Geschichten:Ausgeschwärmt – Peraine
Dämonenbrache, Golgari-Schrein, 28. Boron
Gegen Abend bemerkte Lorine zum ersten Mal, dass etwas mit ihrer Pagenmutter nicht stimmte. Da stand bereits kalter Schweiß auf ihrer Stirn. Ihr Gesicht war ganz blass, erbärmlich blass. Und der kleinen Pagin war klar, dass es nicht nur ernst war, sondern auch, dass sie etwas tun musste, doch was?
„Oh Hüterin des Lebens, bitte steht mir bei und hilf meiner werten Pagenmutter, aufdass sie bald genese.“
Sie kramte im Gepäck der Geweihten. Die hatte auch zahlreiche Fläschchen und Tiegelchen dabei, doch hatte Lorine überhaupt keinen blassen Schimmer, wofür man was benutzte. Da trat plötzlich jemand in den Schutz des Schreines. Lorine blickte auf. Regentropfen perlten vom Umhang der Frau. Freundlich lächelnd schaute sie auf das Mädchen herab.
„Boron zum Gruße, mein Kind“, hob die Fremde an und blickte sanftmütig auf die am Boden kniende Lorine herab, „Der Herr Efferd scheint uns wohl zu zürnen, so wie er uns mit seinem Regen zu strafen versucht...“
Mit einer eleganten Bewegung legte sie ihren bodenlangen, schwarzen Wollumhang ab.
„Ihr seid...“, stotterte Lorine da vollkommen fassungslos, als sie die beiden einander zugewandten Raben auf der Robe der Fremden erkannte, „... eine... eine Etilianerin!“
Sanftmütig nickte die Geweihte.
„Das... das ist... gut. Sehr gut“, fuhr das Mädchen fort, sprang vom Boden auf und lief auf die Fremde zu, deren Hand sie sogleich ergriff und sie ohne Widerstand an das Lager ihrer Pagenmutter führte, „Könnt Ihr nach ihr schauen? Sie hat Fieber...“
Mit ihren unschuldigen blauen Augen schaute Lorine die Fremde an.
Einen Moment schaute die Fremde die am Boden liegende Ritterin an. „Ich werde sehen, was ich für Deine Pagenmutter tun kann, mein Kind.“
„Sie wird doch wieder gesunde, nicht wahr?“, wollte Lorine voller Sorge wissen.
„Ich habe draußen Donf gesehen. Geh nach draußen und pflücke mir einige Blätter davon.“
Skeptisch schaute sie die Geweihte an: „Und dann?“
„Machen wir ihr Wickel daraus. Das wird ihr Fieber senken. Und es wird ihr bald besser gehen.“
„Hm“, machte das Mädchen da nur, „Seid Ihr Euch da sicher?“
Das entlockte der Geweihten ein Lächeln: „Sorge dich nicht, Lorine, deine Pagenmutter wird bald wieder gesund sein.“
„Gut“, erwiderte sie da nickend, zog sich ihre Cappa über und ging in den Regen hinaus.
Und die Geweihte war mit der Ritterin allein.
„Ihr seht aus, wie die Heilige Etilia“, bemerkte die kleine Pagin am Abend plötzlich merkwürdig verblüfft, während sie beide über etwas Käse, Wurst und Brot saßen. Hunger hatte Lorine zwar keinen, aber die Geweihte hatte darauf bestanden.
„Ja?“, hakte die Geweihte nach und schenkte dem Mädchen ein liebevolles Lächeln.
„Ich habe mal ein Bild von der Heiligen Etilia gesehen“, sie nickte energisch, sodass ihr braunes Haar mitwippte, „und das sah aus, wie Ihr. Genau so.“
Noch immer lächelte die Geweihte. Schwieg sich aber aus.
„Habt Ihr dem Maler Modell gesessen?“
„Welcher Maler hat es den gemalt?“
„Hm“, machte Lorine, „Das weiß ich leider nicht.“
„Dann kann ich nur sagen: Vielleicht?“
Einen Moment schwiegen sie sich an.
„Mein Pony Flocke ist tot...“, platzte es da abrupt aus dem Mädchen heraus.
„Das tut mir sehr leid“, erwiderte die Fremde, „Es ist immer schmerzlich, wenn jemand gehen muss.“
„Etwas aus der Brache hat es umgebracht. Hat einfach in es reingebissen“, sie schüttelte sich, „Und dann war es tot... Einfach so. Einfach so...“
Wieder nickte sie.
„Glaubt Ihr, Tiere haben eine Seele?“
„Auch Tiere haben eine Seele. Auch sie sind Geschöpfe der Zwölfe.“
„Dann kommen auch sie in eines der zwölfgöttlichen Paradiese?“
„Ein jede Seele, die von den Göttern kommt, kehrt auch zu ihnen zurück.“
Einen Augenblick schwiegen sie sich an.
„Wisst Ihr, was seltsam war?“, hob die junge Pagin da an.
Auffordernd sah die Geweihte sie an.
„Obwohl Beißi – das Streitross meiner Pagenmutter – niemanden anders auf seinem Rücken duldet, als meine Pagenmutter selbst, hat er mich nicht abgeworfen. Er ist sogar für mich gelaufen. Das ging ganz leicht. Einfach so. Und dann...“, sie verstummte einen Moment, „... habe ich Flocke gerächt und diesem Ding die Axt in den Schädel gehauen.“ Lorine sagte das so ruhig und gelassen und beiläufig, als hätte sie gerade eben darüber berichtet, was sie zum Frühmahl gegessen habe. „Das war echt seltsam...“
Noch immer schwieg die Geweihte. Blickte das Mädchen aber interessiert an.
„Warum hat er das gemacht? Warum ist er für mich gelaufen?“
„Lorine“, hob die Geweihte da an, „Nicht immer ist alles so wie es scheint...“
„Aber... aber... Beißi ist gelaufen. Das weiß ich ganz genau!“
„Vielleicht warst du nicht die Einzige, die auf seinem Rücken saß?“
Mit gerunzelter Stirn schaute Lorine sie da an.
„Vielleicht hattest du ja göttlichen Beistand?“
Da guckte das Mädchen nur noch verwirrter.
„Vielleicht war es ja die Herrin Rondra, die da mit dir auf dem Streitross deiner Pagenmutter saß und deine Hand gegen jenes Untier führte?“
„Die Sturmherrin?“, das Mädchen schüttelte heftig ihren Kopf, „Die hätte Beißi ganz bestimmt abgeworfen...“
Da lachte die Geweihte: „Ein Pferd, dass selbst die Herrin Rondra abwirft? Wo hat man so etwas schon mal gehört?“
„Wenn‘s doch stimmt!“, protestierte die Pagin.
Nun musste die Geweihte nur noch mehr lachen. Sie hatte ein schönes Lachen. Eines, dass das Mädchen an das Lachen Nurinais erinnerte.
„Also wenn... ja, wenn es so war... also wenn... dann... dann... dann muss es schon die heilige Etilia gewesen sein!“, fuhr Lorine fort.
Da verstummte die Geweihte abrupt.
„Ja, da guckt Ihr!“, das Mädchen nickte selbstbewusst, „Die ist nämlich neben dem Herrn Boron die Schutzpatronin des Hauses Rían.“
Die Geweihte wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln und erklärte: „Dann muss es wohl so gewesen sein. Genau so. Und nicht anders.“
Später am Abend als die Geweihte neben Lorines Pagenmutter saß und sich das Mädchen in eine Decke eingekuschelt hatte, die dicke Cappa über sich ausgebreitet, da wisperte sie im Halbschlaf: „Seid Ihr sicher, dass Ihr nicht doch die heilige Etilia sei... ?“
Die Geweihte bedachte die schlafende Pagin mit einem vielsagenden Lächeln.
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