Geschichten:Der Zug der Verbannten – Keshal Lev'Tamin

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Festung Sturmfels, Raschtulswall, Markgrafschaft Perricum, TSA 1045 BF:

Die Tage schienen auf dem Sturmfels langsamer zu vergehen, der eisige Griff Firuns umfasste die alte Festung mit einer nimmermüden Beharrlichkeit und kraftvoller Wildheit. Auch das Leben auf der windumtostem, von eisigem Atem umhüllten Festung blieb nahezu stehen. Einzig die kratzige Stimme der Hausritterin Selinde von Sturmfels bellte als immer wiederkehrendes Echo über den vereisten Burghof und ließ die Knappen Falkwin, Asterian und Borowin spuren. Leomar verbrachte die meiste Zeit in seiner Kammer oder pilgerte zum Sturmfels. Er suchte in der Vereinigung mit dem Land nach Visionen, wann der richtige Zeitpunkt für den Aufbruch ins Herz des Gebirges war. Stets an seiner Seite war sein Schwert Seelensäufer, mit dem er in den dunklen Nächten flüsternde Zwiesprache hielt. Die wenigen Höflinge auf der Festung tuschelten über die drei Verbannten. Waren sie dem Wahnsinn anheimgefallen? Oder einfach nur tollkühn? Niemand wagte sich im Winter so weit in den Wall, außer vielleicht ihr Baron selbst. Doch dieser hatte sich in sein Inneres zurückgezogen oder war in Gespräche mit seinen drei Gästen vertieft, bei denen sie viel philosophierten. Das Wenige, das man von diesen Gesprächen aufschnappen konnte, klang für die meisten, die nicht so entrückt waren wie ihr barönlicher Herr fern von dieser Welt, wenn der Seelensäufer, der xeledonische Gockel, der Gigantensohn und, ja, auch der Zackige zusammen saßen. Denn auch letzterer ließ sich von den anderen mitreißen und schien immer tiefer in deren mythischen Sog gerissen zu werden, je länger sie hier weilten. Der Gockel wirkte unter dieser Gruppe dann beinahe normal, doch sein absurd-willkürliches Kichern strafte dem Lügen, obwohl die anderen drei stets nicht so wirkten, sondern im Gegenteil, als könnten sie aus seinen wirren Worten eine gewisse Weisheit lesen.


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Eines Morgens war es dann soweit. Das Schwert hatte in der Nacht zu ihm gesprochen … oder war es die Heilige Kvorvina, oder gar der Gigant selbst? Es war Leomar nicht wichtig WER zu ihm sprach, das WAS war entscheidend. So versammelten sich die Verbannten ein letztes Mal im Thronsaal, dankten ihrem Bruder, dem Gigantensohn, für seine Gastung, und verließen in dicken, weißen Pelz- und Fellmänteln gehüllt, mit drei Packtieren den Sturmfels. Eine Reise ins Unbekannte erwartete die Drei. Den Knappen Obarin ließen sie auf dem Sturmfels beim Gigantensohn.

Durch dichtes Schneetreiben trieben Leomar und seine Gefährten Selo und Ardur ihre Reit- und Lasttiere über einen schmalen Pass. Um sie herum nur das lebensfeindliche, schneebedeckte Gebirge. Ein ums andere Mal wäre eines der Tiere fast einen Felsgrat hinabgestürzt, doch die Heilige Kvorvina legte wohl schützend ihre Hände über ihre tapferen Ritter.

Langsam, sehr langsam kamen die drei Männer in der weißen Niederhölle voran, die, so schien es, gänzlich aus Nagrachs Domäne hätte entspringen können. Die Eiseskälte legte sich wie eine Maske auf die Gesichter der Verbannten, die sich schmerzend immer enger um das Antlitz legte. Jeder Schritt wurde zu einer Qual. An Reiten konnte schon lange nicht mehr gedacht werden, zu hoch lag der Schnee und zu nervös agierten die Tiere. Eines der Reittiere brach schließlich vor Entkräftung zusammen, was den kargen Speiseplan mit nahrhaftem Pferdefleisch bereicherte. So vergingen Stunden, Tage … einem Weg folgte das Trio schon lange nicht mehr, nur den Eingebungen des Trägers des Schwertes Seelensäufer, durchsetzt mit den irrwitzigen Spontanitäten des Gockels. Doch was war mit ihren Seelen? Hatten sie diese auf ihrem Weg nicht schon lange verloren?

Unter einem Felsvorsprung hielt Leomar schließlich inne. Mit Eifer tastete er über die Felswand, befreite den Fels vor einer mannsgroßen Schneeverwehung. Da war es, das Zeichen, ein in Stein gehauener Widderkopf. Sie waren ihrem Ziel nahe, das spürte Leomar. Seiner Eingebung folgend, entdeckten die drei Verbannten weitere Widderkopfreliefs. Das letzte prangerte über einem Höhleneingang mit dem alttulamidischen Schriftzug Keshal Lev'Tamin. „Wir sind am Ziel, meine Brüder“, sprach Leomar zu seinen Gefährten.

„An EINEM Ziel, mein zweifelnder Fröstling, solch Sinnhaftigkeiten sind im Grunde gar nicht so absolut, wie man denkt“, stammelte Selo mit klappernden Zähnen voller Freude. Und sie wussten, was er meinte und doch nicht. „Aber ein Versprechen ist dieses Signet alle mal.“

„Kein Grund innezuhalten, weiter… Lasst uns weiter gehen“, gab Ardur in einer monotonen, dünnen Stimme, von sich. Zwar waren die Tage auf dem Sturmfels erholsam gewesen, doch noch immer schien der Zackenberger erschöpft zu sein. Der Aufstieg in den Wall, hatte da sicher nicht geholfen.


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Voller Neugier und mit Fackeln bewaffnet, drangen die drei Gefallenen tiefer in die Höhle ein. Das Knirschen und Knacken noch Knochen unter ihren mit Pelz bewehrten Stiefel – waren auch menschliche dabei – ließ ihre Sinne schärfen. Je tiefer sie in den Berg hineinstiegen, desto wärmer wurde den drei Männern. Schließlich versperrte ein schwefelig dampfender unterirdischer See ihren Weg. Leomar entledigte sich seiner Pelzhandschuhe, die ihm draußen vorzügliche Dienste geleistet hatten und berührte mit Vorsicht die Wasseroberfläche. Dann wandte er sich zu seinen Schicksalsgefährten.

„Ausziehen, Männer, wir schwimmen hindurch. Wir lassen alles zurück!“

„Uuuuuaaaaaaahhahahahahahahaha!“, gackerte der Gockel nur vor Stumpf- oder Scharfsinn und warf sogleich bereitwillig alles von sich, was er bei sich bzw. am Leib trug, nur damit die anderen feststellen konnten, dass der Pfiffenstocker, sich die kruden Zeichen und Wappen, die er auf der Kleidung trug, auch in die Haut geritzt hatte. Auf seinem Bauch das Gockelwappen, bis hinunter auf Scham und Beine, das Prachtglied des Hahns war eins mit dem seinen. Dieser Anblick war verstörend, aber zugleich passend zum Großnarren. „Was schaut ihr so, nur ein Narr ließe sich von solchem beeindrucken, doch sind es nicht die Narren, die den Königen und Großfürsten als einzige die Wahrheit spiegeln dürfen?“ Ein Narr, ein Wort, dachte sich der andere und folgte Leomars Aufforderung und Selos gutem Beispiel.

Der Zweifelfelser begann sich auszuziehen und stieg als erster in das angenehm warme Wasser, noch vor dem Haselhainer, der noch am Ufer herumalberte. Bei sich hatte er nur sein Schwert Seelensäufer, das er mit beiden Händen über seinen Kopf trug. Der See war augenscheinlich nicht tief, sodass Leomar darin stehen konnte.

Ardur legte seine Kleidung fein säuberlich zusammengefaltet auf einen Felsen. Kurz hielt er inne, als er das Wappen seiner Familie auf dem Waffenrock sah. Wie viel hatte er mit diesem Wappenrock schon erlebt? Und nun musste er sich von ihm trennen, sein weiterer Weg würde er ohne ihn beschreiten müssen. Kurz schweiften seine Gedanken zu seinem Sohn, seiner Frau und auch Sigman. Dann schüttelte er sich kurz, griff das einfache Schwert, welches er seit seinem Aufbruch aus Garetien bei sich trug und watete seinen Gefährten hinterher.

Auf der anderen Seite war ein übergroßer Mannwidder in den Fels gehauen. Zwischen den Beinen öffnete sich die Felswand und drei gar prächtige, unbekleidete Männer, die jeweils Widdermasken trugen, traten hervor.

„Wir haben euch bereits erwartet!“

Selos Augen weiteten sich vor (g)eifernder Freude und er paddelte schneller, wie ein ungestümer Welpe, zum anderen Ufer, den bedächtigen Leomar hinter sich lassend. „Ich euch auch, ich euch auch, meine feingeistigen Gutbestückten.“ – „Leomar, du Guter, du solltest dich öfter mit deinem Schwert unterhalten…“



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Texte der Hauptreihe:
Tsa 1045 BF
Keshal Lev'Tamin
Auf dem Sturmfels


Kapitel 3

Auf dem Sturmfels
Autor: Bega, Jan, Vlad