Geschichten:Die Würfel sind gefallen – Ein Nebelstreif am Horizont

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Ritterherrschaft Praiosborn, Donnerhof, 1. Travia, am Abend

Langsam führte Yolande von Raukenfels ihre weiße Stute im Stall herum. Sie tat es ganz vorsichtig und zaghaft, beleuchtet vom diesigen Schimmer einer einzelnen Laterne. Es war schon spät am Abend, bald würde die Nacht hereinbrechen. Und auch diese würde sie zusammen mit ihrer treuen Begleiterin hier im Stall verbringen. Würde sie die ganze Zeit im Kreis führen. Immer wieder und wieder. Und das jetzt, wo sie eine Verzögerung am wenigsten gebrauchen konnte...

Da ging die Tür zum Stall auf und eine dunkel gekleidete Gestalt trat herein, gefolgt von dem kleinen Mädchen, dass hier zum Hof gehörte. Yolande blieb stehen, ihre Stute auch. Gebannt blickte Pferd und Reiterin auf die Gestalt, da schob sich das Mädchen zwischen sie und erklärte mit ihrer lieblichen Kinderstimme: „Ihro Gnaden Nurinai das ist Yolande von Raukenfels. Yolande von Raukenfels das ist ihro Gnaden Nurinai.“

Mit einer eleganten Bewegung schob die Geweihte ihre Kapuze nach hinten. Blaue Augen, tiefblaue Augen musterten Yolande. Ihre Kehle fühlte sich plötzlich entsetzlich trocken an. Sie schluckte.

„Boron mit Euch!“, grüßte die Geweihte mit einem warmen Lächeln auf den Lippen, ihr Blick ruhte noch immer auf ihrer Gegenüber. Yolande wollte etwas erwidern, konnte aber einfach nicht. Sie machte ihren Mund auf, klappte ihn dann aber einfach wieder zu.

„Seid ohne Furcht“, versicherte Nurinai da nickend, „Ich mag dem Herrn des Todes dienen, doch der Tod verpflichtet einem auch für das Leben.“

Noch immer befand sich Yolande im Bann dieser Augen. Diese Augen! Diese blauen Augen! Und wie sie sie ansahen. Ein merkwürdiges Schaudern ergriff sie.

„Gewiss“, erwiderte sie da kehlig, „Gewiss doch...“

Die Geweihte nickte milde, dabei wippte ihr braunes, leicht zerzaustes Haar mit. „Ein hübsche Stute habt Ihr da“, versuchte sie das Eis zu brechen.

Nebelstreif“, plapperte Nella eifrig, „Sie war ein Geschenk ihres Gattens zum Traviabund.“ Das Mädchen nickte energisch. „Und sie ist KEIN Beißi!“

Nurinai lachte herzlich und der Bann, der auf Yolande lag, brach.

„Was...“, hob sie da nun an, „Was ist denn ein... ein Beißi?“

Da lachte die Geweihte nur noch mehr. Ein warmes, herzliches Lachen, welches Yolande sogleich ganz tief in ihr Herz schloss.

„Nun, Nella, was ist ein Beißi?“, stellte Nurinai schließlich die Frage an jene, die sie aufgeworfen hatte.

Beißi ist das Pferd der werten Frau Reichsritterin. Die hat nämlich ein Pferd – das werdet Ihr mir jetzt wahrscheinlich nicht glauben, Frau von Raukenfels, aber es ist so wie ich es Euch sage, ihro Gnaden ist meine Zeugin – dass beißt alle bis auf die Reichsritterin und ihre Pagin.“ Wieder nickte das Mädchen zur Bekräftigung ihrer Worte. „Und wenn ich alle sage, dann meine ich auch alle! Es würde sogar die Kaiserin beißen, auch wenn die eine Frau ist!“

Einen Moment schauten die beiden Frauen sich fragend an, bis Nurinai schließlich mit den Schultern zuckte.

„Ein Streitross also“, schloss Yolande dann.

Nella guckte ein bisschen irritiert: „Woher wisst Ihr das?“

„Vielleicht ist die Frau von Raukenfels ja selbst eine Ritterin, was meinst du Nella?“

Da guckte das Mädchen mit ihren tiefbraunen Augen Yolande fasziniert an: „Dann habt Ihr auch einen Beißi?“

„Nella“, mischte sich nun die Geweihte ein, „Geh doch bitte nach drinnen und bitte deine werte Frau Mutter darum, uns ein kleines Mahl zu bereiten und es hier herauszubringen, denn die Nacht wird für uns eine lange werden.“

Pflichtbewusst nickte das Mädchen und eilte davon.

„Ich bin nicht sonderlich hungrig, ihro Gnaden“, erwiderte Yolande knapp.

„Ich weiß“, erwiderte Nurinai mit leiser Stimme, „Ich auch nicht, aber das Mädchen hat etwas zu tun...“

„Sie ist ein nettes...“, in diesem Augenblick zog die Geweihte ihre Cappa über den Kopf, was ihr braunes Haar nur noch mehr zerzauste und Yolande einen Moment inne halten ließ, „... Kind.“

„Mit einem äußerst wachem Verstand“, fügte die Geweihte hinzu und wechselte sogleich das Thema, „Eurer Stute scheint es wirklich nicht gut zu gehen.“

„Ihr habt Nebelstreif doch noch nicht einmal angesehen!“

„Es steht alles in Eurem Gesicht, Frau von Raukenfels. Alles.“


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1. Tra 1042 BF am Abend
Ein Nebelstreif am Horizont


Kapitel 1

Ertappt!
Autor: Orknase