Geschichten:Krieger des Wassers - Tjelgos Bart
auf See, irgendwo im Golf von Khunchom, 29. Rondra 1042 BF
Als Helmbrecht von Steinfelde bemerkt hatte, dass er mit dem leckgeschlagenen Kahn das Land nicht erreichen würde, hatte er das Paddeln eingestellt und stattdessen alles Schwimmbare an Bord mit Tau zu einer Art notdürftigem kleinem Floß zusammengebunden. Sogar die obersten Planken aus der Bordwand hatte er dazu herausgebrochen Dadurch war das Boot zwar noch schneller abgesoffen, aber zu retten war ohnehin nichts mehr. Das so entstandene Gefährt war bei weitem nicht groß und stabil genug, um darauf zu stehen, aber er konnte sich daran festhalten und den fast lehren Wasserschlauch sowie sein Schwert darauf verstauen.
Eine Nacht, den ganzen Tag und noch einmal eine halbe Nacht hatte er so auf dem Meer treibend zugebracht, irgendwo zwischen Hoffen, wenn er in der Ferne ein Segel entdeckte, Fluchen, wenn es wieder verschwand, und Gebet, wenn irgendetwas gegen seine ins Wasser ragenden Beine stieß. Die Geschichten der Seeleute von riesigen Fischen und furchtbaren Seeungeheuern mit Tentakeln, die einen unbarmherzig in die unermessliche Tiefe und in ein nasses Grab hinabzogen, waren ihm jedes Mal wieder in den Sinn gekommen und hatten ihn trotz der einsetzenden Erschöpfung abgehalten, die Augen auch nur eine Minute zu schließen. Trotzdem hatte er das nahende Schiff, oder vielmehr dessen Laterne am Bug, erst sehr spät in der nur sternenerhellten Finsternis bemerkt. Und obwohl er zunächst den Eindruck gehabt hatte, dass sein Rufen wahrscheinlich eher wie das allgegenwärtige Krächzen einer Möwe geklungen und sein lächerliches Wedeln mit dem fleckigen Turbantuch wie ein Flügelschlag ausgesehen haben mochte, hatte das Schiff tatsächlich beigedreht!
Helmbrecht konnte sein Glück kaum fassen, als er bald darauf die unterste Sprosse einer über die Bordwand geworfene Strickleiter ergriff und sich, angespornt von den Rufen der Schiffsmannschaft, nach oben zog. Phex, Efferd und wer weiß wer sonst noch, waren ihm heute wahrhaft hold gewesen. Zuletzt griff ihm jemand unter die Arme und half ihm über die Reling. Tropfnass und entkräftet, aber am Leben und erleichtert, sank Helmbrecht, umringt von einer Schar Seeleute, schließlich auf Deck zusammen. Einer legte ihm eine Decke um die Schultern und ein anderer reichte ihm eine Flasche. Bis zum letzten Tropfen ließ er das mit etwas Wein vermischte Wasser seine Kehle hinabrinnen. Dabei trat ein untersetzter bärtiger Mann in den Lichtkreis der Laterne, dem die anderen Schiffsleute wie selbstverständlich Platz machten.
„Efferd zum Gruß. Wer seid Ihr und was hat Euch in diese schlimme Lage gebracht? Ein Sturm dürfte wohl kaum der Grund sein, denn einen solchen hatten wir seit zehn Tagen nicht“, fragte der in gutem Tulamidya.
Der Ritter nannte seinen Namen und umriss in kurzen Worten, wie er zum Schiffbrüchigen geworden war.
„Ihr habt doppelt Glück, Herr Steinfelde“, der Kapitän wechselte sofort ins Garethi, wenn auch mit einem breiten bornischen Akzent, „Einmal, weil wir euch rausgefischt haben und zum zweiten, weil wir gerade Mhanerhaven ansteuern. Bosjew Kuttelhöver mein Name und ich bin der Kapitän dieses Schiffes, der Kogge ‚Tjelgos Bart’. Denkt an uns, wann immer Ihr von nun an einen Efferdtempel betretet. Bedankt euch aber vor allem bei den beiden Damen dort. Sie haben Euch wahrscheinlich das Leben gerettet, als sie Euch im Wasser bemerkten“, bei diesen Worten trat er beiseite und gab Helmbrechts verwundert blinzelnden Blick frei auf zwei Gestalten, die halb im Schatten des Achterkastells gewartet hatten.
„Sieh doch! “, stieß die eine die andere flüsternd an, „Er trägt ein Schwert. Die Karten lügen nicht, Schwester! Al’Ahjan al Mayy – der Krieger des Wassers.“