Geschichten:Hirsch, Krähe, Katze – Der Fall des Hirsches
Doriant, Ende Phex 1043
Endlich war es soweit. Er, Bolzer von Nadoret, durfte in den Krieg ziehen. Bisher war er immer übergangen worden. Während andere Ruhm an ihre Banner haften durften hatte er auf Burg Basilstein rumsitzen müssen, gut irgendjemand musste die Burg ja bewachen, aber hätte man sich dafür nicht jemand anderes suchen können? Bolzer hatte schließlich Ambitionen. Er hatte seine Frau und zwei junge Kinder zu ernähren. Er wollte ihnen eine gute Zukunft bieten können und bisher hatte er dazu nichts weiter vorzuweisen als einen klangvollen Namen. Sein Bruder machte am Hof des Garether Markvogtes große Karriere und seine Schwester würde eines Tages das fette Gut Eychfeld erben. Er aber hatte bisher auf einer zweitrangigen Burg versauern müssen. Aber damit war es nun vorbei. Sein Ersuchen war erhört worden und er war an die Grenze zu Waldstein geschickt worden um dort Grenzwacht zu halten. Nicht ganz der glorreiche Kriegszug nach Hartsteen der ihm vorgeschwebt war, aber immerhin ein Anfang. Wenn er sich hier einen Namen machte standen ihm sicher viele Türen offen.
So war er nun, schon seit einigen Wochen auf dem Wehrhof Doriant stationiert. Sie hatten sich mit den Waldsteinern belauert, denn üblen Verrätern.
„Bolzer! Wir müssen uns zurückziehen!“ Unswins Stimme war eindringlich.
„Ich fliehe doch nicht vor ein paar dahergelaufenen Waldsteiner Bauern!“
„Doch, das müssen wir. Hier und heute können wir keinen Sieg erringen. So landen wir nur auf ihren Spießen.“
„Das ist unritterlich! Ich habe nicht so lange auf meine Gelegenheit gewartet, um jetzt den Schwanz einzuziehen.“
„Bolzer, lebe jetzt und siege später!“
Der Nadoreter warf einen schnellen Blick auf das Schlachtfeld. Ihre Kämpfer waren tatsächlich in der Unterzahl und die geschickt postierten Spießknechte der Waldsteiner verhinderten einen Flankenangriff der anwesenden Reichsforster Ritter. Zumal die Angreifer eine Hand voll Bogenschützen dabei hatten die ihr Handwerk wunderbar verstanden.
„Ah, von mir aus, blast zum Rückzug. Wir gehen zurück auf den Mühlbach und hindern sie zumindest am Übergang nach Süden.“
Unswin gab den Befehl weiter und nach ein paar Augenblicken war ein Hornsignal zu hören. Sofort versuchten die Reichsforster Kämpfer sich von den Waldsteinern zu lösen. Die Hauptleute hatten große Mühe eine kopflose Flucht zu verhindern und den Rückzug einigermaßen geordnet zu gestalten. Zumal die Waldsteiner jetzt ihre Gelegenheit sahen und gnadenlos nachrückten.
„Unswin, so wird das nichts!“
„Ich sehe es Bolzer. Lass die Ritter antreten. Wir reiten zwischen die Linien hindurch und schaffen unserer Infanterie Luft, um sich abzusetzen.“
Bolzer rief seinen Fahnenträger an die Seite und sammelte schnell die wenigen Ritter um sich. Sie bildeten einen schmalen Keil und auf das Kommando des Nadoreters stürmten die mit gesenkten Lanzen auf die linke Flanke der Waldsteiner zu. Im letzten Moment schwenkten sie ein Stück ein und ritten durch die schmale Lücke zwischen Reichsforster und Waldsteiner Fußvolk, die sich vor ihnen auftat. Auf der anderen Seite der Linien angekommen machten die Reiter einen Linksschwenk und verharrten als Nachhut hinter ihren fliehenden Fußsoldaten. Nach ein paar Augenblicken ließ sich erkennen, dass ihr Plan funktioniert hatte. Die Waldsteiner blieben zurück und wandten sich jetzt mehrheitlich der Plünderung des Dorfes Doriant zu. Eine Handvoll Spießkämpfer und Bogenschützen sicherte die Straße gegen die abziehenden Reichsforster. Der Nadoreter ritt noch einmal ein paar Schritt an die Reichsforster Linie heran und hob drohend sein Schwert, um ihnen zu zeigen, dass er nicht vorhatte diese Niederlage auf sich beruhen zu lassen.
„Das sollte reichen! Komm Bolzer, sehen wir zu, dass wir hinter den Mühlbach kommen.“
Unswin wendete sein Pferd, als er plötzlich das Surren von Bogensehnen vernahm. Bevor er sich wieder gedreht hatte, hörte er das Geräusch einschlagender Pfeile und das erstickte Gurgeln Bolzers. Der Keilholtzer hatte sein Pferd halb gewendet und sah, wie sein Kampfgefährte unendlich langsam aus dem Sattel rutschte. In seinem Hals steckte ein Pfeil, der durch den Nacken eingedrungen und mit der blutigen Spitze am Kehlkopf wieder ausgetreten war. In die Linie der Reichsforster kam jetzt wieder Bewegung. Offensichtlich hatten sie die Provokation Bolzers sehr arg aufgenommen und wollten sich nun seinen Leichnam als Trophäe holen.
„Orkendreck! Ritter, zu mir! Wolfram, Leubrecht, holt ihn da vorne weg. Ich gebe euch Deckung!“
Unswin schnappte sich seinen Kriegsbogen und die Pfeiltasche und stieg vom Pferd. Er steckte ein halbes Dutzend Pfeile vor sich in die vom getauten Schnee matschige Wiese und legte das erste Mal an. Die vorderste Waldsteinerin war bereits auf zwanzig Schritt herangekommen und wurde von der Wucht des Pfeils, der sie mittig in der Stirn traf, förmlich nach hinten geschleudert. Der zweite wurde von der Schnelligkeit überrascht mit der Unswin seinen Bogen wieder bereit hatte und bekam den Pfeil durch die lederne Rüstung direkt ins Herz. Die restlichen Spießknechte verlangsamten verunsichert ihren Angriff. Als nach wenigen Augenblicken der dritte von ihnen schreiend mit einem Bauchschuss zusammenbrach, wandte sich der Rest endgültig zur Flucht. Jetzt preschten endlich die zwei Reiter vor, hoben den toten Bolzer auf sein Pferd und beeilten sich wieder hinter Unswin zu gelangen. Der sandte noch einen weiteren Pfeil gegen die Waldsteiner Schützen, die ihm mit ihren Kurzbögen an Reichweite unterlegen waren. Einer Schützin durchschoss er damit den Oberschenkel. Unter großem Geschrei wurde sie von ihren Kameraden aus der Frontlinie gezogen. Jetzt endlich näherten sich mit Schilden bewehrte Schwertkämpfer und bildeten einen Schildwall, hinter dem sich die restlichen Waldsteiner sammelten.
Der Greifenfurter sah sich um. Inzwischen stand er allein auf weiter Flur. Gegen die jetzt wieder kampfbereiten Waldsteiner hätte er aber auch mit den übrigen Reichsforster Kämpfern nichts mehr ausrichten können. Ruhig sammelte er seine restlichen Pfeile wieder ein, schulterte den Bogen und bestieg sein Pferd. Er spürte keinen Triumph darüber, dass er die Waldsteiner von einer weiteren Verfolgung abgehalten hatte, denn sein Herz war schwer von der Trauer um einen Kampfgefährten, der ihm in den letzten Monden unbewusst zum Freund geworden war. Ohne sich noch einmal in Richtung Doriant umzusehen, folgte er den sich zurückziehenden Reichsforster Truppen.