Benutzer:Orknase/Briefspiel

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Version vom 7. Dezember 2018, 19:05 Uhr von Orknase (D | B)
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Hier entstehen meine Briefspieltexte und werden sorgsam verwahrt, bis ich weiß, wohin sie sollen - abhängig davon, ob es zu den Brachenwächtern eine Briefspielreihe geben wird.
Es ist ausdrücklich erlaubt, Rechtschreibfehler sowie Fehler der Zeichensetzung zu korrigieren, genauso wie verloren gegangene Buchstaben richtig zu ergänzen und überzählige einzusammeln.

Drei Krähen und ein Räblein

Flieg Krähe, flieg!

Baronie Greifenpass, Tempel unserer gütigen Etilia, Kammhütten, RAH 1041

Als Darian von Trottweiher im Tempel unserer gütigen Etilia eintraf, da glaubte er tatsächlich einen Augenblick lang seine Frau ins Gebet vertieft zu sehen. Bäuchlings sah er sie auf einem Teppich auf dem Boden liegen, die Beine gerade nach hinten gestreckt, die Arme zur Seite und es war der Geruch des Weihrauchs, der ihm schlussendlich den Rest gab. Da hörte er seine Frau weinen, schluchzen, voller Verzweiflung und Ohnmacht, voller Wut auf sich selbst und auf alle anderen um sie herum, selbst auf ihn und nichts, rein gar nichts, was er sagte oder tat, vermochte ihr Linderung zu verschaffen, vielmehr schien alles die ganze Situation nur noch zu verschlimmern. Und er hörte sie wimmern: „Wenn ihr mich so sehr hasst, wenn ich euch so egal bin, warum holt Golgari mich nicht gleich? Warum muss ich weiter leben? Weiter leiden? Was habe ich euch getan, dass ihr mich so verachtet, mich so straft? Warum kann ich nicht einfach tot umfallen? Morgen nicht mehr aufwachen? Warum?“

Die Erinnerung überwältigte den Ritter. Er stürmte nach draußen. Er musste hier weg. Hier raus. Ertrug es nicht hier zu sein. Wie hatte er das damals nur ausgehalten? Wie hatte er das nur überstanden?

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„Vater?“, hörte er eine Stimme aus dem Inneren des Tempel rufen. Eilig wischte sich Darian die nahenden Tränen aus den Augen und mahnte sich Fassung zu wahren.

„Vater?“, hörte er erneut die Stimme seiner Tochter, „Vater, seid Ihr das?“

Da trat Ailsa aus dem Tempel heraus. Aus jenem Tempel, in dem früher seine Frau auch immer gebetet und den Herrn von Tod und Schlaf um Beistand gebeten hatte, damals, als dieser Tempel noch ein richtiger Tempel gewesen war.

„Vater?“, fragte sie erneut.

„Ailsa, ich bin hier!“, erwiderte er ihr da endlich und versuchte sich an einem Lächeln. Dann fielen sich Vater und Tochter in die Arme, so wie sie es immer taten, bei jedem Wiedersehen. Und obgleich er sich redlich bemüht hatte, sich nichts anmerken zu lassen, musste Ailsa doch irgendetwas bemerkte haben, denn sie wollte besorgt wissen: „Ist alles in Ordnung? Ihr seht so blass aus!“

„Der Weihrauch...“, entschuldigte er sich eilig.

„Oh!“, machte Ailsa da nur schuldbewusst, „Das habe ich... ich vollkommen vergessen. Ich weiß doch, dass er Euch nicht gut tut...“

„Schon gut!“, versicherte der Ritter da nur nickend. Seit damals konnte er den Geruch nach Weihrauch nur schwer ertragen. „Du wolltest mit mir sprechen?“

Da reichte ihm seine Tochter ein Stück zerknittertes Papier.

„Was ist das?“, fragte er.

„Garether Tagespostille“, antwortet Ailsa knapp.

Verwirrt schaute er sie an: „Woher hast Du die denn?“

„Von Scanlail!“, seufzte die Ritterin als würde das einfach alles erklären, „Sie war mal wieder im Plunderhaus. Nachdem sie dort gespielt hat und sie gerade etwas essen wollte, trat ein Händler dort auf und bot Steine an Lederbändern gegen Dämonen an.“

„Ach den!“, der alte Ritter winkte ab, „Den kenne ich. Der kommt regelmäßig. Hat immer irgendwelchen Tand dabei. Teuren, unnützen Tand. Wie viel hat er denn dieses Mal für seine... hm... Amulette verlangt?“

„Zehn Dukaten.“

Darian schüttelte lachend seinen Kopf: „Zehn Dukaten? Für einen Stein an einem Lederband?“

„Der gegen Dämonen schützen soll“, fügte seine Tochter übertrieben nickend hinzu.

„Ich nehme an Scanlail hat ihm ordentlich das Geschäft versaut?“

Nun lachte Ailsa: „Sie hat wohl durch das ganze Gasthaus gebrüllt: ‘Wenn ihr schon immer gefürchtet habt, beim Scheißen von einem Dämon geholt zu werden, dann kauft dieses Amulett. Für nur zehn Dukaten könnt ihr euch sicher sein, dass er euch erst danach holt und ihr sauber nach Alveran einziehen könnt.’

Der Ritter lachte so herzlich, dass er sich die Tränen aus den Augen reiben musste: „Ja, das ist meine Tochter. Ganz ohne Zweifel. Die Wortgewandtheit, die hat sie eindeutig von mir!“

Da musste Ailsa schmunzeln. „Er hatte diese Postille dabei. Er begründete nämlich die Notwendigkeit, bei ihm so ein Amulett zu erwerben damit, dass es in der Dämonenbrache wieder zu unheiligen Umtrieben gekommen sei und es ja jederzeit - auch im Kosch - zu solcherlei Vorkommnissen kommen könne.“ Dann deutete sie auf einen Artikel: „Hier.“

Darian las. Manchmal nickte er zustimmend. Manchmal schüttelte er seinen Kopf. Am Schluss lächelte er seine Tochter an: „Du willst es versuchen?“

Etwas verunsichert zuckte sie mit ihren Schultern: „Ich bin mir nicht sicher.“

„Warum?“, entfuhr es dem Ritter da sichtlich fassungslos, "Das ist doch..."

„Mutter würde gewiss schrecklich weinen!“, unterbrach sie ihn ernst.

„Ach, Ailsa, Eure Mutter wird immer weinen!“, wies er ihre Bedenken zurück, „Sie liebt Euch eben und deswegen weint sie und das - das kannst Du mir glauben - wird sich nie ändern. Niemals! Kein Grund also, es nicht zu versuchen.“

Seine Tochter schwieg einen Augenblick, ehe sie betreten fragte: „Was mach ich denn, wenn sie mich nicht wollen?“

„Was machst Du denn, wenn Du beim ritterlichen Zweikampf verlierst?“

Ailsa starrte ihren Vater verständnislos an.

„Du gehst erhobenen Hauptes hin, bedankst Dich für die Ehre, gehst erhobenen Hauptes dort wieder raus und heulst in der darauffolgenden Nacht in Dein Kissen.“

„Ich hab noch nie in mein Kissen geheult!“, widersprach sie energisch.

„Da haben mir Deine Schwestern aber was anderes erzählt...“

„Ach”, schimpfte Ailsa, „Diese alten Petzen!“

Eine Krähe im Wind

Baronie Greifenpass, Kosch, Rondra 1042

Am wolkenlosen blauen Himmel zog eine einsame Krähe ihre Bahnen. Sie nutzte den Wind und ließ sich treiben. Scheinbar ohne Ziel, ohne Mühe. Die vier Reiterinnen, unter ihnen ein Mädchen auf einem Pony, bemerkte sie erst gar nicht und als sie dann auf sie aufmerksam wurde, hätte sie nicht sagen können, wie lange sie schon da waren. Der Wind trieb sie weiter, weiter in jene Richtung, in die sich auch die kleine Reisegruppe mit den schwer beladenen Packpferden bewegte. Sie schlug einmal kräftig mit ihren Flügeln, um an Höhe zu gewinnen, und rief: „Krâwa. Krâwa.“

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„Schaut mal!“, die Reiterin auf der Langmähne deutet an den Horizont hinauf. Sie trug, so wie die anderen auch, eine leichte Cappa aus dünnem schwarzem Wolltuch, welche sie nicht nur vor der zu dieser Jahreszeit hochstehender Praiosscheibe, sondern auch vor dem Staub der Reise schützen sollte. „Wir haben Geleitschutz!“

„Geleitschutz?”, erwiderte die Reiterin auf ihrem Schimmel abfällig und schüttelte ihren Kopf. Sie war eine hochgewachsene Frau mit meerblauen Augen und tiefbraunem Haar - etwas, dass alle drei Reiterinnen gemeinsam hatten. Diese jedoch trug ihr Haar zu einem schmalen Zopf zu ihrer Linken geflochten. An ihrem Gürtel hing ein Langschwert und an ihrem Pferd eine Orknase. „Ich habe Dir, Scanlail, gesagt, Du sollst das Vieh nicht anfüttern. Die wird uns jetzt überallhin folgen. Was sollen die denn auf Schloss Sonnentor von uns denken?“

„Das ist ein Zeichen, Schwestern!“, mischte sich die dritte Reiterin auf ihrer Teshkalerin ein. Sie trug eine schwarze Robe aus Wolltuch auf der eine aufwändige silberne Stickerei in Form eines Raben prangte. Ihr Haar trug sie offen und so kurz, dass es nicht mehr reichte um es zusammenbinden zu können. „Ein Zeichen der Götter. Sie wird uns Glück bringen.“

„Ich dachte eine Krähe bringt Regen...“, murrte die Ritterin da nur und verwies auf ein bekanntes Wiegenlied aus ihrer koscher Heimat, welches Scanlail nun anstimmte. Mit ihrer lieblichen und gut ausgebildeten Stimme sang sie:

„Eine für Regen,
Zwei für Wind,
Drei für Liebe,
Und vier ein Kind,
Fünf für Silber,
Sechs für Gold,
Sieben ein Unglück,
Götter, seid uns hold!
Götter, Götter, wir...“

Die Ritterin blickte währenddessen zum Horizont empor und betrachtete, wie die Krähe dort oben entlang glitt. Es schien so mühelos, geradezu beneidenswert mühelos. Was wusste so ein Tier denn schon von den Zwängen, die auf ihr lasteten? Es flog einfach. Folgte dem Wind. Ließ sich von ihm treiben, an fremde Ort führen - ganz gleich wohin sie der Wind trieb, sie folgte ihm, ohne Plan, ohne Ziel, sie ließ geschehen, was geschah. Und sorgen, worum musste sie sich sorgen? Um das Morgen gewiss nicht und um die darauffolgenden Praiosläufe sicher auch nicht. Natürlich musste sie sich selbst ernähren, aber sonst? Sonst war sie eines - frei! Wie gerne wäre sie eine Krähe im Wind, so frei und ohne Zwänge...

„... wir sind Euch treu“, endete die Skaldin. Da wandte die Ritterin ihren Blick wieder nach vorne.

„Was glaubst Du denn, was sie von uns denken?“, warf die Geweihte auf.

„Vielleicht, Nurinai, dass wir lebensmüde sind?“, schlug die Angesprochene da stirnrunzelnd vor, „Schließlich wollen wir freiwillig und erneut gegen widerwärtige dämonische Umtriebe vorgehen und dass - das wissen wir vom Haffaxfeldzug nur allzu gut - bezahlt man nur allzu oft mit seinem eigenen Leben. Das ist doch schon irgendwie... Wahnsinn!“

„In der Tat, ein gewisses Maß an Wahnsinn gehört wohl dazu. Ganz gewiss sogar.“, stimmte Nurinai mit ein, der der Wahnsinn in allerlei Ausprägungen und Formen durchaus gut - vielleicht sogar etwas zu gut - bekannt war, „Aber auch ein großes Maß an Idealismus.“

„Und waren es nicht schon immer diejenigen, Ailsa, die Veränderungen herbeigeführt haben, die sich willentlich und im vollen Bewusstsein in Abenteuer und Gefahren gewagt haben?“, fügte die Skaldin hinzu, „Es ist also nicht die Frage, was Du glaubst, was andere von UNS denken, es ist vielmehr die Frage, was WIR glauben, damit zu erreichen.“

„So eine Gelegenheit ergibt sich nur ein einziges mal im Leben..“, hob Ailsa an.

„... und um die Baronin vom Greifenpass weiter zu zitieren: ‘... und Du wärst eine verdammte Idiotin, wenn Du es nicht versuchst!’“, wurde sie kurz darauf von Nurinai unterbrochen, „Sei einfach keine verdammte Idiotin, Ailsa. Diese Gelegenheit ist Deine Gelegenheit und wenn Du sie nicht nutzt, dann wirst Du Dir das ein Leben lang vorwerfen. Und was mich angeht, so ist für mich nur eines wichtig: In eurer Nähe zu sein.“

Einen Augenblick schwiegen alle etwas betreten. Als sie Kinder waren, da hatten sie sich oft gestritten - auch heute war das nicht wesentlich anders. Doch heute wussten sie, dass sie zueinander gehörten, dass sie auf den anderen angewiesen waren. Sie liebten sich genauso, wie sie sich gelegentlich hassten. Doch wenn es darauf ankam, wenn etwas oder jemand sie von außen bedrohte, dann hielten sie zusammen und abgesehen davon, waren die Streitigkeiten spätestens am Abend vergessen. Sie waren eben Schwestern und daran vermochte nichts und niemand etwas zu ändern.

„Jemanden wie Dich, eine Geweihte wie Du eine bist, kann man dort draußen gewiss gut gebrauchen, Nurinai. Du verstehst Dich nicht nur auf den Grabsegen, sondern auch auf das Bewahren und Erhalten von Leben, das Heilen von Wunden - körperlich wie seelisch. Eine Geweihte an der Seite zu haben, noch dazu eine des Herrn von Tod und Schlaf, kann nie verkehrt sein“, meinte die Ritterin und sprach da durchaus aus eigener Erfahrung, „Gerade im Angesicht des Todes.“

Nurinai schwieg sich dazu aus. Sie sprach nicht über diejenigen, denen sie in Zeiten großer Not beigestanden hatte. Gerade wegen ihrer Verschwiegenheit wurde sie sehr geschätzt und war so manches Mal gerade von Adeligen gut entlohnt worden. Den größten Teil gab sie selbstredend an ihre Kirche weiter, behielt nur ein wenig zurück, schließlich musste sie ihr Leben auch irgendwie bestreiten. So war sie auch an die hübsche Teshkalerin gekommen, die auf den sehr bezeichnenden Namen Mors hörte.

„Und jemanden wie mich...“, erklärte die Skaldin da sichtlich gekränkt, weil keine ihrer beiden Schwestern daran gedacht hatte, auch über sie so voll des Lobes zu sprechen, „... kann man auch immer und überall gebrauchen, denn gerade im Angesicht von Tod und Verderben ist Zerstreuung durch Musik und Gesang äußerst wichtig, nicht zuletzt weil es neben Ablenkung auch die Moral stärkt.“ Sie untermalte das Ganze mit einem energischen, geradezu theatralischen Nicken. „Außerdem muss sich ja auch jemand um Lorinchen kümmern.“

Das braunhaarige Mädchen auf ihrem Pony blickte mit einem leichten Ausdruck von Panik in ihren blauen Augen erst zu Scanlail hinüber, dann zu Nurinai und schlussendlich zu Ailsa. Letztere lächelte sie einfach nur an und zuckte mit den Schultern und sagte: „Ja, irgendjemand muss sich auch um Lorinchen kümmern - nachdem diese ihre Verpflichtung gegenüber ihrer Pagenmutter erfüllt hat.“

Da verschwand die Panik aus den Augen der Pagin und zurück kehrte der unschuldige Blick, den sie auch sonst immer an den Tag legte.

„Was erwartet Ihr denn?“, wollte sie wissbegierig wissen und belegte ihre Herrin mit einem aufmerksamen Blick.

„Ich erwarte..“, Ailsa hielt einen Moment inne und dachte nach. Die letzte Zeit hatte sie viel nachgedacht. Sie hatte Nächte wach gelegen. Hatte den Rat von Vertrauten und nicht zuletzt von den Göttern eingeholt. Sie hatte gezweifelt, an sich selbst, am Vorhaben und daran, ob sie genügte, ob sie tatsächlich eine Aussicht hatte. Da draußen gab es so viele tapfere Ritter und Recken, warum sollte man gerade sie auswählen? Laut ausgesprochen hatte sie ihre Zweifel jedoch möglichst nicht - sie sollten schließlich nicht zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden.

Auf dem Weg zum Kaiserturnier 1042 hatte sie noch große Zweifel darüber gehegt, ob sie es wirklich wagen sollte. Doch danach - nachdem sie glaubte bei der richtigen Person, im richtigen Augenblick, die richtigen Worte fallen gelassen zu haben - war die Sache für sie klar: Diese Gelegenheit, war ihre Gelegenheit. Und sie, Ailsa ni Sceard, würde einfach nicht scheitern.

„Zunächst ist es eine Aufgabe. Eine Aufgabe voller Unwägbarkeiten und voller Gefahren und doch so voller Möglichkeiten. Vielleicht bringt sie uns Ruhm und Ehre, vielleicht im Leben“, sie lachte, „vielleicht auch nur vor den Göttern. Dann ist es ein Auftrag, verbunden mit einer großen Verantwortung. Wir haben uns bewiesen, sind gegen Haffax gezogen, haben schreckliches erlebt - aber wir sind noch da! Doch der Heerzug, er war die eine Sache, das dort draußen ist eine andere - wir werden nicht so viele sein und welche Schrecken dort auf uns warten, dass kann keiner sagen. Ich will es nicht vergleichen; ich glaube das das nicht möglich ist, einfach weil die Umstände andere sind.“ Sie holte Atem. „Vielleicht wird man mir weitere Aufgaben übertragen, vielleicht kann ich aufsteigen, mehr sein als eine landlose Ritterin, die von Turnier zu Turnier zieht - manchmal mit mehr, manchmal mit weniger Erfolg. Vielleicht wartet dort draußen ein Leben auf mich, von dem ich bisher nichts wusste und ein Zuhause. Der Kosch und vor allem das Rittergut unseres Vaters wird immer unsere Heimat bleiben, aber ein richtiges Zuhause… das haben wir bisher nirgendwo gefunden.“

Einen Moment schwiegen sie alle, was deutlich zeigte, dass sie alle einer Meinung waren - ein Zustand, der unter den drei Schwestern nicht allzu häufig vorkam und meist auch nicht lange vorhielt. In ihnen schlugen zwei Seelen: Die Koscher Seele ihres Vaters und die albernische Seele ihrer Mutter und weil beide gleich stark waren - obgleich sie den Kosch von Kindesbeinen an kannten und Albernia nur aus Erzählungen und von einigen wenigen Reisen - konnten sie in keinem der beiden ein Zuhause finden. Innerlich waren sie hin- und hergerissen zwischen hier und dort und egal wie sie sich entschieden hätten, es hätte sich doch nur ein Leben lang nicht richtig angefühlt.

„Und vielleicht finden wir einen netten Mann für Dich...“, platzte es plötzlich aus Scanlail heraus.

„... mit dem Du dann zusammen eine Wachburg oder einen Wachturm bewohnst...“, stimmte die Geweihte mit ein.

„... und mit gaaanz vielen süßen kleinen Kindern füllst.“

„Ach, was soll ich denn mit einem Mann?“, winkte Ailsa da lachend ab, „Wenn ich nachts jemanden brauche, der mir meine Decke klaut oder schnarcht oder gleich beides dann hab ich doch euch!“ Und für alles andere hatte sie ihn. Ja, ihn. Ein vielsagendes Lächeln legte sich über ihre Wangen. Und irgendwie war sie sich erstaunlich sicher, dass er sie das ein oder andere mal besuchen würde...

„Nur damit das klar ist“, erhob die Skaldin da ihren Einspruch, „ICH schnarche NICHT!“

„Und ob!“, konnte da die Geweihte nur lachen, „Und wie! Du solltest Dir mal nachts zuhören! Du hast schon mehrfach den kompletten Borrewald abgeholzt und das in einer Nacht!“

„Das ist mein Pferd!“, verteidigte sich Scanlail da energisch, „Mein Pferd schnarcht!“

Noch im selben Augenblick brachen Ailsa, Nurinai und Lorine in schallendes Gelächter aus.

„Als nächstes… als nächstes da erzählst Du uns noch, Dein Gaul… Dein Gaul könnte singen oder… oder… oder auf Deiner Fidel spielen.“, brachte Ailsa schließlich mühsam heraus.

„Ach, warum sollte ich denn so etwas erzählen, das wäre doch schlicht und ergreifend einfach nur kompletter Unsinn!“

Träume einer Krähe

Das, was war

Das Madamal stand hoch am Horizont. Glomm in blutrotem Licht. Schnee fiel. Dicke weiße Flocken. Sie fror. Wollte ihre Kleider enger um sich ziehen. Doch sie trug nur eine dünnes Hemd aus schwarzer durchscheinender Seide. Sonst nichts. Überhaupts nichts. Nicht einmal Schuhe. Mit den nackten Füßen stand sie im knöcheltiefen Schnee und fror. Fror erbärmlich.

Plötzlich begann die Erde unter ihren Füßen zu erzittern, regelrecht zu beben. Sie wandte sich um: Ein Schneesturm bewegte sich direkt auf sie zu. Doch es war kein gewöhnlicher Schneesturm: Während die Flocken geradezu neckisch im Licht des Madamals glitzerten drang das Klirren von Metall auf Metall aus ihm heraus, das Wiehern und Schnauben von Pferden, deren beschlagene Hufe, die im Galopp über den Boden getrieben wurden. Viele beschlagenen Hufe. Sehr viele.

Ansonsten war es still.
Die Ruhe vor dem Sturm.
Und dann erkannte sie die ersten Reiter...

„STÜRMEN!“, dröhnte es über sie hinweg.

Und Ailsa lief. Sie lief so schnell sie konnte. Lief vor den Reitern davon. Doch die Reiter kamen immer näher. Sie sah sie nicht. Doch sie konnte sie spüren. Das Beben der Erde unter ihren nackten Füßen. Dann preschte ein Reiter in voller Rüstung zu ihrer Rechten an ihr vorbei. Sein Blick fest nach vorne gerichtet. Dann einer zu ihrer Linken. Weitere folgten. Bald darauf blieb Ailsa atemlos stehen. Ihre Lunge brannte. Noch immer preschten Reiter an ihr vorbei. Ganz nahe, unglaublich nahe, doch nicht ein Einziger streifte sie. Dann erkannte sie das Wappen - die Fürstlichen Schlachtreiter. Und ohnmächtig musste sie zusehen, wie sie über die schmale Brücke in das Flusskastell eintritten.

„Nein!“, brüllte sie und versucht trotz der tausenden kleine Nadeln, die die Kälte unablässig in ihre Brust stach, dem Strom der Reiter zu folgen, „Nein! Das ist ein Falle! Eine Falle! Hört auf! Zieh euch zurück! Zurück! Solange ihr noch kön...“

Und noch im selben Augenblick schlossen sich die Tore. Schlachtrösser mit ihren Reitern prallten im vollen Galopp dagegen. Die Tiere hatten noch versucht das unvermeidliche abzuwenden, versuchten auf die Hinterhand zu steigen. Doch es war zu spät. Mit einem dumpfen Schlag schmetterte es sie gegen die dicken Bohlen. Herzzerreißendes Wiehern übertönte jedes Kampfgeschrei. Einen Augenblick herrschte blankes Entsetzen. Fassungslosigkeit. Eine Ladung Pech wurde über die Erstürmer auf der schmalen Brücke verschüttet, löste alle aus ihrer Erstarrung. Mensch und Tiere schrien vor Schmerzen auf. Schlachtrösser, die in Panik versuchten aus der Engstelle herauszukommen, in dem sie aus Verzweiflung von der schmalen Brücke in den Untergrund sprangen. Manche unterschätzten das Brückengeländer und brachen sich die Hinterläufe daran. Manche brachen sich beim Sprung in die Tiefe gleich beide Vorderläufe. Andere versuchten die Flucht nach hinten. Sprangen über andere Schlachtrösser und Reiter oder versuchten es, rissen mehr als einen aus dem Sattel. Schlachtrösser, die gegen Schlachtrösser prallten. Dazwischen die Reiter, die eilig versuchten Platz zu machen, nicht unter die Hufe der aufgebrachten Tiere zu geraten. Manche retteten sich ins Wasser, wo sie ertranken. Manche schafften es nicht rechtzeitig sich vor den mächtigen Hufen in Sicherheit zu bringen.

„BRECHT DAS TOR AUF!“

„AUFBRECHEN!“

Und Ailsa lief. Nahm einen Platz am improvisierten Rammbock ein und stürmte mit den anderen auf das Tor zu. Pfeile prasselten auf sie nieder. Sie liefen weiter. Immer weiter. Was auch immer sie von oben oder der Seite traf, sie gaben nicht auf. Immer wieder stürmten sie auf das Tor. Dort drinnen waren ihre Leute. In einem Hinterhalt. Sie waren ausgeliefert! Das Tor musste aufgebrochen werden. Sie mussten da rein! Sie mussten! Oder die anderen starben. Würden elendig dahingemezelt. Ach was! Geschlachtet. Sie mussten!

Ihr Vordermann fiel. Sie rückte auf. Unter ihr der Getroffene. Sie hörte seine Schreie nicht. Sie hörte nur ihren eigenen Atem, den eigenen Herzschlag, das Rauschen des Blutes in ihren Adern. Sie stieg über das hinweg, was unter ihr lag, versuchte nicht zu stürzen, nicht zu straucheln, doch Halt zu finden war schwierig. Keiner schaute nach unten. Ihre Blicke waren nach vorne gerichtet. Auf das Ziel. Es war das Einzige, das zählte.

Und das Tor gab nach. Sie konnte es nicht sehen. Sie spürte es. Wieder nahmen sie anlauf. Wieder stiegen sie über die Toten, über Reiter und Pferde, manche noch nicht einmal ganz zu Boron gegangen, wieder stürmten sie gegen das Tor. Ailsa schrie und die anderen fielen mit ein. Ein unglaubliches Gebrüll erhob sich über dem Schlachtfeld. Da barst das Tor. Sie stürmte hindurch, fielen mehr als sie liefen und…

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Irgendwo in der Ferne hört sie das Weinen eines Säuglings. Sie stolperte auf die Ruine einer Burg zu. Noch immer fiel Schnee. Er hatte bereits begonnen die kläglichen Mauerreste zu bedecken. Noch immer fror sie. Noch immer trug sie nur ihre dünnes Hemd. Das Weinen wurde lauter und lauter. Sie lauschte. Hörte zu. Und glaubte, das Kind zu kennen...

„Aldiran!“, entfuhr es ihr entsetzt und sie lief in die Ruine hinein, „Aldiran!“

Immer weiter und weiter lief sie durch das Gemäuer. Sie musste das Kind finden! Das Kind war der Erstgeborene ihrer Baronin, sie hatte ihn an seinem Weinen erkannt. Sie hatte ihn eindeutig erkannt. Es musste er sein!

Sie eilte durch ein Gewirr an Fluren und Gängen, immer weiter und weiter und auch durch eine Tür…

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Da umfasste sie jemand von hinten und zog sie an sich heran. Ein wohliger Seufzer entrann ihrer Kehle. Sie schloss ihre Augen und ließ sich gegen den Körper hinter ihr fallen. Ihren Kopf neigte sie leicht nach rechts, legte ihn gegen die Schulter hinter ihr.

„Wie lange?“, fragte sie ganz heißer, „Wie lange ist es her?“

Eine Antwort erhielt sie nicht. Stattdessen fuhr er ihr ganz langsam mit seiner Nase vom Ansatz ihrer Schulter bis zu ihrem Ohr hinauf. Sie erschauderte. Ein angenehmer kalter Schauer jagte ihren Rücken hinab. Dann begann er sie mit Küssen zu bedecken und nahm dabei denselben Weg wie zuvor auch, während seine Rechte unter ihr dünnes Hemd wanderte, nur um es ihr dann wenige Augenblicke später über den Kopf zu ziehen. Diese Gelegenheit nutzte sie um sich zu ihm umzudrehen und sich an ihn anzuschmiegen. Und sein Geruch, ja sein Geruch, er raubte ihr die Sinne. Wie konnte es nur sein, dass er sie so um den Verstand brachte? Wie konnte es sein, dass sie so gerne in seiner Nähe war? Dass sie einfach nicht Nein sagen konnte?

Einen Moment lang verharrte sie so, ganz dicht an ihn geschmiegt. Mit ihren Händen hielt sie ihn umfasst, kein Finger mehr hätte zwischen sie gepasst. Seine Hände glitten von ihren Schulterblättern stetig tiefer. Sie schaute zu ihm auf, blickte ihm direkt in die Augen und versprach: „Dieser Tag, wird ein ganz besonderer werden…“

Er lächelte sie an und stieß sie mit sanftem Nachdruck auf das Bett hinter ihr...

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Sie fiel hart. Um sie herum war alles finster. Über ihr baute sich ein dunkler Schatten auf. Sie versuchte sich aufzurichten, von diesem Ort wegzukommen, aber sie war vor Angst erstarrt, regelrecht gelähmt, selbst das Atmen fiel ihr zunehmend schwerer. Der Schatten über ihr wurde immer dichter und dichter, senkte sich immer mehr und mehr zu ihr herab. Sie schrie, doch hörte ihren eigenen Schrei nicht. In ihr da war nur Furcht, nur Angst. Es war ihr Ende. Sie flehte zu den Göttern: „Helft mir! Bitte helft mir! Ich will nicht sterben, ich will le…“

Da durchbrach der Schrei einer Krähe die Finsternis. Und mit ihr kam das Licht. Der Schatten erzitterte, bäumte sich auf. Die Krähe verharrte einen Augenblick über ihm. Dann stürzte sie sich auf ihn herab. Zerschmetterte ihn. Zerbarst ihn. Tausende funkelnde Splitter prasselten wie Hagelkörner auf Ailsa herab. Einen winzigen Augenblick noch schwebte die Gespensterkrähe über allem. Erhaben, mutig, stark. Dann stand da plötzlich ihre Schwester. „Nuri…“

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„...nai?“, Ailsa erwachte. Verwirrt. Leicht panisch. Sie atmete schnell, Schweiß stand auf ihrer Stirn. „Nurinai? Bist Du da? Wo… wo bist Du? Und… und wo bin ich?“

„Auf dem Weg nach Schloss Sonnentor.“, wisperte die Geweihe leise und nahm sanft ihre Hände von Ailsas Schläfen, „Es war nur ein Traum, weiße Lilie, nur ein Traum. Nichts weiter. Es ist vorbei, hörst Du? Es ist vorbei!“

„Der Heerzug ist… vorbei?“, versicherte sich Ailsa.

„Er ist vorbei.“, erwiderte Nurinai sanftmütig, „Der Heerzug ist vorbei. Doch die Schrecken bleiben.“

„Schläfst Du heute bei mir?“, bat die Ritterin hoffnungsvoll, „Falls der Traum wieder kommt?“

Die Geweihte antwortete nicht, sondern schmiegte sich unter die Decke zu ihrer Schwester.

Das, was ist

[folgt noch]

Das, was sein wird

[folgt noch]

Hofhaltung

[in Bearbeitung, aber noch nicht fertig]