Geschichten:Frühlingssturm - Am Urnenfeld

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Ulfried Werg hielt den Meißel dicht vor seine Augen. Die Scharte war nur klein, fast nicht zu sehen, aber sie war da. Lächelnd setzte sich der alte Steinmetz auf seine Fersen, kramte in seiner Gürteltasche nach dem Wetzstein und spuckte herzhaft darauf. Noch immer lächelnd begann er den Meißel zu schärfen, sorgfältig, mit gemessenen Bewegungen und einer Ruhe, die den jungen Burschen, der neben Ulfried zum Nichtstun - will sagen - zuschauen und lernen - verdammt war, einiges an Ungeduld aufzwang.

Ulfrieds Lächeln wuchs sich zu einem Grinsen aus. Er konnte es Gilm nichtmal verdenken. Der Steinmetz sah von Meißel und Stein auf und blickte die glatte, weiße Kalkplatte hinauf, sah mit Stolz die langen Reihen kleiner Schwerter, die er gerade und jeweils identisch in den letzten Tagen aufgebracht hatte. Der Lehrling durfte hier nicht Hand anlegen, dieser Teil war der des Meisters. Aus Gewohnheit zählte Ulfried nach. Ja, 79 bisher, er war wirklich kurz davor zu beenden, was man ihm aufgetragen hatte. 80 Schwerter, keine Namen, keine Wappen, nichts, nur das, was sie waren, wenn sie die Weihe empfingen. 80 Schwerter für die Schwerter der Göttin, die auf dem Arvepass ihr Leben gelassen hatten.

Seine Gedanken kehrten zurück zu jenem Tag, als er auf die Löwenburg gerufen worden war. Ihre Exzellenz Jessidora de Sylphur selbst hatte ihn empfangen und ihm dargelegt, was man von ihm erwartete. Noch immer war sich Ulfried nicht sicher, ob er bei diesem Auftrag einen guten Schnitt machen würde, oder ob diese gutaussehende und so überraschend zugängliche Südländerin den Vorteil zugunsten ihrer Kirche verschoben hatte. Was sie von ihm wollte reizte ihn, erst Recht, als er den Altar geshen hatte und eine kurze - leider nur kurze - Andeutung erhalten hatte, worum es sich bei diesem seltsam geformten Steintisch handelte. Allein ihn auf den Arvepass zu transportieren würde eine Herausforderung werden. Und gefährlich.

So war es gewesen, als sie im Herbst letzten Jahres den Weg angetreten hatten. Zwei Geweihte der Rondra hatten ihren Tross begleitet, waren auf der Hälfte des Weges von Glaubensgeschwistern vom Orden der Wacht abgelöst worden und mit diesen, kam der Schnee und die Reise wurde noch beschwerlicher. Sie hatten ein Maultier verloren und zu seinem eigenen Entsetzen auch das Lehrmädel Tita. Trauer griff erneut nach Ulfried. Aus ihr hätte eine gute Steinmetzin werden können, ihr Tod war ein herber Verlust.

Dann dachte er an die langen Tage und Nächte des Winters auf Angareth, die Pläne, die er erarbeitet und wieder verworfen hatte. Die Reise in den Steinbruch, wo der Kalk gebrochen wurde und die langen Tage, ehe die Platte seinen Vorstellungen entsprochen hatte. Die Arbeit war hart gewesen, aber er hatte es geschaft. Seit zwei Tagen ruhte der Altar auf der ihm bestimmten Stelle, bereit seine Weihe zu empfangen.

Nur noch dieses eine kleine Schwert, und er hatte seinen Auftrag vollendet. Ullfried prüfte den Meißel erneut. Er war wieder makellos und scharf. Erneut beugte er sich vor, setzte ihn gewissenhaft an und wie er ein weiteres perfektes Schwertchen formte fragte er sich, wie wohl der Name dieses letzten Schwert gewesen war und wie es gestorben war.



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Texte der Hauptreihe:
23. Tra 1030 BF zur mittäglichen Traviastunde
Am Urnenfeld
Kein Wort zu viel. Um keinen Preis.


Kapitel 8

Frühe Ankömmlinge - Einen Troll zu empfangen
Autor:?