Geschichten:Adare von Hettfeld

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Travia-Kloster Gansbach, 12. Travia 1045 BF:

Das Traviakloster Gansbach lag in der Einsamkeit des Reichsforstes im Norden der Lande Gräflich Silz. Durch den von einer hohen Mauer umgebenen Klostergarten an der Südseite floss der Gans- oder Ganselbach (beide Bezeichnungen waren unter den Silzern üblich), wobei unklar war, ob der Bach seinen Namen vom Kloster hattte oder umgekehrt. Das Kloster war vor rund drei Jahrhunderten erbaut worden und hatte bislang allen Widrigkeiten standhalten können, waren es Orks, Räuber oder die verderbten Rubinbrüder.

Von der Pforte des Klosters führte ein Pfad etwa eine halbe Meile hin zum Grafenstieg, jener Straße, die aus Uslenried kommend längs durch die Silzer Lande nach Greifenfurt führte. Allerdings war dieser Weg mittlerweile streckenweise vom wuchernden Wald verschlungen und auch der restliche Weg im Winter zumeist derart verschneit, das ein Reisen nicht immer möglich war, weshalb das Kloster oftmals ganz auf sich allein gestellt war.

Vorsteherin von Kloster und angeschlossenem Tempel war Mutter Tomalis Hardanger, die auch Reisenden gern Obdach gewährte, denn im Umkreis des Klosters herum befand sich kein anderer Ort, geschweige denn ein Gasthaus. Zu diesem Zwecke gab es im Südtrakt des Gebäudes einige Kammern, die der traviagefälligen Gastfreundschaft vorbehalten waren. Die Kammern der Klostergeschwister befanden sich im Nordflügel, im Westen erhob sich die kleine Tempelhalle. Im Torhaus genannten Ostteil hingegen fanden sich Küche, Speisesaal und Wirtschaftsräume sowie die Kammer der Klostervorsteherin, die zugleich auch als ihre Schreibstube fungierte. Um den Bedarf an Honig und Wachs im Kloster zu decken, betrieb die Geweihte Elissa von Grabenau eine Imkerei auf den Ländereien des Klosters und verarbeitete den Honig zusammen mit den Äpfeln des klösterlichen Apfelhains auch zu einem schmackhaften Honigwein, sehr zum Verdruss der Akoluthin Ardare von Hettfeld, welche regelmäßig den Alkoholkonsum der Landleute und auch der Klosterbewohner anprangerte.

Doch solcherlei, der Travia ungefälligen Zwist sollte an diesem Tage in den Hintergrund treten, denn es war der Tag der Treue, an dem traditionell Eheschließungen stattfanden. Zur großen Freude aller im Kloster Lebenden, war es an diesem Tag der Treue gar eine besondere Hochzeit, denn zwei junge Geweihte sollten den Traviabund schließen, und zwar Schwester Alwa und Bruder Marbert. Beide lebten schon viele Götterläufe in der Klostergemeinschaft und so war die Vorfreude bei allen Bewohnern groß und auch die Gänse liefen laut schnatternd über den Klosterhof, als ob sie wüssten, dass es ein besonderer Tag war.

Im herbstlichen Klostergarten, wo die Apfelbäume ihre üppigen Früchte zur Schau trugen, wurde eine lange Tafel aufgebaut. Ausnahmsweise hatte Mutter Tomalis ihrer Gänseschar erlaubt, die Festtafel ein wenig üppiger als sonst zu decken, gehörte doch Enthaltsamkeit von derischen Genüssen zum hohen Gebot des Klosters. Aber auch Mutter Tomalis wusste den ihren mal etwas Gutes zu tun. So hatte sie dem Bitten der Gänslein, Brüder und Schwestern, mit einem milden Lächeln und einem Kopfschütteln nachgegeben. Die Apfelernte war besonders üppig bisher, Kirschen gab es in Hülle und Fülle und auch die fleißigen Bienchen hatten viel Wachs produziert, sodass es schon genügend Wachskerzen für den Winter gab. Die Überschüsse ließen sich hervorragend in der Grafenstadt Silz verkaufen.


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Schwester Alwa schritt schweigend neben Elja von Grabenau zwischen den unzähligen Apfelbäumen des Klostergartens entlang. Die Braut musste für einen Augenblick den Trubel ihrer bevorstehenden Hochzeit entfliehen und bat Elja sie auf einen Spaziergang zu begleiten.

„Wie wird es sein, wenn ich vermählt bin“, durchbrach die junge Geweihte das Schweigen, „werde ich von den Verfehlungen meines früheren Lebens reingewaschen sein?“ Alwa hatte in ihrer Jugend alles andere als Travia gefällig gelebt, war mehreren Bauernburschen nachgestiegen, was nicht ohne Folgen geblieben war: mit 14 Sommern gebar sie ihren Bastard Herdfried. Daraufhin wurde sie mitsamt ihrem Neugeborenen ins Travia-Kloster Gansbach beschickt – gegen ihren Willen freilich. Das war nun schon über 10 Götterläufe her. Sie fügte sich mit der Zeit ins Klosterleben ein, verinnerlichte die Gebote der Mutter Travia, empfing die Weihe. Doch schlugen in ihrer Brust zwei Herzen und das Verlangen tief in ihr suchte sie zumeist nachts in leidenschaftlichen Träumen heim.

„Die gütige Mutter hat dich durch die Weihe aufgenommen und dir schon lange verziehen!“, entgegnete Elja, die als „Ritterin des Herdfeuers“ mit ihrem Schwert das Kloster vor den Gefahren des Waldes beschützte – das hatte sie auf ihr Leben geschworen. Sie war nicht geweiht, wohl aber mit einem hiesigen Travia-Geweihten vermählt. Elja war tief gläubig, prinzipienfest und moralisch gefestigt – also alles das, was Alwa nicht war und so sehr an ihrer Freundin bewunderte.

„Die gütige Mutter vielleicht, aber was ist mit Travienlieb Adare? In ihren Augen bin ich eine Gefallene, unwürdig der Gunst der Mutter. Seit ich hier bin, lässt sich mich spüren, was sie von mir hält.“

Adare von Hettfeld war vor 15 Götterläufen, nach dem Tod ihres Gemahls, ins Kloster gekommen und hatte die einfache Weihe als Akoluthin erhalten. Sie war sehr rigide und sehr konservativ in der Auslegung ihres Glaubens. Sie verabscheute allerlei Läster und körperliche Freuden, wohl auch, weil diese ihren Gemahl ins Grab gebracht hatten. Besonders streng ging sie mit Alwa um, sodass diese eine regelrechte Angst vor Adare entwickelte.

„Travienlieb Adare hat ihre eigenen Dämonen aus ihrer Vergangenheit zu bekämpfen. Ich glaube, sie meint es nur gut mit dir, auch wenn sie eine eigenwillige Art hat, es zu zeigen.“ Elja gehörte zu den Gemäßigten im Kloster an. Die Vergangenheit des Einzelnen war nicht wichtig, sondern wie sich die Person im Hier und Jetzt zeigte. Der Schutz der Familiengemeinschaft, die immer diese auch aussehen mochte, war ihr höchstes Gebot.

„So wird mein vor Mutter Travia geschlossener Bund nichts an ihren Blick auf mich ändern. Ich werde in ihren Augen immer nur die Sünderin sein.“ Eine Träne kullerte über ihre bleiche Wange. Eine braun gelockte Haarsträhne hatte sich aus der gold-orangenen Haube an die Freiheit gekämpft. Ja, Alwa war eine aufblühende Schönheit – wohl auch ein Grund, warum ihre Hochzeit mit Bruder Marbert forciert wurde. „Ich weiß, ich sollte diese Gedanken nicht haben, aber manchmal wünschte ich mir, Mutter Travia würde Travienlieb Adare zu sich holen.“

Noch bevor Elja darauf reagieren konnte, lief ihr Gemahl, Bruder Aribor, auf die beiden Frauen zu und nah, Elja etwas zur Seite. „Die beiden Gänslein Trauthild und Emer sind gerade vollkommen ausgelöst aus dem Wald zurückgekommen … sie waren dort mit Travienlieb Adare Blumen und Kräuter für die Hochzeit sammeln. Komm bitte!“

Mit weit aufgerissenen Augen blickte Alwa der Ritterin des Herdfeuers hinterher, als diese sich schnellen Schrittes entfernte.


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Mit regungslosen Gesichtszügen stand Alwa neben Marbert vor Mutter Tomalis. Es galt den Traviabund zu schließen, doch ihre Gedanken waren ganz woanders. Irgendetwas war mit Adare passiert, denn sie war nicht hier im Kloster, doch keiner wollte ihr erzählen, was vorgefallen war.