Geschichten:Die Würfel sind gefallen – Ohne Worte
Ritterherrschaft Praiosborn, Donnerhof, 1. Travia, am Abend
Die Nacht schritt voran. Nella hatte sich in die Cappa der Geweihten gekuschelt und war schon lange in Borons Arme geglitten. Leise hörte man sie atmen. Ganz leise und regelmäßig. Sie war ein Kind und genauso schlief sie auch.
Irgendwann wollte Nebelstreif keinen Schritt mehr tun. Yolande war irritiert, verstand nicht, was los war.
„Lasst sie. Sie braucht einen Augenblick Ruhe“, erklärte Nurinai mit ruhiger Stimme, während Nebelstreif sich hinlegte. Bestürzt sah Yolande zu. Das Entsetzten stand in ihren Augen.
„Und jetzt?“, fragte sie verunsichert.
„Warten wir“, erwiderte die Geweihte, „Geben wir ihr etwas Zeit.“
Nebelstreif schnaubte leise. Yolande ließ sich neben ihrem Pferd nieder und begann liebevoll ihren Hals zu streicheln.
„Wird sie sterben?“, Yolandes Stimme war nur noch ein leises Wispern.
„Meist sterben Pferde nicht an einer Kolik.“
„Meist heißt aber, dass es sehr wohl passieren kann...“
„Das heißt es. Ja.“
„Und was ist, wenn es dieses mal so ist?“
„Für diesen Fall bin ich ja da. Ich habe eine ganz besondere Verbindung zu meinem Herrn und wenn ich ihn bitte, Golgari erst in ein paar Götterläufen auszuschicken, dann macht er das auch...“
Yolande lachte kehlig: „So einfach ist das, ja?“
„Ja, so einfach“, bestätigte Nurinai nickend, „Manchmal sind die Dinge eben so einfach, wie sie aussehen. Manchmal.“
Einen Moment herrschte schweigen. Nebelstreif schaut aus ihren großen Augen ihre treue Begleiterin an. Nurinai ließ sich nieder.
„Wenn Ihr Euch sicher seid, Frau von Raukenfels“, hob die Geweihte nun da an, „dass sie weder etwas ungewöhnlich zu sich genommen hat, noch in letzter Zeit ungewöhnliches vorgefallen ist, dann...“ Sie schwieg einen Moment, blickte ihre Gegenüber mit ihren dunkelbraunen Augen an und wollte wissen: „Wie geht es Euch?“
„Mir?“, haucht Yolanda da nur erstickt und versuchte dem Blick der Geweihten standzuhalten.
„Ja“, bestätigte Nurinai langsam nickend, „Wie geht es Euch?“
Da spannte sich plötzlich jede Faser ihres Körpers schmerzhaft an. Ihre Hände verkrampften sich. Ihr Mund wurde trocken. Yolande schluckte: „Was hat das mit Nebelstreif zu tun?“
„Tiere können Dinge wahrnehmen, die uns Menschen verborgen bleiben. Und...“, Nurinai hielt einen Moment inne, „... treue Begleiter erst recht. Sie kennt Euch und Ihr kennt sie. Wenn solch ein tiefes Vertrauen zwischen Pferd und Reiter herrscht und der Reiter merkt, wenn es seinem Pferd schlecht geht, warum sollte dann nicht das Pferd merken, wenn es dem Reiter schlecht geht?“
Yolande hielt dem Blick der Geweihten noch immer stand.
„Und ich habe das Gefühl...“, fuhr die Geweihte fort. Yolandes Herz schlug immer heftiger, ihr Atem ging immer schneller, ihre Finger verkrampften sich immer mehr. „... dass da etwas...“
Da füllten sich Yolandes Augen mit Tränen. Eilig schlug sie den Blick nieder. Sie konnte nicht weiter in diese tiefen blauen Augen blicken. Augen, die in sie hineinsehen konnte und die zu wissen schienen, was sie so quälte.
„Das ist es ja“, schluchzte sie unter Tränen und schmiegte ihren Kopf an den Hals ihres Pferdes, „Da ist nichts. Nicht mehr...“
Nurinais Hand fand die Yolandes.