Geschichten:Das Land am Arvepass - Zu große Träume
Burg Angareth, Markgräflich Arvepass, am Abend des 23. Boron 1045 BF
Reto von Binsböckel saß auf einer der Bänke und rieb sich sein Bein. An kalten Tagen wie diesem machte es sich immer besonders bemerkbar und zwang den ehemaligen Rittmeister zum Herumsitzen. Da man allerdings sowieso nichts erledigen musste, war es ihm einerlei, ob er nun hier auf Angareth saß oder in seiner eigenen Halle. Wobei, wenn er es sich recht überlegte, war die eigene Halle doch gemütlicher. Der Trubel auf Angareth sprach ihm nicht zu, er genoss die Ruhe seines Lehns und war froh, ob der Abgeschiedenheit.
Der Grund, weswegen er hier verweilte, war auch kein gänzlich freier. Immerhin hatte der neue Landvogt alles was Rang und Namen, in der markgräflichen Vogtei, hatte, eingeladen. Reto schnaubte belustigt auf, „alles was Rang und Namen hatte“, das waren auf dem Arvepass gerade mal eine Handvoll Personen. Der Junker von Bergesruh (welcher seit neustem als Landvogt hier diente), der Edle zu Hagenshain (also Reto selbst), die Kastellanin von Angareth, der Anführer der Bewaffneten des Landvogts und die beiden Hauptmänner Oswin von Firunslicht (der zurzeit aber gar nicht hier war) sowie Yarlak von Raffelsberg.
Mithin eine überschaubare Anzahl an Personen, an die der neue Landvogt seine Antrittsrede gerichtet hatte. Er sprach davon, den Arvepass in eine neue Zeit zu führen, die Passstraße musste ausgebessert werden, immerhin erwartete dieser Bärfried, dass sie zu einer wichtigen Handelsstraße zwischen Perricum – Beilunk – Altzoll und Warunk werden würde. Reto hatte innerlich die Augen verdreht, dieser Jungspund schien voller Tatendrang zu sein und dabei zu übersehen, warum die Lage am Pass so war, wie sie war. Markgräflich Arvepass war wohl das defizitärste Eigenlehn des Markgrafen. Mit welchem Geld wollte der Mann mit der Augenklappe also die Straße befestigen oder ausbauen?
Zu Retos Überraschung hatte Bärfried auch einige Worte zu seiner Bestallung verloren. Er wisse, dass sich einige mit seiner Einsetzung überrumpelt fühlten oder zumindest etwas verschnupft waren. Doch er hoffte, dass jeder hier ihm eine echte Möglichkeit zugestand sich zu beweisen. Er hatte für alle Anliegen ein offenes Ohr und sollte jemand mit etwas unzufrieden sein, so könne man sich vertraulich an ihn wenden.
Den alten Rittmeister hatten solch offene Worte überrascht, hätte er doch gewettet, dass dieser Emporkömmling sich aufspielen würde. Allerdings hatte Reto das Gefühl, dass diese Worte nicht unbedingt aus der Feder des Landvogt stammten, sondern eher von dessen Frau. Immerhin hatte der Edle diese als umgängliche und umsichtige Person kennengelernt. Im vergangen Götterlauf hatte sie es geschafft Reto einige seiner Arbeiter abzuschwatzen. Die Gegenleistung war eine kaum nennenswerte Summe an Silberstücken gewesen.
Ein sich ihm gegenübersetzender Mann riss Reto aus seinen Gedanken. Garrald Erlgrimman, so angetan in Fell wirkte der Anführer der Bewaffneten auf Burg Angareth mitsamt seinen Leuten wie ein Fremdkörper zwischen den Gardisten des Bombardenregiments. „Die Zwölfen zum Gruß, Euer Wohlgeboren“, die Stimme des Burgoffiziers war kratzig und rau, fast als wäre sie ein Abbild der Zacken. Der Angesprochene hob die Hand zum Gruß, „die Zwölfe zum Gruß Garrald“.
„Viel zu reden hatte der Neue - aber wenig zu sagen“, stellte der fellbewehrte Mann grimmig fest und nahm einen Schluck aus seinem Holzhumpen. „Bin gespannt wie er es umsetzen wird, frischer Wind könnte dem Pass guttun“, erklärte er weiter und blickte zum alten Ritter. Dieser winkte ab und schüttelte den Kopf, „ein Heißsporn dessen Träume zu groß sind, wenn Ihr mich fragt. Der Paligan hätte gut daran getan Aldrons Sohn als dessen Nachfolger auszuwählen. Er wurde lange auf diese Aufgabe vorbereitet, von fähigen Leuten, die um ihr Handwerk wissen. Der neue Landvogt wird sicherlich einige Dämpfer erleiden und wenn er sich nicht vorsieht, bald resigniert von dannen ziehen“.
Garrald wog abschätzend seinen Kopf hin und her, auch er hätte lieber Oswin als Nachfolger gesehen. Doch von diesem Bärfried wusste er, dass dieser seit dessen Belehnung mit einem Gut hier in den Zacken, die Verbindung zum Land gesucht hatte. Ein Pfad, den der Burgoffizier guthieß und unterstützen würde. Immerhin war der neue Landvogt keiner dieser Flachlandbewohner, die bei dem kleinsten Luftstoß umfielen wie junge Bäume im Sturm. Am morgigen Tag wollte sein neuer Herr das Urnenfeld besuchen. Er selbst würde mit drei anderen Bewaffneten seine Hochgeboren begleiten und diesen Ausflug nutzen, um sich ein besseres Bild von diesem zu verschaffen.