Geschichten:Lisande und Leomar - Gute Kunde, böse Kunde
Lisande und Leomar - Gute Kunde, böse Kunde
9. Firun 1045 BF, Villa Geldana, am späten Abend
Dramatis personae:
Merisa von Weyringhaus-Rabenmund
Leomar von Weyringhaus-Ruchin, ihr Enkel
Lisande von Keilholtz, Ritterin
Ardo von Keilholtz, Baron von Kressenburg
Merisa legte seufzend das Stickzeug beiseite. Kurz hatte sie den Eindruck, dass ihr Atem sich zu weißen Schwaden formte – aber ganz so kalt und ungemütlich war es in den Mauern der Villa Geldana dann doch nicht. Mit der Handarbeit hatte sie sich ein wenig beschäftigen und ablenken wollen, während ihr Gatte beim Krongericht zur Urteilsverkündung weilte. Am Morgen war der Burggraf voller Zuversicht aufgebrochen. Schon seit einigen Tagen pfiffen es die Kinder des Spatzenkönigs von den Dächern: für Leomar von Weyringhaus-Ruchin würde es einen Freispruch geben, und für Lisande von Keilholtz gleichermaßen. Für Prinz Sigman sah es vor den Schranken des Gerichts weniger gut aus – aber da hatte Oldebor vorgesorgt und ein Gnadengesuch an Kaiserin Rohaja gerichtet, das neben seiner noch gut ein Dutzend weiterer Unterschriften aus dem Adel trug. Es würde schon alles gutgehen.
Sie hatte sich eben nicht verhört. Aus dem Vorraum erklangen gedämpfte Stimmen, offenbar war ihr Gatte nun zurück. Vielleicht hatte er seinen Enkel und dessen Herzensdame gleich mitgebracht. Neugierig sah Merisa zur Tür, die gerade von der Dienstmagd geöffnet wurde – und tatsächlich erkannte sie sogleich den jungen Mann, der als erster eintrat.
„Leomar!“, rief sie überglücklich und sprang geradezu aus ihrem Sessel auf. Das rote Garnknäuel purzelte von ihrem Schoß auf den Boden und rollte noch ein Stück über den Teppich, eine feine Fadenspur hinterlassend. Mit ausgebreiteten Armen stand Merisa da, bereit für die Umarmung ihres Enkelsohns. Dass er Hand in Hand mit einer hübschen jungen Ritterin den Salon betreten hatte, steigerte die Freude der Burggräfin noch. Auch diesen Gast – das musste doch Lisande sein! – bedachte sie mit einem herzlichen Lächeln. Dann aber fiel ihr auf, dass die beiden jungen Leute dieses Lächeln nicht erwiderten, obwohl sie doch allen Grund dazu haben müssten. Die wortlose Umarmung durch Leomar fühlte sich auch etwas anders an als erwartet. Die Monate der Kerkerhaft hatten an ihm gezehrt, aber das allein war es nicht. Die Art, wie er seine Großmutter in die Arme schloss, sprach nicht allein von Freude über das glückliche Wiedersehen. Ihr Enkel hatte sich ein wenig zu ihr herabgebeugt, um sie umarmen zu können. So konnte sie wiederum über seine Schulter zu Jungfer Lisande blicken, die mit unsicherer Geste die Hände vor dem Leib gefaltet hielt. Und von dort ging ihr Blick zur Tür, wo noch jemand eingetreten war und sich nun bedächtig räusperte. Es war nicht ihr Gatte, ihr Oldebor. Es war Ardo von Keilholtz.
„Alle guten Götter zum Gruße, Frau Merisa“, sagte er mit belegter Stimme. „Ihr seht die frohe Kunde. Aber ich muss Euch auch traurige Kunde bringen.“
(Einige Zeit später ...)
Die erste Fassungslosigkeit war gewichen, der erste Tränenstrom versiegt. Merisa saß wieder in ihrem angestammten Sessel, die faltigen Hände kneteten ein Taschentuch in ihrem Schoß. Leomar hockte neben ihr auf dem Boden, eine Hand tröstend auf ihr Knie gelegt, obwohl er selbst den Tränen nahe war. Lisande stand hinter ihm, hielt in an der Schulter fest.
Ardo hatte sich einen Stuhl genommen und sich gegenüber der Gattin … der Witwe des Burggrafen hingesetzt. „Ich hoffe, dass es ein wenig Trost für Euch ist, Frau Merisa“, suchte er nach Worten, „aber seine letzten Gedanken, seine letzten Worte galten Euch. Ich habe sie selbst vernommen. ‚Merisa … unsere Reise …‘, sagte er.“
Einen Augenblick lang schien es, als habe die Angesprochene die Worte gar nicht gehört. Doch dann hob sie langsam den Kopf, schaute zum Fenster in die Winternacht hinaus. „Unsere Reise“, wisperte sie, und auf ihre Lippen stahl sich ein wehmütiges Lächeln. Und wieder flossen die Tränen.
◅ | Hoffnungsschimmer |
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