Geschichten:Die Wut des Ogerfressers

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Praios 1044 BF, Pfalz Zwingzahn

Es regnete in Strömen, bereits seit mehreren Tagen. Der weite Platz vor den Toren der mächtigen Kaiserpfalz glich einem matschigen Tümpel, durch den ein Knüppelweg zum eisernen Tor führte.

Hinter dieser verschlossenen Tür hatte sich die Familie Wetterfels versammelt. Pfalzgraf Bernhelm von Wetterfels – den alle im Garetien nur den „Ogerfresser“ nannten, weil er damals als hitziger und wütender Krieger beim Marsch der 1.000 Oger gegen Gareth wie eine Sense in die schrecklichen Monster gefahren war und dutzende schreckensbleiche Rittersleute vor dem sicheren Zermalmen verschont hatte – hatte zur Feier anlässlich der Geburt seines zweiten Sohnes Eslam Hal geladen. Und ausdrücklich hatte er nur geladen, wem Wetterfelser Blut in den Adern pochte, so dass die vielen Eheleute aus all den noblen und hochherrschaftlichen Häusern von der Versammlung ausgeschlossen waren.

Und so kam es, dass Ariescha von Brendiltal, des Pfalzgrafen jugendhafte Gemahlin, die einzige Fremde sein würde, die noch bleich von der Entbindung ihres Kinder neben dem mächtigen und selbst für sein bereits hochbetagtes Alter furchteinflößenden Riesen zu sitzen hatte. Wie so häufig oblag es der Entscheidung des Patriarchen selbst, welche seiner aufgestellten strikten Regeln auch für ihn zu gelten hätten.

Celissa von Wetterfels hatte sich im leeren Festsaal neben ihre nur wenige Götterläufe älteren Base Emerdane gesetzt, und wartete im Klang des prasselnden Regens auf den Beginn der Feierlichkeiten. Graf Odilbert hatte sie erst vor wenigen Wochen zur Edlen von Eisenmuth bestallt, als Lohn dafür, dass sie in den dunkelsten Stunden der Fehde gemeinsam mit ihrem Vetter Brinhart einige für Hartsteen wichtige diplomatische Missionen erfolgreich zum Abschluß gebracht hatte.

»Hast du den Alten schon gesehen, Emerdane? Wie ein stolzer und glücklicher Vater sieht er nicht aus«, eröffnete Celissa das Gespräch.

Die Angesprochene nickte. »Ich habe ihn noch nicht gesprochen, aber das liegt auch daran, dass ich es vermeide mich in der Nähe von Vulkanen aufzuhalten. Dir noch einmal meine Glückwünsche für die Katterquellburg. Du hast es dir auch verdient und für uns als Familie ist es ein gutes Zeichen, dass unsere Macht und unser Einfluss weiterwachsen.«

»Ja, aber es ist mit der Pflicht verbunden, die abtrünnigen Katterquell zu stellen, die sich in den Feidewald verkrochen haben und uns von dort aus immer wieder in den Rücken fallen.«

Langsam füllte sich der Saal. In der Nähe von Celissa nahm Brinhart von Wetterfels mit seiner Tochter Bernerike Platz. Man nickte sich freundlich zu, die letzten Monde der Fehde hatte die gesamte Familie enger zusammengeschweißt. Die Erfolge und Verluste waren jedem im Raum bewusst und mancher Platz würde heute leer bleiben.

Das Gemurmel der Wartenden verstummte schlagartig, als der Pfalzgraf mit seiner nebachotischen Gattin den Raum betrat. Sein Auftreten wirkte noch immer so kraftvoll, als ob er nicht nur Oger sondern auch Äonen fressen konnte, ohne dabei den kleinsten Schaden zu nehmen. Einzig ein paar graue Haare in seiner strähnigen Lockenpracht zeigten, dass auch er nicht mehr der junge Ritter war, der zweimal an der Seite von Prinz Brin und Königin Rohaja gegen Galottas Horde gezogen war.

Bernhelm nahm seinen Ehrenplatz ein, griff mit seiner Pranke einen Krug mit Met und hob ihn in die Höhe. Wie auf einen stummen Befehl taten es ihm alle Wetterfelser gleich und erwarteten mit ebenfalls erhobenen Gefäßen die Ansprache des frischgebackenen Vaters.

»Meine Familie, seid gegrüßt. Wir sind heute hier in diesen Hallen, weil die Götter uns Nachwuchs geschenkt haben und uns damit beweisen, dass das Blut der Wetterfels noch immer stark und lebendig ist. Wir haben uns unseren Platz in dieser Welt erkämpft und haben ihn gegen unsere Feinde verteidigt. Unsere Treue gilt der Kaiserin, die das Reich zusammenhält. Für unseren Dienst werden wir von ihr belohnt. Auf sie erheben wir unsere Herzen.«

Dann hielt er einen Moment ein. Man konnte das Pochen der Halsschlagader förmlich bis in den letzten Winkel des Raumes spüren – der Vulkan stand davor auszubrechen.

»Unsere Treue haben wir auch dem Haus Hartsteen geschworen, für das wir in der Fehde gegen die Quintian-Quandt gekämpft und siegreich waren. Wir haben für das Haus Hartsteen auch gekämpft, als es töricht eine Fehde mit dem Reichsforster Grafen vom Zaun gebrochen hat. Aber wie hat man uns dafür gedankt?«

Bernhelms Stimme war laut und polternd geworden. Sie legte sich wie ein Tosen über den stillen Schrecken im Raum.

»Ein paar Brosamen und warme Worte. Ein paar abgehalfterte Raubritterburgen, das wirft man uns hin und erwartet, dass die Familie Wetterfels sich vor Dankbarkeit im Kreis dreht! Aber wenn es um die wirklich bedeutenden Lehen geht, wenn es um eine angemessene Belohnung unserer Treue geht, dann vertröstet man uns und gibt anderen Speichelleckern den Vortritt. Dann kommen diese Schwingenfelser unter ihren Steinen hervorgekrabbelt, die sich wie Maden im Aas der Windischgrütz tummeln, die schäbig von den Hartsteens verraten wurden. Dann stolzieren Stolzenfurt und dozieren Gneppeldotz mit aufgeplusterten Gockelkämmen, ohne jemals etwas geleistet zu haben.«

Bernhelm brüllte inzwischen ohrenbetäubend.

»NATZUNGEN HÄTTE AN UNS GEHEN MÜSSEN!«

Das Wort lag in der Luft. Jedem Anwesenden war nur zu bewusst, was hier gerade ausgesprochen, ohne dass es deutlich formuliert worden war. Die Familie Wetterfels hatte mit dem Grafenhaus gebrochen. Es würde nicht mehr lange dauern, dann würde die Familie den Zorn der gesamten Hartsteeer Ritterschaft zu spüren bekommen. Alles an Vertrauen beim Grafen, alles an Verdiensten in der Fehde für das Haus Hartsteen würde wertlos werden – und ebenso wie die Familie Katterquell, die die Gunst des Grafen Odilbert verloren hatte und dafür vernichtet worden war, würden man versuchen die Spuren der Familie Wetterfels aus Hartsteen zu tilgen.

Pfalzgraf Bernhelm, dessen puterroter Kopf sich wieder langsam beruhigte, schaute mit blutunterlaufenen Augen in die versammelte Runde.

»Wir werden uns neue Freunde und Verbündete suchen müssen«, sagte Emerdane nüchtern und trocken in die Runde. »Ich schlage dringend vor, dass wir nach Perricum reisen, um uns dort gegen den zu erwartenden Sturm zu wappnen. Bei der Heerschau werden genügend große Häuser um neue Verbündete buhlen. Wir haben für jeden Feind der Hartsteen ausreichend großen Wert, um entsprechend belohnt und belehnt zu werden.«

»Die Ochs oder die Ruchins können wir vielleicht auf unsere Seite ziehen!« rief Celissa aufgeregt. »Reichsgau muss auch in Zukunft in der Hand der Familie bleiben, sonst sinken wir in die Bedeutungslosigkeit hinab. Mit deren Einfluss in der Reichsverwaltung können wir die Pfalzgrafschaft auch über mehrere Jahre weiter sichern.«

Pfalzgraf Bernhelm polterte dazwischen: »Mit Diplomatie alleine erreichen wir gar nichts! Wir brauchen frische Kämpfer. Die können uns die Brendiltals schicken, in familiärer Verbundenheit zu meiner Gattin. Und Waffen brauchen wir auch! Deswegen sollten wir unbedingt in Bugenhog vorsprechen – mit Pfalzgraf Parinor verbindet mich eine lange und gute Freundschaft, und Baron Alrik von Gareth können wir vielleicht auch als Verbündeten gewinnen!«

Das aufbrausende Gemurmel im Saal zeigte, dass die Familie Wetterfels sich entschieden hatte. Niemand stellte sich gegen den Patriarchen und erhob gegen ihn das Wort. Das aufstrebende Haus Wetterfels würde seine Fahne hissen für Ruhm und Ehre – oder für einen blutigen Untergang in der Großen Fehde.