Geschichten:Tempeltreu – Lüge
Stadt Schwarztannen, Efferd 1044 BF
„Das war doch einfach nur erstunken und erlogen!“, schimpfte die Rondra-Novizin auf dem Rückweg.
„Ich weiß“, erwiderte die Geweihte da nur mit unveränderte Miene.
„Und warum habt Ihr ihm das durchgehen lassen?“, wollte sie verärgert wissen.
„Weil der Händler diese Geschichte bestätigt hätte“, meinte die Geweihte da nur, „Es ist nämlich nicht das erste Mal, dass er sie erzählt. Lediglich die Boten wechseln.“
„Was?“, entfuhr es der Schack da entsetzt, „Und da schaut ihr einfach so tatenlos zu?“
„Wir brauchen ihn noch“, erwiderte die Rían da kryptisch wie es ihre Art war.
„Was soll das schon wieder heißen?“
„Du wirst sehen“, meinte ihre Lehrmeisterin lediglich, „Und bis dahin musst du dich eben in Geduld üben. Auch das ist eine Tugend die uns als Diener der Sturmherrin gut zu Gesicht steht.“
„Machen wir das immer so?“, wollte der etwas pummelige Praios-Novize wissen.
„Nein“, meinte der Geweihte da lediglich, „Doch manchmal, ja manchmal – und wie ich bereits sagte vergisst das Schwester Lechmin gerne, was leider nicht nur auf sie zutrifft – muss auch unsereins Gnade vor Recht ergehen lassen, schließlich steht unser guter Herr Praios auch für Demut.“
Langsam nickt der Knabe.
„Gelogen war es natürlich trotzdem“, fügte der Geweihte hinzu. Nun schaute Danos zu ihm auf. „Wir alle lügen. Meist sind es nur kleine Lügen. So sind wir Menschen nun mal. Die Lüge steht uns näher als es uns allen Lieb ist…“
„Auch... auch... Ihr?“, wollte Danos da nun mit großen Augen wissen.
„Nun“, räusperte sich der Geweihte da, „Wenn es mal wieder...“ Er dämpfte seine Stimme etwas. „... Grütze gibt, dann... dann sage ich zwar immer das es mir schmecken würde, aber eigentlich...“
„Es ist widerlich!“, stimmte er da nickend zu.
„Ja, diese matschige Pampe ist einfach nur...“, erneut seufzte er schwer, „Aber wir sagen das nicht, denn... denn das gibt nur unnötig Ärger mit der Köchin und ich muss es wissen, ich habe das schon einmal versucht. Geändert haben meine Worte nichts. Abgesehen davon, tut diese Lüge keinem weh – nicht uns und auch nicht der Köchin.“
„Und der Herr Praios findet das... hm... in Ordnung?“
„Ich denke, er hätte es auch so gemacht. Mit der Köchin sollte man es sich lieber nicht verscherzen, sonst kocht sie nur noch...“ Er schüttelte sich. „... Grütze und wer will das schon.“
„Niemand will das“, stimmte der Knabe nickend zu.
„Dir ist klar“, hob Jadwig von Windfels an, als alle anderen gegangen waren, „dass du nun dem Herrn Phex einen Gefallen schuldest, obwohl man es nicht gerade als phexgefällig bezeichnen kann, wenn man sich beim Stehlen auch noch erwischen lässt.“
Verschüchtert und mit geröteten Wangen nickte der Knabe: „Und wie... wie... wie finde ich den Herrn Phex?“
„Er wird dich finden“, erklärte der Händler, „Und seine Schulden zu gegebener Zeit bei dir einfordern. Dass du davon abgesehen auch mir einen Gefallen schuldest, ist dir hoffentlich auch klar. Ich erwarte dich in meinem Stadthaus.“
Eingeschüchtert nickte der Knabe.
„Jetzt aber troll dich!“
Dann gingen auch der Kaufmann und sein Lehrling.
„Ihr... Ihr habt ihn doch gar nicht geschickt, nicht wahr Oheim?“, wollte Felian auf dem Weg in das Stadthaus seiner Familie wissen.
Über das Gesicht Jadwigs legte sich ein vielsagendes Lächeln. Er biss genüsslich in den rotbackigen, makellosen Apfel.
„Jetzt schon, Felian“, erwiderte der Windfels, „Jetzt schon.“