Geschichten:Verschollene Eber - Knapp vorbei, der Knappe
Schon einige Zeit war Timokles durch die Residenz geeilt, als er sich endlich einer schweren, mit Einlegearbeiten verzierten Tür näherte, welche offen stand und in der er einige hohe Herren versammelt sah, auch die Herren, die er vorher im Hof gesehen hatte. „Hoffentlich bin ich nicht zu spät; ich muss meiner Mentorin zeigen, dass ich würdig bin auf dieser Reise teilzuhaben!“, sagte er knapp vor sich hin, streckte seine dünne, relativ kleine Gestalt und durchschritt die Tür.
Doch sein erstarktes Selbstbewusstsein schmälerte sich immer mehr, als er zuerst merkte, dass er immer noch in seine Reisekleidung gehüllt war und süßlich nach Stall und Heu roch. Seine Mentorin war noch nicht bei der Beratung zugegen, stattdessen einige andere hohe Herren, allesamt mit hochwertiger Kleidung. Was soll ich jetzt tun? Zurück kann ich nicht mehr, einige Blicke ruhen bereits auf mir, aber wer ist der Edelbrecht vom Eberstamm, der Gastgeber? Sein Blick ging durch die Runde. Da waren ein paar Herren gerade in eine Konversation vertieft, sie schienen gerade eingetroffen zu sein, und dort bei den gepolsterten Stühlen saß bereits ein anderer Herr, der ein Gläschen Wein genoss. Er hatte ein schmuckes Amulett mit einem Familienspruch um den Hals und einen edlen Dolch mit einem Familienwappen am Gürtel. Das musste Edelbrecht sein. Also schritt Timokles schnellen Schrittes durch den Raum und ging geradewegs auf den vermeintlichen Gastgeber zu und fiel vor diesem auf sein Knie: "Edler Herr, ich werde mit all meiner Kraft und meinem Verstand an Eurer Seite streiten!"
Ardo von Keilholtz ä.H. saß noch immer auf seinem Sessel und beobachtete die Neuankömmlinge, welche nun den Prinzen umgaben, als sich die Tür erneut öffnete und ein schmächtiger Jüngling zögerlich auf ihn zusteuerte. Verwundert blickte er auf den Knappen als dieser sich vor ihm auf das Knie niederließ. Nach einem kurzen Blick zum Prinzen und den umstehenden Edlen, huscht ein verstehendes Lächeln über die strengen Züge des jungen Hauptmannes.
„Nun denn, Knappe! Ich sehe Mut und Initiative in dir. Ich will nur hoffen, dass in diesem Körper mehr Kraft steckt, als es den Anschein macht. Denn mit dem Verstand scheint es nicht sehr weit her zu sein. Aber du bist jung und man wird dir diesen Fehler nachsehen.“ Nach seinem Glas greifend stand Ardo auf, packte Timokles mit der anderen Hand unter den Arm, um ihn aufzuheben, und führte ihn mitten unter die Gruppe der märkischen Adligen, bis er vor Edelbrecht stand.
„Mein Prinz, dieser junge Mann hat euch etwas zu sagen.“
Mit einem aufmunternden Zwinkern und einem kräftigen Klaps auf die Schulter trat Ardo zurück und ließ Timokles allein vor dem Prinzen im Kreis der Edlen stehen.
Genau in diesem Moment schickten sich Lyeria und Alderich an, den Jagdsaal zu betreten. Im ersten Moment wunderte sich die Ritterin, was ihr Knappe da gerade trieb und warum er vor dem Hauptmann das Knie beugte, dann sprang die Erkenntnis sie frontal an. Beinahe hätte sie wirklich breit grinsen müssen, hätte es ihr als Ordensfrau des Schweigenden denn gut zu Gesicht gestanden. So beschränkte sie sich lediglich darauf, ihrem Begleiter Alderich stumm zu signalisieren, nicht einzugreifen. Vom Türrahmen aus beobachtete sie, wie Ardo von Keilholtz ä.H. Timokles zum Prinzen brachte. Lyeria wollte unbedingt sehen, wie der angehende Golgarit sich in dieser unangenehmen Lage schlagen würde.
Der Kopf von Timokles war knallrot und das Blut pochte in seinen Schläfen. 'Warum muss so etwas immer mir passieren? Jetzt habe ich meinen Ruf vollkommen zerstört', dachte er bei sich und steuerte unter dem festen Griff des Hauptmanns direkt auf den Prinzen zu.
„Mein Prinz, i-i-ich wollte Euch die höchste Aufwartung machen und mein-n-nen Stolz ausdrücken, an dieser bedeutende Queste mitwirken zu können“, stammelte er möglichst durchdacht hervor und verbeugte sich tief vor Edelbrecht.
Dieser hatte einige Mühe, sich ein Grinsen zu verbeißen, so nickte er kurz dem Hauptmann zu und sammelte sich dann. Die prinzlichen Augen nahmen den vor ihm Stehenden fest in den Blick und die prinzliche Rechte ruhte wie zufällig auf dem Knauf seines Schwertes. Den Rücken hatte er gestreckt, als trete er vor die Königin, und seine Haltung hätte seinen Knappenherren sicherlich mit Stolz erfüllt. Jede Bewegung ein klares Indiz für seine hohe Abstammung ließ er seine volltönende Stimme durch den Saal dröhnen, welcher sich bereits mit erwartungsvoller Stille gefüllt hatte: „Nun, so gebe Er zuerst an, wie Er heißt und wem Er dient, damit Wir ermessen können, ob Er satisfaktionsfähig ist.“
Die Augen des Knappen gingen ihm fast über. Der Prinz Edelbrecht vom Eberstamm war im Begriff ihn zum Duell zu fordern! Das war unmöglich! Seine Gestalt schrumpfte immer mehr vor der imposanten Haltung des Prinzen, bis ihm durch den Kopf schoss: ‚Du Dummkopf, niemals kann der Edle von Eberstamm tatsächlich hier und jetzt ein Duell anstreben, schließlich ist er kein hitzköpfiger Almadani, über die du schon einiges gelesen hast. Es ist eine Prüfung, genau! Das muss es sein, genau wie die tulamidischen Sultane auch immer geprüft wurden, bevor sie von den Dschinnen ihr Wünsch erfüllt bekamen, ich hatte in Rabenhorst doch einmal die Gelegenheit gehabt, einen Sagenband zu studieren.“
Also streckte sich seine Haltung wieder und er blickte dem Prinzen, wenn auch demütig, in die Augen und sagte klar und deutlich: „Ehrwürdiger Prinz, mein Name ist Timokles Hydidon all Mylamas dyll Kyphos, Knappe des Raben im ehrenwerten Kloster Rabenhorst am Kürenstein, Mitglied der Delegation vom Orden des heiligen Golgari“, seine Worte wurden durch die Geste einer offenen Hand noch unterstrichen.
Der Prinz zuckte unter diesem Wortschwall fast ein wenig zusammen. Dann hob er die Hand und schnippte einmal kurz mit den Fingern. „Nachdem dies geklärt ist...“, Edelbrecht ließ den Satz kurz im Raum schweben, dann streckte er die Hand in Richtung des Knaben aus, „Ich bin, wie schon gesagt wurde, Edelbrecht von Eberstamm.“ Herzlich umschlossen die Finger des Greifingemahls die Hand des Knappen, während man ihm von hinten einen Krug dunklen Bieres reichte. „Und jetzt, mein Freund, solltest du erst einmal was Anständiges zu dir nehmen. Sonst fällst du uns schon vor dem ersten Kampf um. Willkommen in Greifenfurt, Timokles vom Kürenstein.“
Und mit diesen Worten reichte er dem jungen Mann den vollen Humpen, um sogleich seinen eigenen Krug aufzunehmen und seinem Gegenüber zuzuprosten.
Die Gefühle der jungen Golgariten schwankten zuerst zwischen Furcht, Unsicherheit und einem eingeredeten Selbstbewusstsein, doch nun fiel alle Anspannung von seinen Schultern, und er nahm einen großen Schluck des dunklen Gebräus, welches den Kloß in seinem Hals hinunterspülte und gleichzeitig eine angenehme Wärme in seinem Inneren erzeugte. Als er absetzte, bemerkte er erst, dass der Prinz noch nicht getrunken hatte und er entsann sich, dass er hier Sitte war anzustoßen. So setzte er noch einmal ab und stieß mit dem Trinkspruch mit Edelbrecht an: „Auf unsere Queste, mögen wir sie zu einem schnellen und glimpflichen Ende führen... Mit Borons Segen natürlich!“
Und gleichsam als Antwort erbebte der ganze Saal aus voller Kämpferkehle aller Versammelten: „Mit Borons Segen!“
Nachdem Timokles seine Fassung wieder errungen hatte und einen ordentlichen Schluck genommen hatte, schritten auch Lyeria und Alderich auf den Prinzgemahl zu und verneigten sich vor Edelbrecht.
„Allerprinzlichste Hoheit, Ihr habt gerufen. Wir folgten Eurem Ruf in großer Eile und entbieten Euch vom Abt zu Kürenstein die besten Grüße. Unsere Waffen und unser Verstand stehen Euch zur Verfügung“, sprach Lyeria.
Leiser fügte sie hinzu: „Und verzeiht bitte dem jungen Knappen hier seinen Fehltritt, er wusste es noch nicht besser.“ Ein verstecktes Lächeln spielte um ihre Lippen, während sie ihre Hand auf Timokles Schulter legte.
Über Edelbrechts Gesicht breitete sich jenes jungenhafte Grinsen aus, für das er von seiner Frau geliebt und vom Volke vergöttert wurde. Er stellte seinen Humpen ab und neigte förmlich das Haupt. „Es ist für unsere Aufgabe zweifellos ein unglaubliches Privileg, in Euch für unsere Queste gleichsam geistigen und geistlichen Beistand zu wissen. Und es ist mir eine Ehre, Euch und die Euren in unserer Runde begrüßen zu dürfen.“ Und auch der Prinz senkte die Stimme ein wenig, als er fortfuhr: „Und was Euren Knappen angeht, so scheint er mir wacker genug und pfiffig oberdrein, dass ich stolz wäre, einen solchen jungen Mann als eigenen Knappen zu wissen. Ihr seid wahrhaft gesegnet.“ Aus den Augen des Prinzen sprach Lauterkeit und nur wer ihn genau kannte, spürte die Traurigkeit, die hinter seinen Worten wohnte. Zwei Bannerträger hatte er an den Schweigsamen geben müssen und jedem einzelnen von ihnen war der Prinzen in ehrlicher Freundschaft zugetan gewesen.
Den Faux pas des Knappen bemerkte Greifwin zunächst nicht, zu sehr war er auf Edelbrecht konzentriert. Erst als sich die Aufmerksamkeit auf Timokles richtete, realisierte er das Geschehene. Unauffällig trat er einen Schritt hinter den Zalgoer zurück, damit sein Grinsen nicht zu schnell auffiele. Nur zu gut erinnerte er sich an seine eigenen Probleme nach seiner Ernennung und die Reaktion der Greifin darauf...
Amüsiert hatte auch Urion den Auftritt des Knappen verfolgt. Er nippte an seinem Kruge und wandte sich an den Prinzen. „Wahrlich ein wackerer Kerl, Hoheit. Er scheint eine natürliche Neugier zu besitzen. Für seinen Mut sollte er belohnt werden. Wenn die Damen und Herren nichts dagegen haben, würde ich ihn gerne das ein oder andere Mal zum Spähtrupp mitnehmen. Vorausgesetzt natürlich, er reitet wie er spricht…?“
Der Blick des Knappen richtete sich nun auf den Mann, der eben hinzugetreten war, und er musste schlucken. Er sollte reiten? Na ja, er hatte es gelernt und er konnte schon immer gut mit Tieren umgehen, aber ebenso hatte er immer Probleme gehabt, sich längere Zeit im Sattel zu halten. Nur nichts anmerken lassen, dies ist eine Ehre, und dies für einen unkorrigierbaren Fehler. Ein sonderbares Völkchen sind diese Leute hier. Zu Hause wäre er für ein solches Missgeschick mit Rübenschälen oder Stockhieben bestraft worden. Doch so wartete er nun auf die Reaktion seiner Mentorin, denn nun sollte er sich wahrlich etwas zurückhalten, wenn er nicht doch noch Bestrafung zu erwarten hatte. Also nahm er einen weiteren Schluck von dem Bier, welches ihm mit jedem Schluck besser mundete, und blickte auf Lyeria.
Auch Edelbrecht blickte in Richtung der Hesindelburger Gesandtschaft. „Mein werter Urion“, wandte sich der Prinz an den Rittmeister, „wir sollten den Knappen nicht ohne Zustimmung der Knappenherrin weiter verdingen. Sicherlich wird unsere Gesandte vom Kloster Rabenhorst ihre eigenen Pläne mit dem ihr anvertrauten Ritterschaftsanwärter haben.“
Urion grinste. „Da stimme ich Euch zu Hoheit.“ Zum Knappen gewandt sagte er: „Na dann hoffe, dass deine Herrin gnädig ist und dir diese Gelegenheit gibt. Da könntest du einiges Nützliches über Land und Leute lernen.“
◅ | Unter anderen Umständen |
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Ardos Gedanken schweifen | ▻ |