Geschichten:Auf Reshminas Spuren - Teil 8

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Auf dem Weg zum palastartigen Sitz des Eslam von Brendiltal wurde nicht mehr viel geredet. Vielmehr schlug man ein zügiges Tempo an, um die Strecke schnell hinter sich zu bringen. Als sie schließlich durch das Tor des Hauses „der Herren der Pferde“ ritten kamen sie auf einen Innenhof, in dessen Mitte ein großer Springbrunnen stand. In der Mitte des Brunnens befand sich Statue, die eine lieblich, anmutig aussehende junge Frau darstellte, um die herum – an Rand des Brunnen – neun lebensechte, schwarze Pantherfiguren in den verschiedenen Haltungen kauerten, sprangen, saßen und rannten.

Rahja, bewacht von Kor, schoß es Aldron durch den Kopf, gerade so wie es auch seinem Bruder erging als dieser vor Jahren den Brunnen zum ersten Mal betrachtet hatte.

„Du huost Glick Aldron, Simold, där Marbän von Hassa’a Amaijan ist zur Zaidt ebenfalls anwäsend.“ Von Firunslicht wusste, dass das umgangssprachliche ‚Du’ statt dem ‚Ihr’ oder ‚Euch’ keinesfalls respektlos ihm gegenüber war, sondern dass es bei den Nebachoten eben nicht anders war, da sie in ihrer Sprache kein Wort dafür hatten. „Kuomm, ich bringä Disch glaich zu ihnän.“

Ra’oul übergab die Zügel seines Hengstes einem der herbeieilenden Pferdeburschen und wartete kurz, bis auch Aldron und Jarin abgestiegen und ihre Pferde an die Knechte übergeben hatten.

Der Baronet führte die Gäste durch den Palas hindurch und wieder an einer Seitentür hinaus in den Garten. Die beiden Krieger, die sie noch während des Rittes begleitet hatten, waren auf dem Hof zurückgeblieben. Während die drei durch die Licht durchfluteten, hellen Gänge mit den reich verzierten Wandteppichen und kostbaren Gemälden liefen – sogar der Boden war mit weichen Teppichen ausgestattet, die ein angenehmes, warmes Gefühl beim Laufen erzeugte – zog Ra’oul seinen Helm aus und übergab diesen einen Diener, der ihnen daraufhin unauffällig folgte.

Der Garten selbst war sehr groß und mit bunten Blumen, grünen Wiesen und großen Bäumen angelegt, die dazu einluden in ihren Schatten zu liegen und die Sonne zu genießen. Vom hinteren Teil her konnten die drei ausgelassenes Lachen von jungen Mädchen und Frauen vernehmen und als sich Jarin in diese Richtung umdrehte konnte er mehrere Mädchen – nach nebachotisch, tulamidischer Mode – leicht bekleidet sehen, wie sie sich einen kleinen Ball zuwarfen und dabei um einen Pavillon liefen.

Ra’oul führte sie allerdings noch ein Stück weiter, zu einem kleinen Platz umgeben von mehreren Obstbüschen. Auf dem kleinen Platz standen 3 herrliche Rösser, die jeweils von einem Knecht am Zügel gehalten wurden, während Simold und Eslam die Pferde begutachteten und anscheinend eifrig über deren Qualitäten diskutierten. Einer der Knechte, jener der in der Mitte stand, sah sehr mitgenommen aus. Die Pferde schienen ein reges Interesse an seiner Kleidung zu haben. Zumindest war diese an mehreren Stellen bereits eingerissen und ein Stück Stoff hing einem der Pferde halb aus dem Maul heraus.

Die beiden Barone waren so in ihrer Faszination für die Pferde vertieft, dass sie die Neuankömmlinge erst gar nicht zu bemerken schienen. Erst als Ra’oul sie ansprach, drehten sie sich zu ihnen um.

Aldron erkannte Eslam sofort. Der Brendiltaler schien zwar einige graue Haare mehr bekommen zu haben, machte ansonsten aber immer noch den Eindruck eines Kriegers in den besten Jahren.

„Ah Aldron,“ begrüßte er von Firunslicht schließlich auch, kam auf ihn zu und gab ihm den nebachotischen Begrüßungskuss auf die Wange. „Wuos bringdt Disch vom Pass här in duas schene Beshir’a Danal?“ Eslam schien wirklich guter Laune zu sein, hatte Aldron doch auch schon ganz andere Begrüßungen von gerade diesem Baron kennengelernt. Eslam selbst war recht einfach bekleidet. Lediglich ein reich verzierter Gürtel betonte ansonsten sein weites, bis zum Bauch offenes Hemd.

Auf den Wink des Barons hin eilten einige Diener herbei, die den Gästen Schalen mit Wasser, sowie einige saubere Tücher zum Abtrocknen reichten, bevor sie ihnen schließlich einige Pokale mit leichtem Wein servierten. „Sichärlisch wuollt ihr eusch ärst ainmal frisch machen.“ Aldron nahm das Angebot von Wasser und Tüchern nach dem langen Ritt nur zu gerne an. „Traviadank für die freundliche Aufnahme, Eslam.“ Aldron hob kurz das Trinkgefäß zum Gruß gen Simold und Eslam.

Währenddessen deutete Eslam auch auf Simold und stellte diesen kurz vor. „Simold, dän Marbän von Hassa’a Amaijan kennst Du sischärlich schon.“ Noch während sie sprachen piesackten die Pferde wieder den besagten Knecht. Zerrten und rupften an dessen Kleidung und auch Haaren. Doch anstatt dass der Knecht Hilfe bekam, bekam er einen Klaps von Ra’oul auf den Hinterkopf und die Anweisung, nicht so rumzuzappeln, sondern die Pferde still zu halten. Mit zerknittertem Gesicht gelobte der Knecht Besserung und hoffte, dass die Barone, oder Marben wie es auf Nebachotisch hieß bald ihre Musterung der Pferde abgeschlossen haben würden.

Aldrons Geschmack waren die Tiere nicht. Er hatte ihr Temperament und ihre Wendigkeit schon aufs Äußerste geprobt gesehen und wusste um die Qualitäten des Schlages. Dennoch zeugte gerade das Verhalten dieser Exemplare davon, dass sie nicht zum Turnier geeignet waren. Vielleicht würde Leodane ein solches Tier zusagen. Sie liebte andere Herausforderungen als er selbst. Wenn seine Mission erfolgreich verliefe, wollte er noch einmal darüber nachdenken.

Kurz nickte er Simold zu, als er Eslam antwortete. „Wir kennen uns allenfalls flüchtig. Aber es ist ein glücklicher Umstand, dass ich sowohl Brendiltal als auch Haselhain hier antreffe. Mein Anliegen betrifft beide Lande.“ Er nahm noch einen Schluck und gab den Becher an einen der Diener zurück. „Ich wurde beauftragt, die bei der Flut weggeschwemmten Grenzsteine in dieser Gegend neu ausmessen zu lassen und dabei zu prüfen, wie genau die verschiedenen vorhandenen Karten und Beschreibungen zusammenfallen und den Gegebenheiten entsprechen. Die Höflichkeit gebietet es, bei den Herren der betroffenen Lande vorstellig zu werden. Ich hoffe auch auf eure Unterstützung bei diesem Vorhaben.“

Simold hatte Aldron freundlich zugenickt, ohne dabei distanziert zu wirken. Sein Lächeln hießen den Neu-Perricumer willkommen, wie einen vertrauten Menschen, nicht wie einen offiziell Bestellten der ‚Markgräfin’.

Mit den Worten: „Dann hoffän wir, dass Ihr die Staynä auch richtig wiedär platzierdt, Hochgeboren“, überreichte er dem Mittelländer einen gläsernen Becher klaren Wassers, in dem – aufgewühlt vom kürzlichen Einschank – Früchte und Blüten schwammen. Die rasch abkühlende Oberfläche des Bechers beschlug mit Tau und fing sogleich an zu tropfen. „Sichär dürstet es Eusch immer noch ein wänig.“ Entgegnete der Haselhainer Baron mit weit weniger Akzent, aber einer deutlich rollenden Aussprache, die mit ihren lang gezogenen und dann wieder verschliffenen Enden ihren angenehmen akustischen Reiz nicht vermissen ließ.

Aldron nahm den angebotenen Becher entgegen, trank aber noch nicht sofort. Den schlimmsten Durst hatte der vorab gereichte Wein schon gelöscht. „Habt Dank. Ich bin mir sicher, dass das Unterfangen erfolgreich sein wird. Ich habe einen angesehenen Kartographen aus Perricum in meinem Gefolge, der sein Handwerk versteht, und werde die anstehende Aufgabe mit gebotener Gewissenhaftigkeit angehen.“, versuchte der Firunslicht eventuelle Bedenken des Haselhainer Barons zu entkräften.

„Mein Freund Eslam hat mir viel von Euch erzählt... Meine Reitär auch. Viele habän vor Jahren Eslam begleität, als er hinauff zum Arvepahs gerittän ist... Ihr müssdt mir verzeihän, dass Aufgrund der nur spärlich zurückgäkommenän Schar meiner einst losgesannten Korosan ich trotzdem sähr wänig iebär Euch weiß. Ihr müsst mir einigäs erzählen.“ Und machte dabei eine einladende Geste in den Schatten einer großen und korkigen Flachsweide zu treten – ganz so als wäre er und nicht Eslam der Hausherr.

Noch während Aldron der einladenden Geste folgte, dabei wohl darauf bedacht, dass auch Eslam mit ihnen kam, erwiderte er mit etwas düsterem Unterton in der Stimme. „Die Verluste waren hoch. Aber gemessen an dem geringen Anteil an Gardetruppen, der uns in jener Schlacht zur Verfügung stand, nicht vermeidbar. Der Feind in diesem Krieg kämpfte nie nach den Geboten der Götter.“ Er machte eine kurze Pause und sah zum zerfurchten Stamm des Baumes hinüber, ließ seine Blicke über die Borke wandern und erklärte dann grimmig. „Er wird dafür seinen gerechten Lohn bekommen. Mit dem Weichen des letzten Winters habe ich nun auch endlich die Reste der Schergen des Totenschänders Lucardus um den Arvepass herum tilgen können, das wohl.“

Mit den letzten, seinem langen Aufenthalt am Hofe Ragnars der Roten von Zweimühlen-Zwerch geschuldeten Worten sah er wieder zu den beiden Baronen hinüber. „Ich bin kein Mann, der viel Aufhebens um sich macht, sondern erfülle die Pflicht, die mir Ehre, Stand und Gottesfurcht auferlegen. Falls ihr Fragen habt, stehe ich jedoch zur Verfügung, Hochgeboren.“

Nachdem Eslam Ra’oul ein paar Zeichen gegeben hatte, dass jener sich um die Rösser kümmern möge, schloss er sich den anderen unter der Flachsweide an. „Das sindt doch gute Neuigkäiten vom Pass.“ Kommentierte der ältere der beiden Marbens. „Und wägen den Stainen, wuos machdt ihr da so einen Wind? Fragt uns doch einfach. Wir wissen wo die Gränzen verlaufän. Da brauch kainen Kargo… Karpo… Keinen Gelehrten aus der großen Stuadt fir.“


Eslam schien noch immer guter Laune zu sein, doch schlich sich langsam ein gewisser Unterton in seine Stimme, die dem geschulten Ohr verdeutlichten, dass er – je länger er darüber nachdenken würde – es immer weniger gutheißen würde, dass jemand ‚seine’ Grenzen neu abstecken möchte.

„Stimmt,“ entgegnete Simold. „Grenzstayne setzän hat einä jahrtausendä altä Tradition in Pärricum“. „Ich bin mir Sichär, dass die ortsansässigen Bauern sichär gerne helfen,“ winkte er einen von Eslams Leuten heran, um ihm in schnellem lokalen Dialekt sogleich aufzutragen, dass man in den betreffenden Weilern bescheid gibt.

Noch während sie Sprachen, wurde das Lachen und die fröhlichen Rufe der Mädchen lauter. Jarin konnte sehen, dass die Mädchen sich in ihrem ausgelassenen Ballspielen der kleinen Gruppe näherten.

Simold leerte genüsslich seinen graugrünen gläsernen Becher, um sich sogleich selbst nachzuschenken und aus einem verziertem dickwandigen Holzkästchen Eisstückchen !!! hinzuzugeben.

Nachdem der frisch ernannte Bote zu der Gruppe Bediensteter zurückgegangen war, brach dort leises und heißeres Gelächter aus, das noch einmal kurz Anschwoll, als Simold dem Boten einen freundlichen auffordernden Wink gab, doch zu tun, wie man ihm geheißen hat.’

„Äs.. äs iest nischt die Erstä Vermässungk in Pärricum,“ hustete Simold kurz. „Die baydän lätzten Vermessungs-Gruppän ereiltä ein eigenartigäs Schicksal.“ Die erstä Gruppä war zu meinän Kindertagän unterwägs, die Grenzän zu vermessän... Sie wurdän nie wiedär gesehän, obwohl man davon berichtät, dass der Katograph Jahre spätär angeblich eine Rieslandkartä herausbrachtä. Dier zweitä Gruppä war vor ungefährr zähn Jahrän unterwägs. Einäs Nachts sollän Sie von den Geistärn der letztän Schlacht (anm: Schlacht am Darapatbogen) heimgesucht worden sein, die eifersiechtig übär die altän Gränzstayne wachän...Also kein Wundär, dass man Eusch, mein liebär Aldron beauftragt hat...Zu Euräm Schutz und damit Ihrr mit den Ortsansässigen bessär zurecht kommt, werde ich Euch zwei Reiter mitgeben, die sich auch gut auskennen – es macht mir kaynä Umstände und ich duldä da keinen Widerspruch.

„Undt ainige meinär Ammayin sind ja schon bei Dainän Leutän Aldron, die wärdän auch hälfen.“ Fügte Eslam trocken hinzu. „Du kannst Dainän Korog… Lornogra… Pornograph.. Na äben den Kärl aus der Stuadt wiedär nach Hause oder nach Rashia’Hal schickän.“

„Ich danke euch für die großzügige Hilfe. Darauf hatte ich gehofft.“ Aldron nickte beiden ernst aber freundlich zu. Seine wie immer nüchterne und beherrschte Miene ließ indes keinen Rückschluss zu, wie weit er über die Motive der Barone sich ein Bild gemacht hatte. „Nichts liegt mir ferner als euer Angebot auszuschlagen. Aber ich kann wohl kaum guten Gewissens die von euch angebotene Hilfe annehmen und die des Nachbarn ausschlagen… der Landvermesser ist ja nicht in meinem Sold sondern wird aus der Schatulle der Perinmarschen bezahlt. Aber ich bin mir sicher, dass wir mit vereinten Kräften, dem tatkräftigen Einsatz eurer Krieger, den Vermessern und den Aussagen der Alteingesessenen in Eslamsgrund, Haselhain und Perinmarsch die althergebrachten und überlieferten Grenzen finden und bestätigen werden.“ Auch um eine kurze Pause zu erzielen, trank Aldron einen Schluck. Sein Blick fiel auf seinen Knappen, der fasziniert irgendetwas hinter Aldrons Rücken beobachtete. Lachen und Kichern verriet dem Firunslichter schnell, was den Jungen Mann wohl so faszinierte. Sich wieder auf das Gespräch konzentrierend setzte Aldron dann noch hinzu. „Und ich bin darob auch recht zuversichtlich, dass niemand Grund hat, sich ins Riesland abzusetzen.“

Eslam verzog bei den Ausführungen des Landvogtes das Gesicht. Wieso mussten die ‚Raulschen’ immer alles so komplizieren? Missmutig verflog langsam seine gute Stimmung. „Was will där Al’Marbän? Glaubdt är etwa wir habän das Zählen verlähndt? Odär wir wissän nischt mähr wo wir unsere Steuärn härbekommen?“ Grimmig drehte er sich zu einem seiner Diener um, der zaghaft versuchte die Aufmerksamkeit seines Marbens auf sich zu ziehen. Als ihm dies schließlich geglückt war, sah er nicht mehr glücklich aus. „Äh, äs ist alles angerichtät, Marbän.“ Jammerte er fast unterwürfig.

„Und was stähen wir uns dann noch die Baine in dän Bauch?“, ließ Eslam seinen aufkommenden Zorn an dem Diener aus. Wieder an Simold, Aldron und Jarin gewandt fuhr er ungehindert brummig fort. „Kommt, nach däm Ritt wärdet ihr sichär etwäs ruhän und ässen wollen.“ Damit ging der ältere der nebachotischen Barone an den anderen vorbei in Richtung eines schmucken, weißen Pavillons. Innerlich etwas erleichtert, vorerst einer Antwort auf Eslams letzte Frage enthoben worden zu sein, schloss Aldron sich diesem an. Innerhalb des Pavillons waren mehrere Kissen und Decken auf dem Boden verteilt, so dass sich alle – nach nebachotischem (tulamidischem) Stil - auf dem Boden bequem machen konnte. In der Mitte des Pavillons stand ein niedriger Tisch, der über und über mit den saftigsten Früchten, erlesenen Gerichten und süßesten Früchten bedeckt war. Am Rande des Tisches standen einzelne Teller aus Porzellan, Weinpokale aus Kristall und Besteck aus Gold und Silber. Während der äußere Teil des Tisches fest fixiert war, konnte man den inneren Teil mit den Früchten, Gerichten und Gebäcken drehen, so dass ein jeder sich seine Wünsche erfüllen konnte. Für Wasser, Wein, Tee, Fruchtsäfte (!) und sogar Met aus den Nordmarken war ebenfalls auf einem separaten Tisch gesorgt, vor dem ein Diener stand der den Herrschaften einschenken würde. „Kommdt und sätzt eusch!“ Lud Eslam die anderen ein.

Es war dieser Moment als Jarin plötzlich einen Schlag an der Brust spürte. Instinktiv hob er etwas seine Hände und fing damit einen – von seiner Brust abgeprallten – Ball auf.

„Oh wir haben Gäste?“, hörte der Knappe daraufhin eine liebliche Frauenstimme rufen. Als er in die Richtung blickte aus der die Stimme kam, sah er, dass die Mädchen bei ihrem Spiel inne hielten und auf sie zukamen. Das Mädchen, das ihm am nächsten war und angesprochen hatte, mochte so um die 17 Götterläufe alt sein. Ihr langes schwarzes Haar fiel ihr in wilden Locken über die Schultern und wurde von einem silbernen Diadem aus der Stirn gehalten. Ihr brauner Körper wurde nur spärlich von den durchscheinenden, leichten Stoffen bedeckt. Ihr bauch- und ärmelfreies Oberteil brachte ihre Brüste voll zur Geltung. Durch die leichten Stoffe konnte Jarin die braunen Knospen erkennen. Die langen Beine steckten in weiten Pluderhosen, aus ähnlichem Stoff, während die Füße in zierlichen Schühchen steckten. „Ich bin Ayla“, schnurrte sie Jarin an und musterte ihn aus großen, braunen Augen.

„Jarin.“, kam die zuerst etwas heisere Antwort des jungen Mannes, der sich dann erst einmal räusperte und schließlich etwas sicherer ergänzte: „Jarin Leomar von Birkenbruch. Ich bin mit meinem Knappenvater, Herrn Aldron von Firunslicht, Gast hier.“ Kurz deutete er auf den Ritter mittleren Alters, der es sich gerade neben dem Marben auf einem der Kissen bequem machte und sein Schwert neben diesem ablegte, um sich nicht zu behindern. Als er sich wieder zu Ayla umwandte, lag ein Lächeln auf seinem Gesicht, in dem bereits ein Bart spross und verriet, dass die Schwertleite nicht mehr zu fern sein konnte. Souverän und aufrecht hatte er schon jetzt etwas von ritterlichem Stolz an sich, als er mit einer Hand den Ball zurückreichte. „Ich glaube, das ist eures.“

Was er nicht gewahr wurde, war, dass sein Lehrherr ihn derweil beobachtete von seinem Platz aus. Dann aber wandte sich Aldron wieder dem Gastgeber zu. „Ihr könnt euch sehr glücklich schätzen, die Götter meinen es offenbar gut mit euch, Eslam han Beshir’a Danal.“ Als der Diener ihn fragte, deutete Aldron an, einen Wein eingeschenkt bekommen zu wollen und nahm den ihm darauf gereichten Pokal entgegen.

„Oh, Ihr habt ihn für mich gefangen, Jarin.“ Alya kam einen weiteren Schritt auf den Knappen zu und hörte sich an, als habe Jarin soeben eine Heldentat verübt, die die Taten des Heiligen Leomar in die Schatten stellen würde. „Wie ich sehe wisst ihr mit Bällen umzugehen.“ Das Mädchen schnurrte Jarin an, nahm die Hand mit dem Ball, die Jarin ihr entgegenstreckte in die ihre und hielt sie wie einen Schatz fest.

Derweilen zuckte Eslam nur mit den Schultern. Anscheinend waren die Umstände, die Aldron dazu brachten ihn zu beglückwünschen für Eslam nichts Besonderes. Vielmehr schien es so, als würde er die Mädchen als gegeben ansehen, als eine Tatsache die eben so war und die er – ganz wie eine Pflicht als Marben – eben nicht in Frage stellte. Es amüsierte den älteren Nebachoten ein wenig, wie Jarin bei Ayla ins Stottern kam und brachte Eslam schließlich aus seiner verärgerten Stimmung. „Isch habä nur das, wuas die Gettär fir mich vorgesähen haben Aldron.“ Mit diesen Worten prostete er dem Neuperricumer zu, bevor er sich an Ayla wand. „Ayla, luaß die Hand des Klainän in Ruhe. Ballspielän kannst Du später noch mit ihm. Siehst Du nischt, das unserä Gäste hunrig und durstig sind?“ Schmollend ließ Ayla Jarins Hand los, doch bevor sie sich umdrehen konnte, waren auch die anderen Mädchen heran. Sie waren alle zwsichen 17 und 25 Götterläufe alt und trugen ähnliche Kleidung wie auch Ayla sie trug. Die Mädchen verstanden den Tadel Eslams als Aufforderung und gesellten sich zugleich zu der kleinen Gruppe Männer. Drei der Mädchen setzten sich zu Aldron, drei zu Simold und Ayla zu Jarin. Sie nahmen den Bediensteten die Arbeit ab, indem sie dafür Sorge trugen, dass die Pokale niemals leer wurden, oder Trauben und weitere Köstlichkeiten reichten. Zudem fing jeweils eines der Mädchen an die Gäste zu massieren. Sorgfältig begannen sie den beiden jene wenigen Stellen zu massieren, die von Kettenhemden unbedeckt waren. Zuerst spannte sich Aldron einen Augenblick etwas an, dann jedoch ließ er sich die Behandlung so gefallen wie sein Knappe es tat, der in solchen Dingen offenbar unverkrampfter war. Nacken und Arme des Mittvierzigers konnten die Behandlung sicherlich gut gebrauchen. Die Neuperricumer merkten schnell, dass die Mädchen wussten was sie da so gekonnt taten, und entspannten sich sichtlich, auch wenn sich die Falte nicht vollständig aus der Stirn Aldrons zurückzog. Schließlich schien es Eslam zu bunt zu werden und klatschte in die Hände. „He! Ich bin där Haush’ärr hier.“ Von Simold erhob sich daraufhin eines der Mädchen und von Aldron zwei, die sich dann jeweils um den Brendiltaler kümmerten.

Aldron nahm dies zum Anlass, das einen Augenblick verstummte Gespräch wieder aufzunehmen. „Sicherlich, jeder hat nur das, was die Götter ihm derzeit zugestehen. Aber nichts ist unveränderlich.“ Langsam ließ er sich in das große Sitzkissen zurücksinken, den Weinpokal immer noch in der Hand. „Bis ins untere Darpattal ist die letzten Jahre kaum ein Feind gekommen, während allenthalben das Reich verheert wurde. Niemand weiß besser als wir, dass sie es durchaus mehrmals versucht haben, bis hier durchzudringen, erfolglos. Ich denke, wer auch immer es plant in Zukunft, wird es noch schwerer haben, wenn wir geeint stehen. Im Gegensatz zur Zersplitterung des Fürstentums war die Zusammenführung der Markgrafschaft ein geschickter Zug ihrer kaiserlichen Majestät.“ Zum Abschluss seiner Worte nahm er einen weiteren Schluck aus seinem Trinkgefäß und stellte es dann neben sich auf dem Boden ab.

Erneut zurckte Eslam mit den Schultern. „Ich haltä nicht viel davon.“ Brummte er kurz. „Mainetwägen hätten sie dän Nordän aiegnständig lassen kennen. Wuas hätte das geändert? Wir hätten immer geholfän den Kampf aus unseräm Land heraus zu haltän.“ Aldron nickte kurz. „Das wohl. Dass in der Not beiderseits des Darpat mit Waffen beigesprungen wurde, ist keine Neuheit. Aber die Wege sind kürzer und Entscheidungen werden nicht mehr an zwei Orten getroffen.“ Bei diesen Worten, zuckte Eslam kurz mit den Mundwinkeln. Für ihn war es oftmals egal wie andere entscheiden würden, oder entschieden hatte. Er hatte oftmals einfach gehandelt, ohne seine Lehensherren um Erlaubnis zu fragen. Eine Angewohnheit, die ihm schon so manche Unannehmlichkeit einbrachte. Jedoch unterbrach er Aldron nicht, sondern ließ ihn weiter fortfahren. „Die Markgrafschaft wird von zwei Gebirgszügen, dem Meer und der Reichsgrenze zu Aranien eingeschlossen. Derographisch bildet sie also schon lange eine Einheit. Gareth und Rommilys waren stets fern. Perricum liegt nahe, sowohl vom Pass aus gesehen als auch von den vorherig schon perricumschen Landen. Von der rechtlichen und organisatorischen Seite wird in Zukunft einiges einfacher sein, auch und gerade im Fall einer Waffenhilfe, denn früher war doch alles dadurch gehemmt, dass südlich des Darpat das Wort der Königin in Gareth galt und nördlich jenes der Fürstin in Rommilys. Heute sind wir dem Recht nach einig und können uns im Streitfall direkt nach Perricum wenden, ohne an die Kaiserin herantreten zu müssen, die ja eher im Westen des Reiches weilt derzeit.“ Aldron griff nach seinem Becher und hielt ihn hoch um zu bedeuten, dass er noch einen Schluck vertragen könnte. Für seine Verhältnisse wirkte er dabei inzwischen sogar recht entspannt. „Es steht jedem frei, sich eine eigene Meinung zu halten, aber ich sehe kaum Nachteile darin, nicht mehr Gareth oder gar Elenvina direkt ausgeliefert zu sein. Mit der Markgrafschaft haben wir hier die Möglichkeit, uns aufs Wesentliche konzentrieren zu können. Und Perricum ist stark und nicht abhängig von anderen. Ein Vorteil, den seine Erlaucht Gernot kaum hat.“ Kurz nickte er dem Diener zu, der ihm inzwischen zu seinem Wein verholfen hatte und führte sein Trinkgefäß zum Mund. „Ja, Pärricum ist stuark.“ Knurrte Eslam. „Ihr habdt gutä Arbeit am Pass ge’leistet und die schwarzän Schärgen von unserän Landän fern gehalten. Und dennoch, bei all der Neuvertailung wurdä jedär bericksichtigt nur wir nicht. Wir Nebachotän finden nirgends Gehör. Unsäre Stammäsgebietä wärden mißachtet und neuä Gränzen gezogen, aber kämpfen und stärben dirfän wir überall. Wieso hat die Kaisärin nicht die Gränzen Nebachots wiedär hergestellt, wenn ihr soviel an einem starken Land liegt? Pah.“ Es war ersichtlich, dass der Baron über das Thema deutlich zweitgeteilt war. Auf der einen Seite – so schien es – stimmte auch er den Ansichten Aldron zu, dass die ‚Wege‘ kürzer geworden sind, doch auf der anderen Seite war er verstimmt, dass es immer noch die raulschen Straßen und nicht die nebachotischen Pfade waren, denen man folgte.

In gewisser Weise konnte der fürstliche Offizier in Aldron das Leid seines südlichen Nachbarn nur zu gut verstehen. Er selbst machte keinen Hehl daraus, dass einige der in der Ochsenbluter Urkunde niedergelegten Punkte nicht seinen Zuspruch fanden. Dennoch, als er seinen Pokal wieder auf dem Boden absetzte und Eslam ansah, fand er andere Worte. „Äußere Grenzen verschieben sich. Nebachot, Bosparan und Gareth sind gefallen. Wichtig ist, dass die Grenzen im Inneren eines Menschen nicht fallen. Die, die ihn von der Verderbnis trennen, die nicht nur nach unserem Land giert. Aranien ist nicht unser Feind, Eslam, nicht jetzt.“

„Har, har..“ Der nebachotische Baron musste bei Aldrons letztem Satz laut lachen. „Stimmdt, unsär faindt ist äs sischär nicht, äs gehehrt ja aigentlich zu uns.“ Damit war auch die Stimmung in der Runde wieder gelockerter. Zudem taten die Mädchen ihr bestes, um die edlen Herrschaften abzulenken und auf andere Gedanken zu bringen. So verlief denn auch den restliche Nachmittag und Abend sehr entspannend. Neben Wasserpfeife, auserlesenen Früchten und kühlen Getränken, gab es auch noch unterhaltende Einlagen zu sehen.

Nachdem Eslam zweimal in die Hände geklatscht hatte, gab es nach dem Abendmahl eine tänzerische Darbietung der Mädchen. Rythmisch und erotisch bewegten sie sich taktvoll zu Musik, wobei Jarin das Gefühl hatte, als würde Ayla nur für ihn tanzen. Kunstvoll erzählten sie dabei eine dramatisch, romantische Gesichte wie ein Held einst auszog um in der Welt Abenteuer zu erleben, seine Geliebte fand, diese von einem Bösewicht entführt und nach langem Kampf schließlich von ihrem Held befreit wurde, so dass sie sich in rahjanischer Extase vereinigen konnte. Die Musik und der Tanz wurde dabei immer schneller, bevor er in einer wilden ‚Explosion‘ -in der alle Mädchen aus einem Kreis heraus gemeinsam zu Boden glitten – endete.

Während des Abends merkte Aldron schnell, dass man mit Eslam ebenso gut streiten wie lachen konnte. Der Nebachote war immer sehr direkt und sprach unverblümt heraus was er dachte. Sicherlich eckte er mit diesem Verhalten an, doch Aldron war es als Krieger so lieber, als irgendwelche liebfeldischen Spielchen zu betreiben. Nachdem die Mädchen geendet hatten und – zwar immer noch schwer atmend – sich wieder zu den hohen Herren setzten, fragte Ra’oul Aldron unverblümt, was dieser von einem leichten Reiterregiment halten würde, dass zur Hälfte aus Südperricumern und zur Hälfte aus Neuperricumern bestehen würde? „Odär andärs ausgedrickt, zur Hälftä aus Nebachotän und zur Häfltä aus Raulschen?“

Einen Augenblick dachte er nach. Die für Aldron so charakteristische Stirnfalte vertiefte sich dabei leicht. Nach dieser kurzen Pause antwortete er dann: „Die Kampfkraft einer solchen Einheit steht außer Zweifel. Ich würde der bekannten Fechtkunst der Nebachoten mit dem Säbel die Durchschlagskraft einiger Schwadrone schwerer Lanzenreiter beiordnen, um in der Schlacht feindliche Formationen aufzubrechen, in die die Säbelkämpfer dann eindringen können.“ Mit einem Nicken bekräftigte er die Idee, räumte dann aber ein: „Das Regiment dürfte anfangs unter denselben Spannungen leiden wie derzeit eines der auf Angareth stationierten Banner und damit ein gutes Sinnbild sein für unsere Provinz, die ja auch erst zusammenwachsen muss. Daneben liegt Perricum zwischen zwei Hochgebirgen und dem Meer mit nur einer halbwegs offenen Grenze im Süden. Angesichts der Tatsache, dass wir dort ja keine Feinde haben, ist der Wert für die Grenzverteidigung also eher eingeschränkt. Wenn wir allerdings davon ausgehen wollen, selbst derzeit einigermaßen gesichert zu sein und in den unruhigeren Gebieten des Reiches unser Banner zeigen können wollen, ohne die Sicherheit der Markgrafschaft aufgeben zu müssen…“ Die letzten Worte schwangen kurz im Raum, man konnte bemerken, dass Aldron grundsätzlich dem Plan nicht abgeneigt war. Dem großen Ausbilder, Ausrüster und Planer der Fürstin mochten schon wieder einige Details hinter der gefurchten Stirn herumschwirren. Dann jedoch brach unvermittelt eines davon aus alter Gewohnheit hervor: „Wie stellt ihr euch die Finanzierung eines solchen Regimentes vor? Soll es eine ständig kasernierte Einheit sein oder auch auf Waffentreue und Freiwillig Teildienst Leistende fußen?“

Erfreut darüber bei Aldron auf Interesse gestoßen zu sein, griff Ra’oul die Frage sogleich auf.

„Ährlich gesagt hattä ich geduacht, duass wir ärst mit einäm bis zwai Bannär anfuangen, um die Sache ierschaubar zu haltän und gleichzaitig das Spannungspotential nicht zu grohß werdän zu lassän. Die Idää vuon Waffenträuen hattä ich guar nicht bedacht, befirchtä ich doch, duass dies noch schwierigär wirdän würde. Und bis sich die baidän Bannär bewährt und dän Sultan iberzeugt habän, würdän wir für dän Unterhalt der Ammayan aufkommän.“

Eslam, der gerade einen tiefen Schluck aus seinem Weinpokal trank verschluckte sich bei den Worten seines Sohnes und spuckte den gesamten Wein aus. Zum Glück hatte er sich zur Seite gedreht und somit nicht wirklich jemanden getroffen. Entgeistert schaute er seinen Ältesten an. „Ist Dain Helm zu äng? Odär hast Du bai där lätzen Schlacht doch mähr abbegkommän, als wir duachten?“ Es war ersichtlich, dass Eslam von der Idee Ra’ouls nicht gerade begeistert war, dass Brendiltal ein bis zwei Banner unterhalten sollte. „Vatär. Wirr hatten doch schon daribär gesprochän. Du hast mir doch zugestimmt, duas eine Einheit aus beidän Beraichen duas Sultanat Näbachot nur verstärken kennte. Wir missen dafir auch etwuas tun.“

An eines der Mädchen gewandt meine Eslam trocken. „Gäh und holä schnell dän Heilär, äs ist ärnstär als ich duachtä.“

„Vatär!“ Protestierte Ra’oul dagegen.

„Ra’oul!“, fuhr jetzt Eslam wiederum auf. „Äs ist zwua Dain Ärbe wuas Du hieär ins Määr werfen willst, abär äs ist auch duas Geld Dainär Familiä. Und als zukinftiges Familienoberhaupt, Marbän und Al’Shar a Korim ist äs dainä praiosgefälligä Pflicht dies zu erhualtän. Und jetzt Schluß duamit, ich will davon nichts mähr horän.“ Ra’oul wollte noch etwas erwidern, hielt sich aber dennoch zurück. Der Blick den er Aldron zuwarf versprach jedoch, dass für ihn das Thema noch nicht vom Tisch war, sondern weiter fortgeführt werden sollte.



 Wappen Mittelreich.svg  Wappen Markgrafschaft Perricum.svg   Wappen Baronie Herdentor.svg   Wappen Baronie Herdentor.svg  
 Burg.svg
 
Texte der Hauptreihe:
K1. Teil 1
K2. Teil 2
K3. Teil 3
K4. Teil 4
K5. Teil 5
K6. Teil 6
K7. Teil 7
K8. Teil 8
K9. Teil 9
K10. Teil 10
K11. Teil 11
K12. Teil 12
K13. Teil 13
K14. Teil 14
K15. Teil 15
K16. Teil 16
K17. Teil 17
16. Ron 1032 BF zur abendlichen Firunstunde
Teil 8
Teil 7


Kapitel 8

Teil 9
Autor: metal/Nicole R./Alex K./Stefan T./Tobias K.