Geschichten:Die Würfel sind gefallen – Geht!
Ritterherrschaft Praiosborn, Donnerhof, 20. Boron, in der Nacht
Ruhig lag der Praiosborn da. Ganz ruhig. Und ganz blau. Tiefblau. In einem Boot trieb sie auf dem See. Trieb so vor sich hin. In die Mitte des Sees. Ganz von selbst. Dorthin wo das Blau des Wassers am Tiefsten, am Kräftigste war.
Nurinai streckte ihre rechte Hand in Richtung des tiefblauen Wassers. Einige Augenblicke verharrte sie kurz über der Wasseroberfläche. Sie konnte das kühle Nass schon fast spüren. Dann senkte sie ihre Hand um einen halben Finger, berührte kurz die Wasseroberfläche und zog sie einen halben Finger wieder zurück. Sofort bildeten sich ein Kreis um die Stelle und breitet sich aus. Erneut senkte sie ihre Hand, beobachtete wieder den Kreis, nur um dann ein drittes Mal ihre Hand zu senken und erneut den Kreis zu betrachten. Ein viertes Mal wiederholte sie die Bewegung, doch dieses Mal war da kein Kreis.
Und ruhig lag der Praiosborn da. Ganz ruhig. Erschreckend ruhig. Als hüte er ein Geheimnis. Ein schreckliches Geheimnis. Ein leichtes Kräuseln und...
... Nurinai erwachte. Schweißgebadet. Noch immer gegen die Tür gelehnt. Noch immer auf dem Donnerhof. Noch immer in der kleinen Kammer, die ihr zugedacht war. Inzwischen war es absolut finster. Es war tiefe Nacht.
Diesen Traum. Sie träumte ihn nicht zum ersten und gewiss auch nicht zum letzten Mal. Er war immer etwas anders. Nie gleich. Doch der Praiosborn lag immer ganz ruhig da. Zu ruhig. Viel zu ruhig. Er machte ihr Angst und das mittlerweile nicht nur in ihren Träumen.
Nurinai rappelte sich auf, streckte ihre schmerzenden Glieder aus, zog den Riegel zurück, öffnete die Tür und... etwas fiel ihr vor die Füße. Oder viel mehr jemand.
„IHR!“, zischte Nurinai ungehalten, weil sie augenblicklich wusste, wer es war, „Was macht Ihr eigentlich noch hier?“
Es war so finster, dass sie nur das Weiß der Augen ihrer Gegenüber erkennen konnte.
„Ihr solltet gehen!“, entschied die Geweihte, „Geht! Verschwindet von hier!“
Yolande setzte sich auf, blickte Nurinai an und versuchte zu begreifen, zumal sie gerade aus Borons Armen gerissen worden war, was hier eigentlich gerade passierte.
„Ihr... Ihr habt mein Leben genug durcheinander... vollkommen durcheinander gebracht! Es reicht.“
Die Raukenfelserin atmete hörbar schwer.
„Ich... ich kann nicht einmal mehr schlafen! Immerzu seid Ihr da. Immer in meinen Gedanken. Ganz gleich… ganz gleich was ich tue. Das muss... muss endlich ein Ende haben. So kann es nicht weiter gehen! Das geht so einfach nicht.“
Yolande wollte gerade anheben etwas zu erwidern.
„Geht! Geht endlich! Geht zu Eurem Mann, Euren Kindern. Praios hat Euch an seine Seite gesetzt und nicht...“, Nurinai verstummte bevor sie sich um Kopf und Kragen reden konnte, doch ihre Geste war eindeutig: Sie hatte neben sich gedeutet. Gut, dass es vollkommen finster um sie herum war.
„Verschwindet! Verschwindet endlich aus meinem Leben! Ich will Euch hier nicht mehr sehen! Nie mehr!“
Damit verschwand die Geweihte in der Finsternis. Yolande blieb verdutzt zurück.
„Geht“, spie Nurinai im Gehen noch hervor, „Geht!“