Geschichten:Das Schweigen im Walde I: Feuersbrunst - Teil 16
Zwischenspiel – Das Rauschen des Nirgendmeers
Kloster Gansbach, Hesinde 1028 BF
»Wie geht es ihm?« Besorgt stand Alara hinter Mutter Tomalis am Bett des Landmeisters und blickte hinab auf den noch immer zerschundenen Leib. Bleich und eingefallen lag Atheran Zobel auf der Pritsche, in Decken gehüllt, und rührte sich kaum. Die Augen geschlossen atmete er nur flach, und schon mehrmals in den vergangenen Wochen überkam Alara der Gedanke, Boron habe den väterlichen Freund zu sich befohlen, wenn man den Brustkorb sich kaum mehr heben und senken sehen konnte.
»Unverändert«, entgegnete Tomalis Hardanger, die Vorsteherin des Traviaklosters Gansbach, in dem sie sich befanden. »Ihr wisst, ich bin keine Heilerin, und bei diesem Wetter haben wir auch keine Gelegenheit, irgendjemanden herbeizuschaffen. Wir können nur abwarten und beten«.
Alara nickte müde und ließ sich auf dem Schemel nieder, als Mutter Tomalis die Kammer verlassen hatte. Wie in den vergangen zwei Wochen würde sie wieder den Tag über Wacht halten und an Atherans Bett ausharren und auf den Mann Acht geben, der ihr viel mehr bedeutet als ein guter Freund, auch wenn er nichts von den wahren Gefühlen ahnte, die sie für ihn empfand.
Nach der Schlacht im Blutmoor, bei welcher Atheran von einem Dämonen so schwer verletzt worden war, dass er dem Tode nahe schien, hatte Alara ihn nicht aufgeben wollen. Eine der elfischen Jägerinnen, welche den Kriegszug gegen die verderbten Rubinbrüder zusammen mit der gräflichen Jagdmeisterin begleitet hatten, vermochte mit ihrer letzten magischen Kraft die übelsten Wunden des Landmeisters zu heilen und hatte so vermutlich sein Leben gerettet. Schließlich hatte man eine grobe Bahre zusammengezimmert, Atheran in Decken gewickelt und darauf festgeschnallt. Alara hatte ihre Begleiter so schnell es eben ging selbst in der Dunkelheit noch angetrieben, um das Kloster so schnell wie möglich zu erreichen, und seitdem harrten sie nun hier aus und wachten über Atheran.
Wieder musste Alara an die Sekte der Rubinbrüder denken, die nun Geschichte war. Den Machenschaften dieser Kultisten verdankte die Schweigende Wacht zu Waldfang ihre Existenz und damit auch ihre Ordensniederlassung, die seinerzeit auf Wunsch der Baronin von Waldfang errichtet worden war, aber einigen hochrangigen Ordensmitgliedern auch ein Dorn im Auge war. Die Zeit würde zeigen, was die Zukunft brachte.
Ein Seufzer Atherans riss sie aus ihren Gedanken. Schnell griff sie nach dem Becher und flößte ihm einige Schlucke Wasser ein, wie sie es immer taten, wenn der Landmeister kurzzeitig aus seinem ohnmächtigen Schlaf erwachte. Ohne dieses Zutun wäre der Landmeister mit Sicherheit schon vor Tagen aus Entkräftung aus dem Leben geschieden. Auch die zuweilen auftretenden Fieberschübe bereiteten Alara Sorge, doch die Brüder und Schwestern des Klosters wussten dieses mit den richtigen Kräutern zu behandeln. Als Atheran wieder schlief, versank sie erneut ihn ihren Grübeleien.
Was nach der Schlacht noch geschehen war hatte sie, einzig besessen von dem Gedanken, Atheran zu retten, nicht mehr richtig mitbekommen. So hatte Jeldan, der erst zusammen mit Baron Wulf und dem Rest der Streitmacht wieder am Kloster angelangt war ihr davon berichtet, wie man die Toten aus dem Sumpf und die Leichen der Kultisten wie auch ihre Hütten zu Asche verbrannt hatte; lediglich die eigenen Gefallenen, mit zwei Dutzend immerhin fast ein Viertel der Streitmacht, hatte man mitgenommen, um sie daheim borongefällig zu bestatten. Alara rechnete des dem Obristen auch hoch an, dass er sich selbst noch einmal von Atherans Zustand ein Bild gemacht hatte, nicht ohne ausdrücklich für den Einsatz der Boronkrieger zu danken, doch andererseits gehörten er wie sie beide dem alten Hause Streitzig an, wenngleich auch verschiedenen Zweigen.
Doch der Baron war längst heimgereist, ebenso wie Garrelt Vossk, einer der beiden Ordensknechte. Jener hatte die Schlacht verletzt überlebt und war zusammen mit den übrigen Kämpfern der Grafschaft schon wieder in Richtung Heimat aufgebrochen. Dort hatte er die traurige Pflicht, den Zweiten seines Standes zu begraben. Und auch seine eigenen Blessuren sahen nicht allzu gut aus, wahrscheinlich würde er dauerhaft eine Erinnerung an die Schlacht zurückbehalten.
Die Nacht verbrachte sie wie so oft in Gedanken, bis Jeldan sie um Mitternacht ablöste und selbst Wache am Krankenlager seines Vorgesetzten hielt; Alara nutzte die wenigen Stunden bis zum Morgengrauen, um selbst mehr schlecht als recht zu ruhen.
Auch in den beiden folgenden Tagen änderte sich Atherans Zustand nicht. Als Mutter Tomalis wieder einmal nach dem Landmeister sah – entgegen ihrer eigenen Beteuerungen war sie in der Heilkunst bewanderter als Alara oder Jeldan – nutzte letzterer die Gelegenheit, dass auszusprechen, was er schon seit einigen Tagen für nötig befand.
»Wie lange wollen wir hier noch verharren, Alara? Dies ist ein Kloster der Mutter Travia, wir aber sind Diener Golgaris. Wir sollten dort sein, wohin man uns befohlen hat, und nicht die Gastfreundschaft dieser Menschen über Gebühr beanspruchen. Wir haben auch eine Verpflichtung!« ermahnte er sie, und Alara nickte müde.
»Ich weiß«, entgegnete sie nur.
Tomalis, die ihr Gespräch durch die offene Türe halbwegs mit angehört hatte, trat zu ihnen. »Ihr habt recht, Bruder Jeldan« , brachte sie sich in das Gespräch ein. »Doch gebietet uns die göttliche Mutter, das Gastrecht nicht zu verwehren, und ich würde Euch auch niemals bei diesem Winterwetter von hier fortweisen. Doch Eure Pflichten rufen nach Euch, insbesondere, da ihr Bruder Atherans Stellvertreterin seid. Wenn ihr abreisen wollt, so solltet ihr es bald tun; der Grafenstieg ist im tiefen Winter kaum zu bereisen, und davon können wir hier ein Lied singen, glaubt es mir.«
»Und Atheran?« fragte Alara leise.
»Atheran ist hier in den besten Händen, nicht wahr, Mutter Thomalis?« Jeldan blickte erst Alara, dann die Klostervorsteherin an.
»Wir werden uns gut um ihn kümmern und tun, was in unserer Macht steht. Ihr aber müßt tun, was euch aufgegeben ist und Eure Wacht halten. Ich lasse Euch Nachricht zukommen, wie es um ihn bestellt ist.«
»Danke«, flüsterte Alara, und nickte Jeldan zu. »Es sei, morgen reiten wir heim.«
Über die Nacht brach schließlich der Winter vollends über Waldstein herein; anstelle der wenigen Flocken brachte er nun unversehens Schnee und schneidende Kälte mit sich. Dennoch machten sich die beiden Ordenskrieger heim auf den Weg zur Schweigenden Wacht. Mutter Tomalis Hardanger blickte ihnen einen Weile nach, wie sie durch den tiefen Schnee stapften, die Pferde am Zügel führend. Als das Schneetreiben die beiden Golgariten endgültig ihren Blicken entzogen hatte wandte sie sich um und ging, um nach dem Landmeister zu sehen. So die Götter wollten, würde er überleben.
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