Geschichten:Lang erhofft und schnell vorbei
Endlich war der Tag gekommen. SEIN Tag.
Akribisch hatte sich der Oberst darauf vorbereitet, eigens einen neuen Wappenrock aus den besten Stoffen schneidern und seine Stiefel sowie seine Auszeichnungen auf Hochglanz polieren lassen. Nichts durfte seinen Auftritt und seine Erscheinung schmälern. Zumindest nicht heute. Selbst seinen zu leistenden Lehnseid wusste er nicht nur auswendig aufzusagen sondern hatte sich hierzu auch eine besonders feierliche Vortragsform überlegt.
Nun galt es noch zu warten, etwas, das Siegerain gerade heute besonders schwer fiel. Schließlich durfte er aus seiner Sicht nicht zu früh zu der Zeremonie erscheinen, andererseits aber auch nicht erst kurz vor knapp. Auch hier wollte der Offizier nichts dem Zufall überlassen.
Er erinnerte sich noch einmal an den Besuch in seinem neuen "Reich" vor einigen Tagen: "Inkognito" - als einfacher Ritter, nur mit seinem persönlichen Wappen angetan - hatte er Schlicken durchreist und sich einen Überblick über diesen Flecken Land verschafft. Und was er gesehen hatte, gefiel Siegerain durchaus. Das Land schien sehr fruchtbar, sodass Land- und Viehwirtschaft in einem stattlichen Maße gedeihen konnten, es gab zumindest ein Dorf, das diese Bezeichnung verdiente und ansonsten einige Weiler sowie einzelne Gehöfte, die sich quer über das Lehen verteilten. Nur eine Burg oder ein angemessener Herrensitz fehlten, wie der zukünftige Herr dieses Landstrichs verdrießlich feststellen musste. Es gab zwar einen recht stattlichen Gutshof, aber dort lebte seit seiner Einsetzung der hiesige Edle, Riman von Greifenwacht. Also musste er sich wohl oder übel eine eigene Residenz errichten lassen. Was das kostete! Andererseits konnte sich der neue Junker ja wohl kaum in einem einfachen Bauernhaus einquartieren. Nein, sein neuer Wohnsitz sollte schon etwas hermachen - was sollten denn sonst die übrigen Adligen der Perrinmarsch von ihm denken? Auf einen Besuch beim Edlen hatte der Offizier allerdings wohlweislich verzichtet, da dieser vermutlich wenig angetan davon war, demnächst einen neuen Herrn vor die Nase gesetzt zu bekommen. Da wollte er nicht schon vor seiner Belehnung mit einem Überraschungsbesuch Öl ins Feuer gießen. Woran sich Siegerain allerdings noch gewöhnen musste, war der Umstand, dass mindestens die Hälfte der Bevölkerung von Schlicken offensichtlich nebachotischer Abkunft war. Das war dem Oberst an sich zwar herzlich egal, doch verursachte ihm deren Akzent mit der ebenso häufigen wir starken Betonung des "Ä", wo eigentlich ein "E" hingehörte, fast schon körperliche Schmerzen. Furchtbar.
"Herr, es ist Zeit."
"Äh, wie, was?!" Der jäh aus seinen Gedanken gerissene Adlige war für einen kurzen Moment verwirrt, als ihn seine Hausdienerin unerwartet ansprach.
"Verzeiht, wenn ich Euch erschreckt haben sollte, Herr, aber ihr wünschtet, ein Wassermaß vor Eurer Audienz im Markgrafenpalast daran erinnert zu werden.
"Danke, schon gut. Du kannst Dich zurückziehen."
Rasch machte sich Siegerain fertig und auf den Weg in den Palast, dabei sorgfältig darauf achtend, dass sein Wappenrock jeden Kontakt mit dem Unrat auf den Straßen Perricums vermied.
Am Ziel angekommen, nahm ihn ein livrierter Lakai in Empfang und führte den Adligen in einen wenig festlich wirkenden Besprechungsraum und nicht, wie vom Oberst erhofft, in den Thronsaal. Im Raum hatten sich bereits diverse Gäste versammelt, die der Zeremonie beizuwohnen gedachten: Verschiedene Offiziere des Bombardenregiments und einige gerade in der Stadt weilende Landadlige, darunter der Edle Riman und der Wegevogt der Provinz, Rudegar von Alding. Der einzige Anwesende, der für den zu Belehnenden wirklich zählte, war Baron Zivko von Zackenberg, sein Gönner und Förderer, der in Begleitung einiger Offiziere seines Stabes erschienen war. Neben dem Heermeister stand, ein wenig verschüchtert, dessen Enkelin Leonore zusammen mit ihrem Kindermädchen Janne und - Fredegard von Hauberach. Die beiden Letztgenannten schienen in einem angeregten Gespräch vertieft, doch kaum wurde die Adlige des Obersts gewahr, schenkte sie ihm ein strahlendes Lächeln, was dieser jedoch eher als das Zähnefletschen einer beißwütigen Dogge interpretierte. Es wäre ja auch zu viel des Glücks gewesen, wenn dieses Weib daheimgeblieben oder, besser noch, auf dem Weg hierhin von einer Kutsche überfahren worden wäre!
Siegerain straffte sich, atmete tief durch und stürzte sich dann in die "Schlacht". Diese bestand für ihn hauptsächlich darin, ein freundliches Gesicht aufzusetzen und mit den Versammelten bei einigen geistigen Getränken eine freundliche Plauderei, egal wie belanglos und langweilig sie - Anwesende wie Gespräche - auch sein mochten.
Die Unterhaltungen erstarben schlagartig, als sich die zweiflüglige Haupttür öffnete und Zordan von Rabicum in Begleitung des Herolds, eines Geweihten des Praios sowie eines Pagen, der die Markgrafenkrone trug, gemessenen Schrittes eintrat.
Mit würdiger Miene nahm er vom Herold eine Ledermappe entgegen, schlug sie auf und las mit geschäftsmäßiger, aus Siegerains Sicht beinahe gelangweilt wirkender Stimme aus einem Schreiben vor, wonach es seiner Erlaucht Rondrigan Paligan gefallen habe, Siegerain Amando Welferich von Bregelsaum-Berg ob seiner vielen Verdienste zum Landjunker zu erheben und ihm das Edlentum Schlicken als Vasallenlehen zuzuweisen, mit einigen Rechtmeilen Land als Eigengut. Damit verbunden sei die Maßgabe, dem Herold alsbald den Namen des neuen Junkertums samt Wappen zwecks Eintrags in das Adelsregister mitzuteilen.
Siegerain nickte kurz und wollte noch etwas hinzufügen, doch ließ ihn der Seneschall gar nicht erst zu Wort kommen, sondern fuhr rasch damit fort, den zu schwörenden Lehenseid zu verlesen. Ein wenig überrumpelt ob Zordans Eile brauchte der Oberst ein paar Sekunden, bis er sich gesammelt und den Eid mehr oder minder feierlich abgelegt hatte, dabei vor der Krone als Symbol der Provinz auf die Knie gehend. Kaum hatte er sich wieder erhoben, händigte ihm der Seneschall die recht aufwendig gestaltete Belehnungsurkunde aus und forderte nun den Edlen von Schlicken auf, seinerseits Siegerain den Lehenseid zu schwören, was dieser mit einer leicht verdrießlichen Miene auch tat. Nach einem abschließenden Segen des Geweihten verabschiedete sich Zordan ob anderer wichtiger Verpflichtungen und verließ mit seinen Begleitern zügig den Raum.
Der frischgebackene Junker war verblüfft. Verblüfft und schockiert. Selbst die Beförderung eines Weibels verlief für gewöhnlich mit mehr Würde und weniger Hast; so hatte er sich das alles nicht vorgestellt! Mit einem leicht gezwungenen Lächeln nahm er die Glückwünsche der Anwesenden entgegen und führte mit ihnen noch die eine oder andere Unterhaltung, wobei sich Riman von Greifenwacht aber schon nach wenigen Minuten ebenfalls entschuldigte, da ihm nicht wohl sei.
Dann kaum auch noch diese alte Vettel Fredegard auf ihn zu. Womit hatte er das alles bloß verdient?
"Noch einmal meine aufrichtigen Glückwünsche zu Eurer Erhebung, mein lieber Siegerain! Euer Aufstieg ist, nun ja, einfach unglaublich und ich freue mich, meinen bescheidenen Teil vor einiger Zeit dazu beigetragen gehabt haben zu dürfen. Und bei nächster Gelegenheit müsst Ihr mir und meiner Enkelin unbedingt Euer Heim zeigen; ich bin sicher es ist großartig. Doch nun entschuldigt mich, auf mich warten noch weitere Verabredungen."
"Gewiss doch.", antwortete der Oberst leicht gequält, "Ich sehe einem Wiedersehen ebenfalls mit großer Vorfreude entgegen."
Der Abgang Fredegards schien wohl den allgemeinen Aufbruch einzuläuten, denn kurz darauf empfahlen sich auch die übrigen Gäste beinahe im Minutentakt wegen anderweitiger Verpflichtungen. Nach weniger als einer Stunde war bereits alles vorbei.
"Was für ein Tag!", konstatierte Siegerain bitter. Dann sah er die beiden vollen Weinflaschen auf der Anrichte, zuckte kurz mit den Achseln und packte eine in die Dokumentenrolle, in die er zuvor bereits seine Belehnungsurkunde verstaut hatte und verbarg die andere unter seinem Wappenrock.
Heute Abend würde er mit sich selbst feiern müssen und an den Markgrafen denken, aus dessen Keller die edlen Tropfen stammte. "Was für ein Tag!" wiederholte er und verließ nun ebenfalls die Markgräfliche Residenz.
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