Geschichten:Albernische Gäste - Teil 6
Lyn gab sich die allergrößte Mühe, Ra´ouls Ausführungen zu folgen. Der Dialekt war für sie immer noch schwer zu verstehen, auch wenn sie insbesondere auf Rasiha´hal Zeit gehabt hätte, sich daran zu gewöhnen. “Das will ich wohl glauben. Wenn es sich tatsächlich so zugetragen hat, dann kann ich ja nur froh sein, Euch noch in einem Stück hier vorzufinden. Aber wenn ihr Nebachoten aus so hartem Holz geschnitzt seid, fällt es Euch sicher nicht schwer, mit sooo einer schweren Verletzung morgen auszureiten.”
Der Sarkasmus war in Lyns Stimme nicht zu überhören, trotzdem schaute sie Ra´oul mit ihren tiefgrünen Augen ganz unschuldig blickend an.
“Ach wous, wägen mir kennten wir sogar heutä noch gemainsam raiten.” Bekräftige Ra’oul nur immer wieder.
Dann wandte Lyn den Blick zu Rondrigo. “Habt vielen Dank für Eure Einladung nach Breitenhof. Es ist wirklich ein schöner Ort. Natürlich nicht zu vergleichen mit dem schönen Albernia.” Schelmisch blitzten ihre Augen auf, doch bei der Erinnerung an ihr Heimatland wurde sie fast schlagartig ruhiger. “Es freut mich auch zu hören, dass Eure Geschwister am Leben sind. Die Ungewissheit muss sehr quälend gewesen sein.”
Rondrigo stimmt zu. “Nun ich dachte, sie wären gefallen, so wie der Rest meiner Familie und meine Verlobte.” Bei diesen Worten wurde er deutlich ernster. “Aber wir wollen nicht in schweren Erinnerungen schwelgen, sondern uns lieber über den schönen Abend freuen.”
Er wandte sich Lyn zu und lächelte höflich: “Sicherlich ist das Königreich Albernia eine Reise wert, aber aufgrund der jüngsten politischen Entwicklungen seit dem Reichskongress zu Trallop, ziehe ich es doch vor, vorerst dort nirgends zu erscheinen. Vielleicht ändert sich das eines Tages ja.”
“Sicherlich.” Lyn nickte freundlich, aber nervös und neigte leicht das Haupt. “Ach wuos Rondrigo, so schlimm ist äs garr nischt. Im Gägentail, dänn man rädät dort noch dimmeres Zeug als in Graifenfurt.” Der Nebachote versuchte seinen Freund von den Gedanken seiner Verlobten abzubringen und war dankbar, als Cyberian ihm zur Seite stand.
“Ra’oul hat recht. Vielleicht sollten wir mal alle gemeinsam dem Reich am großen Fluß einen Besuch abstatten. Ich könnte mir schon denken, dass wir dann sogleich Ra’ouls neugewonnenen Fähigkeiten in der Tjoste testen können.”
Rondrigo schmunzelte. “Ja, das wäre in der Tat eine gute Bewährungsprobe.”
Lyn griff während dessen nach ihrem Weinglas und nahm einen Schluck des Weines. Irgendwie wirkte sie auf einmal nachdenklich, fast wehmütig und in sich gekehrt. Erst als Ra´oul sie am Arm berührte, merkte sie, dass er mit ihr sprach.
“Verzeih mir, was hast Du gesagt?” irritiert schaute Lyn Ra´oul an. Er erschien ihr in diesem Moment so vertraut, dass sie ohne es zu merken in das vertrauliche “Du” gerutscht war. Sie brauchte einen kleinen Moment, um sich wieder zu orientieren. Dabei half es ihr nicht wirklich, dass Ra´oul sie mit sanften Augen ansah. Sie fühlte sich in diesem Augenblick so stark von ihm angezogen, dass es fast weh tat, den Augenkontakt zu lösen. Um die Situation zu entspannen, griff sie erneut nach ihrem Glas, doch der Blick des Nebachoten ließ sie nicht los.
“Du hast mir noch kainä Antwort gegäb’n.” stellte er fast schelmisch fest. Irritiert schaute Lyn Ra’oul an. Sie hatte keinen blassen Schimmer worauf der Krieger hinaus wollte. “Naja, ob Du gärnä r a i t ä s t?” Das letzte Wort betonte er dabei etwas überzogen.
Die Frage Ra´ouls holte sie endgültig wieder in die Gegenwart zurück.. Sie sah das Funkeln in seinen Augen erwiderte ebenso schelmisch: “Das kommt ganz auf das Ross an. Doch hab ich in Weiden gelernt, wie man selbst das störrischste Pferd beherrscht und seither stets Spaß am Reiten gehabt. Von daher freue ich mich sehr auf den m o r g i g e n Ausritt” So charmant Ra´oul auch war, irgendwie hatte Lyn das Gefühl, dass er ihr immer einen Schritt voraus war. Der Tag war anstrengend gewesen und in Ra´ouls Gegenwart fiel es ihr immer schwerer, ihre Gedanken zusammenzuhalten.
Der Nebachote grinste Lyn schon fast unverschämt an. “Die Waidäner sind doch alläs lahme Gäule.... Abär die Nebachotän... Ja, die habän Feuär.” Fast schon süffisant trank Ra’oul einen Schluck aus von seinem Wein, während er Lyn über den Becherrand beobachtete. Das Gespräch nahm immer mehr an Zweideutigkeiten zu.
Aus diesem Grund redete Lyn fast ohne Pause weiter, diesmal aber an Rondrigo gewandt. “Wenn es Euch nicht stört würde ich mir auch gern einmal die Turnierbahn ansehen. Es ist nun auch schon wieder zwei Götterläufe her, dass ich an einer Tjoste teilgenommen habe. Auch wenn ich den Kampf mit dem Schwert bevorzuge, so ist das Lanzenreiten doch eine nicht zu unterschätzende Kunst im Kampf gegen die Orks gewesen.”
Rondrigo nickte. “Sicherlich will ich Euch gerne den alten Turnierplatz zu Schwarzberg zeigen, den seien Hochgeboren Otwin von Greifenhorst in so kurzer Zeit auf mein Bitten hin wieder hat herrichten lassen.
Im Kampf wider den Schwarzpelz wissen wir Greifenfurter die Lanze wohl zu schätzen, wenn auch in den Tiefen der dichten Wälder und auf den Höhen der felsigen Landschaften oftmals eine Handwaffe wie Schwert oder Axt den Vorzug erhält.”
Rondrigo erhob sich und strich die Falten seines Gewandes glatt. Er hatte den subtilen Wink Lyns wohl verstanden.
“Da Ihr sicher müde seid, werte Dame, wollen wir die Tafel doch nun aufheben. Mein Diener Travin wird Euch zu Eurer Kammer geleiten.
Ihr Herren werdet mich bitte auch entschuldigen, ich muss noch einen wichtigen Brief an den Edlen von Perainefried schreiben.”
Rondrigo erfuhr allgemeine Zustimmung und alles erhob sich von den wuchtigen Stühlen.
Der Junker von Breitenhof warf seinen riesigen Hunden, die in der Ecke der Halle lagen einige Knochen von der Tafel zu, worüber, die bis dato still gebliebenen Tiere sofort zu knurren und sich zu balgen anfingen.
So angenehm der Abend auch gewesen war, Lyn war froh, sich jetzt zurück ziehen zu können. Charmant wie immer begleitete Ra´oul sie noch zu dem Zimmer, welches ihr Linea zugewiesen hatte. Vor der Tür zog der Nebachote die Albernierin nochmals zu sich und küsste sie erneut lange und leidenschaftlich. Widerstand ließ er überhaupt nicht zu. Langsam drängte er Lyn in ihr Zimmer und sie musste sich doppelt anstrengen – einmal gegen Ra’oul und einmal gegen ihre eigene Leidenschaft um Ra’oul wegzudrücken und die Türe hinter sich und vor Ra’oul zu schließen.
“Schluaf gudt meine Blume der Radscha.” Hörte sie den Nebachoten noch durch die Tür. “Där Morgän wartet schon auf Disch!”
Als Lyn die Tür hinter ihr schloss, schwirrten ihr wieder tausend Gedanken durch den Kopf. Leicht benommen setzte sie sich auf das Bett und begann ihre Stiefel auszuziehen und sich bettfertig zu machen. Langsam versuchte sie ihre Gedanken zu ordnen. War es vielleicht ein Fehler gewesen, hierher zu reisen?
Der Abschied von Ra´oul in Havena war so abrupt gewesen und stets hatten Bedwyrs Augen auf ihr geruht, so dass sie keine Möglichkeit hatte, herauszufinden, was sie ihm gegenüber empfand. Die Hoffnung, dies herausfinden zu können, hatte sie nach Rasiha´hal reiten lassen. Dort hätte sie aber auch die Möglichkeit gehabt, sich seiner Aura zu entziehen, waren doch noch genügend andere Gäste anwesend.
Und nun? Spielte er nur mir ihr, oder war die Zuneigung, die sie in seinen Augen sah Wirklichkeit? Diese Vertrautheit, die sie empfand wenn er in ihrer Nähe war, wie konnte dies sein? Sie kannte ihn doch kaum. Und doch war es ihr schwer gefallen, ihm eine gute Nacht zu wünschen. Wenn sie an den morgigen Tag dachte, wurde ihr leichter ums Herz.
Und doch durfte sie nicht zuviel daran denken. Sie würde bald nach Albernia zurück kehren und konnte nur hoffen, dass ihr Brief den Zorn ihres Vaters etwas mildern konnte. Dann würde sie Ra´oul vergessen müssen. Doch ob sie dies dann konnte? Verehrer hatte sie besonders in Weiden viele gehabt, aber keiner hatte es mit ihrer Schlagfertigkeit aufnehmen können. Ra´oul war da so ganz anders.
Ihre Gedanken wanderten zurück zum Nachmittag. Was wäre geschehen, wenn Linea nicht aufgetaucht wäre? Der Kuss war so überraschend gewesen, dass sie in dem Moment selbst nicht wusste, was sie tat. Ihre letzten Gedanken bevor sie einschlief drehten sich um Ra´oul und ihren Vater. Sie durfte nicht Ra´ouls Charme erliegen, denn ihr Vater würde niemals seinen Segen geben.