Geschichten:Rotes Haar – Leomar
Ritterherrschaft Praiosborn, Donnerhof, 12. Travia 1042
„Ein kräftiger Knabe...“, redete die Hebamme gegen das Schreien des Kindes an und legte der frisch gebackenen Mutter ihr Kind auf die Brust, welches sich sofort beruhigte, „... und gesund. Kerngesund.“
In diesem Augenblick fiel von Mirya jegliche Anspannung, jegliche Angst und jegliche Furcht ab. Sie umfasste das in ein Stück Leinen gewickelte Neugeborene, spürte das Leben in ihm, und ließ sich erschöpft, aber mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen in die Kissen fallen.
„Und erst dieser Haarschopf! Den kann er wohl nur von seinem Vater haben“, lachte die Hebamme und verwies auf Miryas blondes Haar. Das lenkte zum ersten Mal Miryas Blick auf die Haarpracht ihres Sohnes. Einen Moment ging ein Zucken durch ihr Gesicht, dann schluckte sie und nickte als wollte sie die Worte ihrer Gegenüber bestätigen.
„Darf ich...“, hob da eine feine Kinderstimme an, „... darf ich... ihn mal sehen?“
Die Hebamme blickte auf das kleine Mädchen neben ihr. Nella war die ganze Zeit an der Seite ihrer Mutter gewesen, hatte sogar deren Hand gehalten, obgleich die Hebamme sie mehrfach versucht hatte vor die Tür zu schicken, das Mädchen hatte sich immer geweigert und war geblieben.
„Natürlich“, sagte sie da, „Geh dir deinen kleinen Bruder anschauen.“
Das tat Nella dann auch. Setzte sich auf das Bett zu ihrer Mutter und betrachtet ihren Bruder aufmerksam. „Wie klein er ist“, sagte Nella ganz verzückt, „Und ganz schrumpelig.“
Da lachte die Hebamme.
„Soll...“, hob das Mädchen an und wandte ihren Blick vom Haar ihres Bruder zu der Hebamme, „Soll ich ihm ein Mützchen holen? Ihm wird doch bestimmt ganz schnell kalt? Nicht dass er krank wird.“
„Eine gute Idee“, schloss diese da nickend und noch während dieser Worte sprang das Mädchen vom Bett und eilte davon.
„Eine kluges Mädchen hast du da“, sagte sie zu Mirya gewandt.
Die Hausherrin nickte: „Dass sagt Ihro Gnaden auch immer...“
Nun nickte die Hebamme.
„Hab Dank, dass Du gekommen bist. Ich weiß wohl, dass niemand so recht auf den Donnerhof kommen mag...“
„Es war Ihro Gnaden, die mich bat, in ihrer Abwesenheit nach dir zu sehen. Ihretwegen bin ich gekommen um dir bei der Geburt deines Kindes beizustehen“, womit sie keinerlei Zweifel an der Motivation ihres Kommens ließ.
„Dann danke ich dir umso mehr!“, schloss Mirya, „Ich war sehr froh, dich an meiner Seite gehabt zu haben. Was schulde ich dir für deine Dienste?“
„Nichts“, erwiderte die Hebamme, „Mir ist es Lohn genug, dass du und dein Sohn wohlauf seid.“ Das mochte Mirya nicht so recht glauben, auch wenn sie nun nickte. Vermutlich hatte sich Ihro Gnaden auch darum schon gekümmert.
„Dann auch dafür meinen herzlichen Dank und solltest du...“
In diesem Moment kam Nella herein. Stolz hielt sie ein Mützchen in der Hand. „Das habe ich schon getragen, als ich so klein war“, erzählte sie der Hebamme eifrig nickend, „Nicht wahr, Mutter?“
Mirya nickte. Nella setzte sich wieder zu ihr aufs Bett und zog ihrem kleinen Bruder ganz vorsichtig das Mützchen über sein kleines Köpfchen. „Und jetzt trägt es mein kleines Brüderchen. Das finde ich schön“, endete sie freudestrahlend.
Nun fuhr die Hausherrin fort: „Solltet du noch etwas Proviant brauchen, wird dir meine Tochter gerne etwas zusammenstellen.“
Da nickte das Mädchen eifrig: „Ja, das mache ich.“
Die Hebamme jedoch wiegelte ab: „Nein, nein, das wird nicht nötig sein. Ich habe es wirklich nicht weit.“
Mirya nickte verständnisvoll.
„Wie soll er denn eigentlich heißen?“, wollte nun Nella wissen und blickt ihre Mutter mit großen Augen an, „Mein kleines Brüderchen.“
„Leomar“, erwiderte Mirya mit fester Stimme, „Er wird Leomar heißen. Nach Leomar, dem Löwengleichen.“