Geschichten:Die Ratte im Gebälk - Ein Bruder kehrt heim

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Gareth, Ende Rahja 1043 BF

Nach einem langen Fußmarsch durch das kriegsgebeutelte Garetien erreichte ein Reisender endlich Gareth. Sein Weg führte ihn in die Vororte der Kaiserstadt unweit entfernt von der Stadt des Lichts, aber noch in Roßkuppel gelegen, in einem kleinen Stadtteil das man Hohenlinden nannte. Dort stand das Stadthaus der Keres und dieses Anwesen betrat der Reisende. Als er den Vorhof betrat, kamen die Bediensteten auf ihn zu und fragten ihn nach seinem Begehr. Es stellte sich her-aus, daß sein Name Tristan war und früher bereits einmal in Diensten der Familie stand; und da er wieder auf der Suche nach einem Dienstherrn war, wurde er hier vorstellig. Es dauerte nicht lange, da kamen Irian und dann auch Ludilla auf ihn zu und begrüßten Tristan wie einen verlorenen Bruder der heimkehrte.

Man beschloß sich im Goldenen Apfel, in der benachbarten Schenke, zusammen zu setzen, etwas zu trinken und zu erzählen, wie es einem in den letzten Jahren ergangen war. So erzählte Tristan, wie er nach der Auflösung der Tauristar in den Süden zog und dort verschiedene Dienstherren hatte. Die einen waren eher zwielichtiger Natur und die anderen waren sehr götterfürchtig; im Großen und Ganzen aber stand er nie lange unter Lohn und Brot und so kehrte er wieder hierher zurück, da die Keres doch als zuverlässige und großzügige Dienstherren galten.

"Aber genug von mir", sagte Tristan schließlich. "Wie ist es euch ergangen? Ihr steht noch in Diensten der Keres?"

Ludilla nickte. "Aber nicht mehr als Tauristar", antwortete sie. "Die Tauristar gibt es ja nicht mehr."

"Jedenfalls offiziell", meinte Irian. "Auch wenn viele bereits ihre eigenen Wege gegangen sind, so glaube ich, daß die meisten kommen würden, wenn man nach ihnen riefe."

"Und wer ist noch nicht seiner eigenen Wege gegangen? Wer steht noch in Diensten der Keres?"

"Nun, ich", antwortete Irian und deutete dann auch auf die Rothaarige, "und natürlich Ludilla. Rondril, Geldor, Jasmina, Travidan und Perainian, sind auch noch da. Ach, und natürlich Lydia, nun ja, jedenfalls mehr oder weniger."

"Mehr oder weniger?", fragte Tristan.

"Nun, als sie Belgos' Tochter zur Welt gebracht hat, widmet sie sich eigentlich nur noch ihrer Erziehung", erklärte Irian.

"Und was macht der Alte? Ich nehme an, er hat hier bei dieser Fehde wieder überall seine Augen und Ohren und spielt die Grafenhäuser gegeneinander aus?" Mit dem "Alten" meinte Tristan Balrik von Keres, der die Tauristar gegründet hatte und von diesen meist einfach nur respektvoll der "Alte" genannt wurde.

"Du weißt es nicht?", fragte Irian erstaunt und wechselte einen Blick mit Ludilla.

"Stimmt, du warst ja eigentlich nie hier; du warst ja die ganze Zeit über mit dem Heer der Gerechten in Aranien. Und als die Tauristar aufgelöst wurden, warst du einer der ersten die gegangen sind", erinnerte sich Ludilla. "Nun, nachdem der Alte seine Titel und Ämter im Herbst nach dem Mendena-Feldzug abgegeben hatte", erklärte sie, "hat er im Sommer darauf ein großes Fest gefeiert" - "Und was für ein Fest!", schwelgte Irian in Erinnerung - "Es war ein Abschiedsfest", fuhr Ludilla fort. "Und ja, da hast du wirklich was verpasst, Tristan. Viele waren da und haben ihn verabschiedet. Und Nahéniel hat dort ein Lied gesungen, ein endlos scheinendes Lied, ein magisches Lied, das einem in den tiefsten Bann gezogen hatte. Man wird wohl noch Generationen später vom Lied der Lieder sprechen, so hat es einen verzaubert. Jedenfalls, nach dem das Lied abgeklungen war, waren Balrik und Nahéniel nicht mehr da."

Wenn sogar Ludilla so davon schwärmte, dachte Tristan, dann mußte es wirklich was Besonderes gewesen sein. "Wie nicht mehr da?", hakte er nach.

Ludilla zuckte mit den Schultern. "Einfach nicht mehr da. Keiner hat sie gesehen und niemand weiß wohin sie sind verschwunden sind. Wie vom Erdboden verschluckt. Das ist alles ein großes Rätsel."

Tristan lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. Schließlich schüttelte er den Kopf, damit wollte er sich jetzt nicht befassen. „Dann hat also Gerion sein Erbe angetreten?“

Ludilla nickte.

„Und wie macht er sich so?“

„Es ist ja nicht so, daß er erst jetzt die politischen Geschäfte führt. Das hatte er ja im Grunde schon während der Herrschaft des Alten getan. Mmh, aber ich sage es mal so“, meinte Ludilla. „Wo der Alte versuchte die Neutralität zu wahren und dabei sogar die besondere Fähigkeit an den Tag legte von zwei voreinander verfeindeten Parteien als Verbündeter oder gar als Freund wahrgenommen zu werden, so scheut sich Herr Gerion nicht eine eindeutige Stellung zu beziehen, sich damit auch Feinde zu machen, aber am Ende mit mehr Gewinn aus der Sache heraus zu gehen.“

"Er ist jetzt der Erste Rat des Markvogtes", erklärte Irian. Es war Stolz in seiner Stimme zu hören, solch einem Herrn zu dienen.

"Die Frage ist allerdings wie lange noch", fügte Ludilla zynisch hinzu. Dann an Tristan gewandt, der sie fragend ansah: "Der Markvogt ist alt und bettlägerig, habe ich gehört. Wer weiß, wie lange der noch macht. Der Herr hört sich bereits innerhalb der Grafschaft nach Verbündeten um. Wahrscheinlich will er dadurch seine Machtbasis erhalten, wenn der Markvogt einmal nicht mehr sein wird.

"Verstehe. Der Alte ist also mit seiner Elfe verschwunden und sein Sohn hat die Geschäfte übernommen und sucht Verbündete in der Grafschaft. Muß man denn sonst noch was wissen?", fragte Tristan. "Wie geht es den anderen Keres?"

"Die Geschwister des Herrn gehen ihre eigenen Wege. Cordovan ist aus dem perricumer Heer ausgetreten; manche sagen auch desertiert." Auf den fragenden Blick Tristans erzählte Ludilla weiter. "Als Haffax durch Perricum marschierte führte er eine Einheit Soldaten. Es ergab sich, daß er nach Rommilys kam und kämpfte dort gegen Haffax' Truppen. Hat geholfen die Stadt dort zu verteidigen. Hat sogar einen Orden dafür bekommen. Ich habe gehört, daß er mit diesen Soldaten noch immer dort ist, jetzt allerdings als Söldnerführer. Und angeblich soll er das Bett der Markgräfin wärmen. Ob das wahr ist? Ist zwar nur ein Gerücht, aber ich glaube nicht. Kann mir das bei der traviafrommen Gräfin nicht vorstellen.

Und die Magierin Asamandra? Sie ist nach wie vor im Alten Reich, geht da ihren magischen Forschungen nach und verkehrt dort in den höchsten Kreisen. Kommt ab und zu mal her und besucht ihren Bruder. Er hat sogar mal den Vorschlag gebracht, sie an einen Grafen zu verheiraten. Auch wenn ich glaube, daß das nicht wirklich ernst gemeint war, so war sie offenbar nicht gerade begeistert von dieser Idee." Ludilla schmunzelte. Sie mußte offenbar Zeuge dieses Vorfalls gewesen sein. "Du hättest ihre Antwort hören sollen. Sie kann ganz schön spitzzüngig sein, sage ich dir."

"Und wie steht es um die Kinder Gerions?"

"Der Älteste, Rufus, wird bald seine Ausbildung an der Magischen Rüstung beenden. Er gilt aus vorbildlicher Weißmagier der sich an die Regeln hält. Und der Jüngste, Sirius, ist Novize in der Stadt des Lichts. Larissa, die Zweitgeborene, hat man in die perricumer Magierakademie geschickt. Du weißt ja, Tristan, sie sind alles Enkel einer Elfe und haben die magische Begabung, die der Herr fördern wollte. Nur wurde Larissa nach einiger Zeit wieder der Akademie verwiesen, weil sie nicht die nötige Auffassungsgabe besaß - so hieß es jedenfalls. Seitdem ist sie mit dem Herrn am Hofe des Markvogtes. Sie scheint eine recht liebreizende junge Dame zu sein mit vielen Verehrern und gilt als 'gute Partie'. Ich vermute, dass der Herr sie gut verheiraten möchte und sie deshalb mit an den Hof des Markvogtes genommen hat.“

„Mmh, ich glaube, das hat einen anderen Grund“, mischte sich Irian ein. „Ich glaube, daß der Herr seine Tochter nun selbst in den magischen Künsten ausbildet und er sie deshalb in seiner Nähe hat.“

Als die beiden nicht mehr weiter sprachen, fragte Tristan. "Gab es da nicht noch ein Kind?"

"Ja, das ist richtig" sagte Ludilla schließlich. "Eine tragische Geschichte. Junivera, hieß sie. Auch sie hätte in eine Magierakademie kommen sollen. Du musst wissen, sie war das reine Gegenteil von Larissa. Wo diese brav war und die Anweisungen, die man ihr gab, auch folge, ihren Stickarbeiten fleißig nachkam, und schon in jungen Jahren versuchte, wie eine Edeldame zu sein, so streunte Junivera immer in der Gegend herum, kam dreckig nach Hause und prügelte sich sogar mit den Nachbarsjungen mit einem Holzschwert in der Hand. Larissa und Junivera waren immer im Streit. Die eine war immer 'langweilig und hochnäsig' und die andere 'dreckig und ein Streuner'.

Jedenfalls wollte der Herr Junivera eine Ausbildung zukommen lassen, die auch ihrem Charakter entsprach. Auch wenn es noch immer eine Magierakademie sein soll, so sollte es den Schwerpunkt Kampf haben. Und da Saldor Foslarin keine Keres mehr in seiner Akademie aufnimmt, sollte Junivera nach Bethana. Und auf dem Weg dorthin wurde ihre Reisegruppe von Banditen überfallen - es heißt, es sollen Anhänger des Namenlosen gewesen sein. Was genau dann passiert ist kann ich nicht sagen, ich weiß nur, daß sich dort ein Sphärenriß gebildet und nicht nur die Banditen verschlungen hat, sondern auch Junivera. Der Herr hat sofort Leute ausgeschickt, die sie suchen sollen. Angeblich soll sie danach noch einmal in Albernia gesehen worden sein, wo sie letztlich in einer Feenwelt gänzlich verschollen ging."

"Spährenriße und Feenwelten?", wiederholte Tristan und schüttelte den Kopf. "Womit sich die Magier so alles herumschlagen müssen ... Für mich ist das alles zu hoch. Aber mal im Klartext: Einer der Kinder wird Magier, die andere soll verheiratet werden, die Dritte ist verschwunden und der letzte wird Geweihter, richtig?"

Ludilla und Irian nickten.

"Und wie stehen die Keres in dieser Fehde?"

"Nun, der Herr hat sich klar auf die Seite des Markvogtes gestellt“, sagte Ludilla. „Und das hat sich gelohnt. Nachdem dem Herrn etwas gelungen war, von dem niemand erwartet hatte, daß es gelinge, wurde er vom Markvogt zum Ersten Rat ernannt.“

„Ihm gelang es den freien Abzug von einem größeren Trupp Soldaten zu verhandeln, die in einer Stadt eingeschloßen waren“, fügte Irian hinzu. „Der gegnerische Kommandeur hätte sie locker vernichten können, aber Gerion brachte ihn dazu, darauf zu verzichten.“

„Das stimmt“, nickte Ludilla. „Auch Arinya, die Gattin des Herrn, hat etwas bekommen - das Junkergut Alfenmohn."

"Vergiß die Baernfarns nicht", warf Irian ein.

"Stimmt. Arinya ist ja eine Baernfarn. Und mit ihr haben die Keres starke Verbündete aus der Rommilyser Mark, nämlich das Haus Baernfarn. Ariynas Schwester Kordaella hat ebenfalls ein Gut bekommen das ihr der Herr in Funktion als Erster Rat gegeben hat. Und er hat auch andere Leute um sich geschart. Vielleicht kennst du Praiodan Tradeon? Nein? Er steht bereits seit dem Jahr des Feuers als Schreiber oder Herold in Diensten des Herrn. Und seitdem er aus dem Alten Reich zurück ist, hat er auch eine Rahja-Geweihte im Gefolge. Elianor, heißt sie und sie versteht sich sehr gut mit ihm aber auch mit Arinya. Unter uns, ich glaube hinter dieser Geweihten steckt mehr als es scheinen mag."

Tristan lehnte sich zurück. "Mmh", machte er und trank seinen Becher leer. "Ich sehe schon, es ist einiges geschehen. Aber vielleicht wird es allmählich Zeit, daß ich mich dem Herrn vorstelle." Ihm war schon aufgefallen, daß Ludilla von Gerion nur als den Herrn sprach (und ihm langsam auf den Geist ging).

"Nun ja", sagte Ludilla. "Er befindet sich gerade auf Schloß Sonnentor. Aber Arinya ist zur Zeit hier. Ich werde dich ihr vorstellen."



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28. Rah 1043 BF zur mittäglichen Praiosstunde
Ein Bruder kehrt heim


Kapitel 1

Vom Schließen eines Bundes
Autor: Balrik