sich der greise Wulfhelm von Stumfels in einer Sänfte durch die langen Gänge der Festung Beschelshall tragen. Nicht aus meridianischen Überlegenheitsgehabe, sondern aus Notwendigkeit. Der Großvater von Baron Martok war von der Hüfte abwärts gelähmt. Diener wie Höflinge, die seinen Weg kreuzten, blieben stehen und verbeugten sich tief. Ihn in die Augen zu sehen, wagte kaum jemand. Mochte Martok auch der grimmige Herrscher der neu geschaffenen Baronie Herdentor sein, so wussten doch alle um den Einfluss des Sturmfelsers bei Hofe. Wulfhelm galt als einer der engsten Vertrauten und Berater des Barons, denn in seinem verfallenden Körper schlummerte noch immer ein wacher und analytischer Verstand.

Dieser Verstand hatte dem Sturmfelser schon weit rumkommen lassen. Vor 65 Götterläufen half er dem späteren Kaiser Reto die dekadenten Kaiserlichen Geschwister vom Greifenthron zu vertreiben. Nicht durch seinen Schwertarm, nein, sondern durch seine sorgsam durchdachten Pläne. Später nahm ihn Kaiser Reto mit nach Maraskan (987 BF), wo er nach der Eroberung den Aufbau einer reichstreuen Verwaltung half. Viele Götterläufe verblieb Wulfhelm auf Maraskan und kehrte erst nach dem Tuzaker Aufstand 995 BF in die Reichsverwaltung nach Gareth zurück, wo er in der Reichskanzlei für Reichsangelegenheiten unter Reichsrat Pelion Eorcaïdos von Aimar-Gor Dienst tat. Vergeudete Jahre, wie der Sturmfelser zu sagen pflegte, denn mit dem Aimar-Gor menschelte er nicht im geringsten. Hier der bodenständig-spröde, kühle Analyst, dort der genussfreudige Lebemann. In den Augen Wulfhelms tat der Aimar-Gor alles um die Karriere des Sturmfelsers zu behindern. Erst Leobrecht von Ochs, gerade frisch zum Kanzleirat für Kutschen- und Wagenbau ernannt (1012 BF), erkannte das Talent des Sturmfelsers und holte ihn als Assessor in seine Kanzlei.

Zehn Götterläufe später nahm Wulfhelm seinen Abschied aus der Reichsverwaltung – seine Beine trugen ihn nicht mehr - und ließ sich in einem Stadthaus in der Reichsstadt Perricum nieder, um sein Altenteil zu genießen. Die Verbundenheit zu Leobrecht von Ochs blieb – genauso wie die Feindschaft zum Aimar-Gor.

Seither war viel Wasser den Darpat heruntergeflossen. Das Alter und der körperliche Verfall nagten an dem Lebenswillen des Alten. Seine Kinder waren für ihn allesamt eine große Enttäuschung. Rondralied, seine Erstgeborene, war eine verbissene, aber vollkommen bedeutlungslose Hausritterin am kaiserlichen Hof zu Gerbenwald. Immerhin bekam er über sie Informationen über das Treiben der neuen Reichsvögtin. Rudemar, sein Zweitgeborener, war für dynastische Überlegungen vollkommen ungeeignet, heiratete dieser doch weit unter seinen Stand und überließ seinen Kindern gar noch den Familiennamen ihrer Mutter. Eine herbe Enttäuschung auf ganzer Linie. Mara, seine Jüngste, triebt es von jeher viel zu wild, ließ sich mehrfach von irgendwelchen brünstigen Männern schwängern – einer davon gar der Baron von Brendiltal, was in den Augen des Greisen ihr größte Leistung war. Charakterlich war sie viel zu schwach und devot.

Größere Hoffnung setzte der Greis hingegen auf seine Enkel. Holdwin, der lüsterne Schwerenöter, hatte es immerhin vollbracht die Halbschwester des Grafen zu schwängern, was Wulfhelm zum Urgroßvater des landvögtlichen Bastards der gräflichen Bastardin machte. Das war doch mal was. Ederlinde war kürzlich zur ersten Hofdame am Markgräflichen Hof aufgestiegen – nach dem der Seneschall die Aimar-Gor-Schlange vom Hof verbannt hatte. Eine sehr erfreuliche Entwicklung, wie der Alte empfand. Dann war da ja noch Maias Bastard-Sohn Martok. Durch seinen Aufstieg zum Baron von Herdentor erwachten bei dem Alter auch wieder die Lebensgeister. Martok holte den Alten als Berater an seinen Hof und seither ist es Wulfhelm, der hinter den Kulissen die Strippen zog.

Er war es auch, der Martok davon überzeugte, einen Abgesandten zum Fest der Genesung der Perricumer Lande nach Perrinmarsch zu schicken. Die Bastard-Schwester des Markgrafen hatte offenkundig etwas vor und Herdentor stand noch ziemlich isoliert da. Es war an der Zeit die Konsolidierung der Macht voranzutreiben und Bündnisse außerhalb der Baronie zu schmieden. Denn so fest saß Martok noch nicht auf dem Thron, denn mit der Aimar-Gor-Schlange – die nunmehr als Landjunkerin über Reichsgard herrschte - und der aranischen Feqzaïl-Hure in der Stadt Brendiltal, saßen gleich zwei große Stachel im Fleisch des Barons.

So schickte der Greis seine Tochter Mara zu den Feierlichkeiten an den Marschenhof. Und tatsächlich, Mara sollte diesmal nicht enttäuschen, denn sie stieß auf Wulfhelms Freund aus Kanzleitagen, Leobrecht von Ochs. Die Gespräche der beiden verliefen äußerst zufriedenstellend und seither gab es eine regelmäßige Korrespondenz zwischen Herdentor und den Efferdtränen. Als Folge daraus ist auch die Ernennung von Alinde von Ochs zur Kämmerin am Hofe zu Herdentor zu sehen. Ein klares Zeichen gegen die Aimar-Gor-Schlange und der anderen aranischen Hure – Herdentor stand nun nicht mehr allein da.

Die vier muskulösen, nebachotischen Träger brachten die Sänfte in den kleinen Ratssaal. Dort wartete bereits eine kleine, rundliche, fast schon bäuerlich wirkende Frau mittlere Alters. Die Respekt einflößende, bullige Statur der Frau stand im Gegensatz zu ihrem verschmitzten Lächeln. Sie war nicht ohne Reiz, dachte sich der Alte, doch waren diese Zeiten schon lange vorbei.

„Wo sind die anderen Hofräte“, fragte die Ochs glucksend.

„Die heute zu diskutierende Agenda betrifft nur einen intimen Kreis – und der ist bereits hier versammelt.“ Nach dem die nebachotischen Träger den Raum verlassen hatten, waren die Kämmerin und der herrschaftliche Berater alleine im Raum.

„Wir müssen etwas gegen diese aranische Brut unternehmen!“ Die Stimme des Alten war bestimmt und ernst. Wie immer kam er direkt zur Sache. „Die Achse ReichsgardBrendiltal-Stadt wird uns langsam gefährlich.“

„Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache.“ Dickliche Finger suchten ihren Weg durch einen Berg Pergamente und wurden schließlich fündig. „Seit der Erhebung Reichsgards zum Landjunkertum kam es zu einem Einbruch bei den Zolleinnahmen. Die Handelseinnahmen gehen nahezu vollkommen an uns vorbei, da innerhalb der Baronie keine Zölle erhoben werden. Eine prekäre Situation, wenn man die hohen Ausgaben für die Garde des Barons bedenkt … .“

„Die Garde ist es die uns an der Macht hält. Diese aranische Hure in Brendiltal hält sich für was besseres. Ihr Rückhalt bei den brendiltaler Pfeffersäcken wird schwinden, wenn wir Alternativen bieten.“

„Wie wollt Ihr das hinkriegen?“ Alinde von Ochs hob ihre rechte Augenbraue. „An der Stadtgrenze Zollschranken aufbauen? Das wird den Händlern nicht gefallen.“

„Das wäre eine adäquates Mittel, aber nein, ich hatte was anderes im Sinn. Reichsgard dient den Brendiltaler Händlern als günstiger Hafen für ihre Waren. Wir verdienen weder an den Märkten von Reichsgard, noch von Brendiltal. Was wir brauchen ist ein Gegengewicht zum Hafen UND eine zusätzliche Einnahmequelle.“

„Die da wäre?“

Etiliashaven!“

„Etiliashaven?“ Die Kämmerin kramte in ihren Unterlagen. „Soweit ich weiß ein unbedeutendes Fischernest.“

„Richtig, wir werden es zum Markt erheben und die Hafenanlagen ausbauen. Somit hätte Herdentor einen neuen Hafen.“

„Dessen Einnahmen in den Säckel des Barons fließen“, beendete die Ochs den Satz des Alten.

„Ich wusste wir verstehen uns!“ Der Greis lachte heiser.