Geschichten:Der Wald erwacht – Unterwegs mit dem Wegevogt
Im Reichsforst in der Nähe von Alka, Anfang 1044 BF:
„Herr, hier kommen wir nicht weiter, alles dicht!“, rief der junge, aber kräftige Mann Edorian von Feenwasser zu. Der gräfliche Wegevogt war mit 'seinen Mannen' auf dem Grafenstieg nördlich von Silz unterwegs – oder vielmehr, was von dem noch zu erkennen war.
„Aber laut den Karten aus dem gräflichen Archiv müsste es dort hinten weitergehen … .“ Edorian blickte irritiert auf die Karte vor ihm. „In den letzten Wintern war der Stieg auch nicht passierbar, aber im Sommer haben wir ihn stets wieder freibekommen.“
„Diesmal nicht, Herr, das Unterholz ist zu dicht.“ Der Mann zuckte mit seinen starken Schultern, die Edorian nicht verborgen geblieben waren. „Die Waldleute weigern sich weiter zu machen, sie haben Angst vor den Waldgeistern.“
Edorian wandte sich ab und verdrehte seine Augen. Dieser verdammte Aberglauben, dachte er sich. Dieser Aspekt seiner Heimat missfiel ihm und er verstand ihn auch nicht. Vermutlich war er zu lange seiner Heimat fern gewesen. Als sein Blick das undurchdringlich erscheinen Blätterwerk streifte, hielt er inne. Hatte er da nicht ein paar Augen gesehen die ihn anstarrten? Beim zweiten Blick war dort nichts als Grün. Spielten ihm seine Sinne nun auch schon einen Streich? Wolfsgeheul in der Ferne ließ ihn aufhorchen.
„Also gut, wir geben auf, der Grafenstieg ist für diesen Sommer als verloren zu bezeichnen.“ Resignation und Enttäuschung lag in der Stimme des Wegevogtes. Er war angetreten um die Wege vom wuchernden Forst freizuhalten und nicht einen nach dem anderen aufzugeben. „Auf nach Alka!“ Wenn er schon mal in der Nähe war, wollte er der Familie seiner verstorbenen [[Briefspieltext mit::Garetien:Liriella von Alka|Frau] auch einen Besuch abstatten.
Die Dämmerung hatte sich schon über den Forst gelegt, als der Wegevogt mit seinen Männern und Frauen das Dorf Alka erreichte. Lange schon war Edorian nicht mehr hier gewesen. Er hatte die Ortschaft als beschaulichen Flecken in Erinnerung, dessen Einwohner von den Gaben des Alkensees und des Waldes gut lebten. Aber etwas hatte sich verändert, das spürte er.
Als sie sich vom südlichen Waldrand her dem Dorf näherten, fielen Edorian die vielen angespitzten Holzstämme auf, die schräg in den Boden gerammt waren und den Ankommenden abweisend entgegen starrten. Auch wurde ein Graben ausgehoben und zur Dorfseite zu einem Erdwall aufgeschüttet. Strohpuppen mit Masken, die wie entstellte Fratzen aussahen, säumten ihren Weg. Eine Reihe von Fackeln tauchten die Szenerie in eine gespenstische Atmosphäre. Wie es schien, wollten sich die Bewohner von irgendetwas aus dem Wald schützen.
Ein hölzernes Tor öffnete sich knarrend und ließ die Besucher eintreten. Es war eine seltsame Stimmung die hier vorherrschte. Die meisten Fensterläden der Häuser waren schon geschlossen und auch im sonst für seine heitere Stimmung bekannten Gasthaus 'Am Alkenbach' wurden die Lichter bereits gelöscht und die letzten Gäste verließen das Etablissement – weit vor der sonst üblichen Zeit, wie sich Edorian erinnerte. Hier hatte er ein ums andere Mal über seinen Durst getrunken.
Vor dem Gasthaus standen zwei Planwagen und eine Hand voll Personen. Zu einer dieser Personen, einem jungen, blonden Mann, schritt Edorian und sprach ihn an.
„Dem Wald zum Gruße, junger Freund. Ich und die Meinen sind hier gerade angekommen und es verwundert mich diesen früher so heiteren Ort so trostlos vorzufinden.“
„Dann ward Ihr wohl schon lange nicht mehr hier, werter Freund.“ Goldgesprenkelte Augen funkelten den Wegevogt an. In den markanten Gesichtszügen des alterslos erscheinenden Mannes floss ein gehöriger Schuss Elfenblut. „Was führt Euch hier her?“
„Der Grafenstieg … und Familienangelegenheiten. Meine Gemahlin ist von hier!“
„Oh, Ihr seid vermählt, wie unglücklich!“
„Meine verstorbene Gemahlin stammt von hier.“ Ein vielsagendes Lächeln umspielte seine Lippen.
„Das hört man doch gerne.“ Die Augen des Halbelfen musterten provokant die eng anliegende Lederkleidung Edorians. „Also, weniger dass sie verstorben ist, als vielmehr … Ihr wisst schon.“
„Ich bin allerdings wieder vermählt.“
„Oh, und dabei fing es gerade wieder an interessant zu werden.“ Leuchtende Augen schienen Edorian zu durchbohren.
„Wir ehren allerdings Rahja weitaus mehr als Travia.“ Die beiden Männer gingen einen Schritt aufeinander zu.
„Darauf werde ich zurückkommen, werter Herr. Mein Name ist übrigens Isfarion Morgentanz und Ihr?“
„Edorian von Feenwasser.“
„Ah, der gräfliche Wegevogt, der mit den Bäumen tanzt.“ Ein Lächeln umspielte die feinen Lippen des Halbelfen. „Daher ward Ihr am Grafenstieg zu Gange – eine vergebene Liebesmüh!“
„DAS haben wir auch bemerkt“, antwortete Edrian etwas zerknirscht. „Was hat Euch hierher verschlagen?“
Der Handel mit den umliegenden Elfensippen. Die Morgentau sind bekannt dafür die besten Bauschmäntel zu knüpfen. Dafür bekommen wir in Silz ein Vermögen. Morgen nach Sonnenaufgang reisen wir ab. Begleitet uns doch. Dieser trostloser Flecken hat nichts was Euch halten würdet.“
„Warum eigentlich nicht … also abgemacht, wir begleiten Euch morgen nach Silz, aber vorher werde ich beim hiesigen Ritter vorstellig werden.“
Auf der Alkenburg:
An einem der drei Tore der schlossartigen Burg Alka, auch Alkenburg genannt, wurde Edorian vom alternden Kastellan Jurgald von Jeskenau in Empfang genommen. Von der Burg hatte man einen atemberaubenden Blick über den See.
„Ah, Herr Edorian, lang ist es her. Bitte folgt mir!“ Langsam schlurfte der Mann, der weit älter wirkte als er vermutlich war, durch die langen Gänge des Gemäuers. Vor einer der vielen Holztüren hielt er inne, klopfte, wartete einen Augenblick und öffnete dann die Tür. „Bitte tretet ein!“
Mit einem Nicken trat der gräfliche Wegevogt ein. In der guten Stube hielten sich der Hausherr Ritter Brinwulf mit seiner Gemahlin Praiosmin und den Kindern Trestena und Arved auf. Auch Askja, die Schwester des Ritters war zugegen, genauso wie deren Gemahl Helmbrecht, der mit den beiden Kindern Phexiane und Marnion spielte. In einem ausladenden Ohrensessel saß Brinwulfs Mutter Geltraude, die teilnahmslos in die Gegend starrte und den Neuankömmling nicht zu bemerken schien. Nach der Begrüßung bat Brinwulf Edorian sich zu setzen.
„Vetter, was führt dich so tief in den Forst?“
„Meine Arbeit, wie du weißt bin ich im Namen der Gräfin unterwegs um ihre Wege vom wuchernden Forst freizuhalten. Ein schwieriges Unterfangen, wie ich gestehen muss.“ Edorian runzelte seine Stirn.
„Der Forst hat sich gegen uns gewannt, sehe die Zeichen der Zeit, mein Freund! Der Grafenstieg ist nun dauerhaft unpassierbar. Er rückt uns immer näher … der Forst … er speit unaufhörlich seine grässlichen Kreaturen aus und bedroht unser Vieh, unsere Jäger, unsere Baumfäller. Diese Mauern sind die einzigen die uns Schutz bieten, mit viel Göttervertauen und Demut.“
„Hast du in Silz nach Hilfe gesucht?“
„Ach, wer soll den kommen und was sollen die tun? Wir sind auf uns allein gestellt.“
„Deine Kinder … und die von Askja, sind im Pagenalter. Hast du darüber nachgedacht sie an andere Höfe zu bringen?“
„Nein“, kam es energisch zurück. „Hier sind sie sicher und hier werden wir den uns auferlegten Prüfungen widerstehen. Der Forst ist gegen uns, das musst doch auch du sehen!“ In der Stimme des Ritters lag fast schon etwas flehendes.
„Ich denke … also ich weiß es nicht. Irgendwas ist los mit dem Wald.“
„Es ist schon spät. Bitte entschuldige uns, es ist Zeit uns zurückzuziehen. Jurgald wird dir ein Zimmer herrichten.“
Mit einem Nicken bedanke sich Edorian bei seinem Vetter und folgte dem Kastellan mit vielen Fragen, die in seinem Kopf schwirrten.
Als sich die Tür hinter dem Wegevogt schloss, öffnete sich eine weitere und Boromäus Holmer trat ein. „Euer Vetter ist mit den Mächten des Waldes verbündet, er wird Unheil über Euch und die Euren bringen.“ Der Geweihte des Praios sah Brinwulf fest in die Augen.
„Ich weiß, wir werden uns heute Nacht darum kümmern!“