Geschichten:Altes Blut - Zu unser aller Sicherheit

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2. Rondra 1037 – Handelshaus Rallersgrunder, Reichsstadt Hirschfurt


Stordan! Komm her!“, die durchdringende Stimme Cordovans von Rallersgrund schallte durch das Arbeitszimmer seines Hirschfurter Stadthauses. Ungeduldig tippelte er mit den Fingern seiner rechten Hand auf der abgenutzten, ledernen Schreibunterlage herum. Aus einer der unteren Etagen hörte er ein gehetztes „Ich komme, Onkel!“ und eilige Schritte auf dem polierten Stein. Er erhob sich, öffnete das Fenster und verzog enttäuscht das Gesicht, als die eindringende Luft der Abenddämmerung nicht die erhoffte Abkühlung brachte. Stattdessen überflutete ihn der angenehme Lärm der Stadt: rumpelnde Karren, die Waren transportierten, das Kratzen der Besen der Krämer, die ihre kleinen, ranzigen Läden nach vollbrachtem Tagwerk säuberten und das Betteln der Armen, die nichts aus ihrem Leben gemacht hatten und nun, zu recht, nichts besaßen.

Die Tür öffnete sich und Stordan trat ein. Cordovan musterte ihn. Man konnte nicht leugnen, dass er Teil seiner Familie war, auch wenn er dies noch zu häufig anzweifelte. Er war groß gewachsen, breit gebaut, mit blauen Augen. Sein Haar hatte die Farbe eines Straßenköters, doch das war gut, wie Cordovan fand; es zeigte den einfachen Leuten, seine Familie sei am Boden geblieben. Am Boden. Was gab es da schon zu holen? Alle sagten, es sei gut, am Boden zu bleiben, doch gleichzeitig wünschten sie sich hoch hinaus zu kommen – ein Widerspruch, den Cordovan nie akzeptieren wollte.

Stordan zupfte gerade seine Samtweste zurecht, straffte sich und schaute seinen Onkel an. „Stiefel“, gab Cordovan scharf von sich und Stordan zuckte hastig zusammen und säuberte seine Stiefelspitze. „Gut. Setz dich.“ Stordan setzte sich. Ihm am nächsten stand ein ausladender, lederner Sessel, doch er wagte es nicht, sich darin zurückzulehnen, sondern saß unbequem auf der Kante.

„Mein Sohn hat mir geschrieben“, begann Cordovan, „Er schreibt, dass sich seine Geschäfte ausgezeichnet entwickeln; habe ich auch nicht anders erwartet. Da ich mir darum also vorerst keine Gedanken zu machen brauche, habe ich Zeit für etwas Neues. Was gibt es Neues, Stordan?“ „Die Stadtgarde und die Spießbürger haben die Anzahl der Waffenübungen erhöht. Man erwartet in Bälde den Marschbefehl der Kaiserin.“

Cordovan fuhr sich mit seiner Hand durchs Haar und strich eine verschwitzte Strähne aus der Stirn. „Sooo? Was die Reichsstädte tun, werden auch bald die Grafen tun. Stordan, sag mir, was ist das wichtigste, möchte man einen Krieg gewinnen?“

„Genügend Soldaten“, antwortete Stordan sicher.

„Falsch. Ich nehme es dir nicht übel, hätte ich in deinem Alter doch genau so geantwortet. Die Antwort eines vierzehnjährigen Jungen.“ Er schritt um seinen Tisch herum und setzte sich auf die Lehne des Sessels. Während er fortfuhr legte er den Arm um die Schultern des Jungen. „Als Junge stellte ich mir den Krieg auch vor wie einen Schauplatz von Heldenmut und Tapferkeit. Eisenharte Männer liefern sich großartige Gefechte, das Klirren der Schwerter klingt wie eine Hymne von Rondra Höchstselbst und in all diesem Glanz entscheidet sich die jahrzehntelange Ränkepolitik des Adels.“ Der Junge sah ihn irritiert an.

„Gut, dass du aufmerkst. ‚Politik? In der Schlacht? Was hat Rondra mit Politik zu tun?‘ Gar nichts, sage ich dir. Genau dies ist die Stelle, die auch ich nie verstand. Wie vereinbare ich Heldenmut und Tapferkeit mit Politik und Intrige? Wie kann sich dies ebenbürtig sein. Es gibt nur eine Lösung: Sie sind es nicht. Heldenmut ist der Knecht der Politik. Heldenmut ist das Werkzeug der Politik. Während Generationen von Jungs wie dir eingetrichtert bekommen, wie wichtig es ist, heldenhaft zu sein, gibt es eine kleine Gruppe von Männern, die bei dem Spiel nicht mitmachen und sich das nehmen, was sie wollen. Der Rest stirbt einen heldenhaften, aber frühen Tod“ Er erhob sich wieder, während man Stordan ansehen konnte, wie es in seinem Kopf ratterte.

„Aber…“, begann er, „Euer Sohn wurde doch zu einem genau solchen Krieger ausgebildet …?“

Cordovan machte kurz ein irritiertes Gesicht, fasste sich aber schnell wieder und gab dem Jungen einen Klaps auf den Hinterkopf. „Das war doch etwas völlig anderes!“

Stordan ließ entmutigt den Kopf hängen. „Sitz gerade“, tönte es sofort. Der Junge straffte sich und versuchte es erneut: „Was ist dann das Wichtigste, um einen Krieg zu gewinnen?“

„Ein gesichertes Hinterland. Die stärkste Schwerthand ist nutzlos, wenn ein schwacher Arm sie trägt, doch hält sie ein starker Arm, wird der Gegner bald schon fallen.“

Stordan lächelte und nickte, weil er verstand. Er verstand gar nichts, dachte sich Cordovan. „Doch was nützt uns das?“ Das Lächeln des Jungen erstarb. „Was bringt uns ein rascher Krieg?“ Ratlosigkeit. Dann die Antwort: „Frieden“ Cordovan kratzte sich, wo sein verschwitzter Hemdkragen den Hals berührte.

„Der Frieden ist schön. Der Frieden ist gut. Alle wollen Frieden und das zu Recht. Man kann vernünftige Geschäfte machen und sich irgendwann einmal einen vernünftigen Sarg leisten, in welchem man vor sich hin rottend den vernünftigen Frieden von unten beobachten kann. Doch erst der Krieg bringt neue Bewegung in dieses Spiel. Er weckt alle auf, die im Alltagstrott vor sich hin rotten und während diese Leute“, er zeigte zum Fenster hinaus „während diese Leute überrascht aus ihren Betten fallen, stehen wir schon lange dort und warten ab, bis der erste vorbeikommt, der sich vor Hunger an den eigenen Fingern nagt. Nun sag mir also, Stordan, was ist die Rolle des Händlers im Krieg? Was trägt er bei?“

„Die Männer?“

„Die Männer?! Hast du den Verstand verloren? Geh fort von deinen Männern. Denke um!“

„Die Waffen, Onkel.“

„Richtig, doch Waffen kaufst du einmal. Ein Geschäft ist gut, doch wir wollen mehr. Was liefert der Händler?“ Der Ton wurde rauer, er sprach immer schneller.

„Den Proviant?“

„Den Proviant! Schrei es hinaus, wenn du richtig liegst, schrei es hinaus! Der Proviant ist das Entscheidende.“ Eilig schritt er zurück zum Sessel, kniete vor dem Jungen nieder, nahm dessen Hände in die seinen und fuhr fort. „Und nun erinnere dich, Stordan. Was habe ich dir eben gesagt? Was wollen wir?“

„Einen langen Krieg.“

„Richtig. Und was liefern wir?“

„Den Proviant.“

Ruckartig sprang Cordovan auf und klatschte in die Hände. „Du hast es begriffen! Du hast es begriffen. Jetzt fehlt uns nur noch ein Narr, der ihn kauft und Glück, damit der Krieg lange dauert.“ Stordan nickte eifrig. „Gut. Genug für heute. Hol dir einen Becher Wein aus der Kammer, du hast ihn dir verdient. Wir sehen uns beim Abendessen.“ Stordan stand auf und verließ den Raum.

Cordovan schnaufte durch und schenkte sich selber einen Becher Wein ein. Er stellte sich ans Fenster, schaute hinaus und nippte langsam an seinem Getränk. Seine Schwester Glenna hatte einen guten Jungen. Er begriff doch recht schnell, man musste ihn nur auf den richtigen Weg bringen. Während er in Gedanken verloren dort stand, bemerkte er, wie sich ein Freund seinem Haus näherte. Er schenkte einen weiteren Becher ein, straffte seine Kleidung und erwartete ihn an seinen Tisch gelehnt. Bald schon öffnete sich die Tür und Baltram Lindentaler trat ein. Baltram war ein Angestellter Cordovans und für Geschäftsabschlüsse in der Ferne zuständig. Er hatte einen bemerkenswert guten Riecher für profitable Geschäfte und man konnte sich auf ihn verlassen.

„Baltram, wie schön dich zu sehen.“ Mit ausgebreiteten Armen ging Cordovan auf den etwas untersetzten Mann zu und reichte ihm den vorbereiteten Becher Wein.

„Das kann ich nur zurückgeben.“ Er nahm den Becher und sie stießen an.

„Setz dich, setz dich, Baltram und erzähl mir von Rallerspfort.“ Cordovan setzte sich entspannt und mit ausgebreiteten Armen in den Sessel und schloss die Augen, als erwarte er eine Einschlafgeschichte.

„Nun, wie von dir aufgetragen bin ich nach Rallerspfort, oder genauer, zum Rallerspfort gereist, um ihm ein Angebot zu unterbreiten. Er schien besorgt, doch ich ließ mich davon nicht irritieren. Ich begann von den Kriegsvorbereitungen der Stadt Hirschfurt zu sprechen und lenkte so das Gespräch auf das Thema, welches ich ansprechen wollte. Ich fragte ihn also, ob er sich schon Gedanken über die Versorgung seiner Truppen gemacht hätte und er plante, die Vorräte immer vor Ort zu erstehen. An dieser Stelle hakte ich auch direkt schon ein und erinnerte daran, dass die Möglichkeit bestünde, dass die Landwehr eingezogen werden würde, was wiederum bedeuten würde, dass rund zwanzigtausend Männer vor Ort versorgt werden müssten. Ich sagte ihm also, dass der weise Mann schon hier vorsorgt. Er meinte, dass es unwahrscheinlich sei, dass die Landwehr eingezogen werden würde, aber der Punkt hatte dennoch Eindruck hinterlassen. Von da an war er offener für mein Angebot. Ich teilte ihm mit, dass das Handelshaus „Rallersgrunder“ die Möglichkeit sieht, den Heerzug seiner Baronie mit Proviant und den ständigen Anschaffungen während des Heerzugs zu unterstützen. Er wäre somit von dieser Last befreit und könne sich auf Dinge konzentrieren, die seinem strategischen Genie eher entsprechen. Somit wäre dieser Handel eine Investition zum Wohle des Reiches, müssten doch keine wichtigen Ressourcen an falscher Stelle verschwendet werden.“ Cordovan nickte zustimmend und sichtlich zufrieden.

„Ist er darauf eingegangen? Haben wir den Vertrag in trockenen Tüchern?“

„Nun ja, ja, haben wir. Nach der Geschichte mit dem „Wohle des Reiches“ war es an sich nur noch Feilschen. Er ließ sich nicht von der Landwehr überzeugen, sah also keine ernsthafte Dringlichkeit, war aber einverstanden, für diese Entlastung und unser entstehendes Risiko durch schlechter bewachte Handelswege zu zahlen. Ich konnte ihn nicht dazu bringen, die Waren zu Kriegspreisen, entsprechend denen vor Ort, zu erstehen, aber auch bei den Preisen machen wir deutlichen Gewinn, nur eben nicht so viel wie erhofft.“

„Das ist nicht weiter tragisch. Zu unser aller Sicherheit werde ich einige meiner zuverlässigsten Männer die Wagen bewachen lassen.“ Cordovan rieb sich die Hände. „Wichtig ist, dass wir den Vertrag haben. Ausgezeichnete Arbeit Baltram.“ Die beiden Männer stießen erneut an. „Nun da wir dieses Projekt abgeschlossen haben, können wir den nächsten Schritt angehen. Ich werde in den folgenden Tagen Beizenhals aufsuchen bezüglich meiner Idee einer gemeinsamen Handelsgesellschaft. Es wäre sicherlich von Vorteil, würdest du mich dabei begleiten. Es steht einiges auf dem Spiel.“